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WKÖ-Cernko: "Gutachten belegt: Viele offene Fragen beim Projekt digitaler Euro"

Experte Bofinger: "Den allenfalls mit Mühe erkennbaren Vorteilen stehen erhebliche Kosten und Risken gegenüber"

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Aktualisiert am 11.10.2023

„Eine derart weitgehende europäische Weichenstellung wie die Einführung eines digitalen Euro braucht klare Antworten auf die vielen offenen Fragen dieses Projektes. Schließlich geht es unter anderem um die Sicherung der Wahlfreiheit beim Bezahlen, die Sicherheit des Geldes und den Schutz der Privatsphäre“, hielt Willi Cernko, Obmann der Bundessparte Bank und Versicherung der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) heute, Mittwoch, vor Vertreterinnen und Vertretern der Medien fest. „Daher hat die WKÖ-Bundessparte Bank und Versicherung die renommierten Experten Professor Peter Bofinger und Thomas Haas beauftragt, sich mit diesem Thema umfassend auseinanderzusetzen“, so Cernko. Output ist eine Studie, deren Ergebnisse Cernko und Bofinger im Rahmen einer Pressekonferenz in Wien präsentierten. 

Der digitale Euro ist mehr als eine neue Zahlungstechnologie, nämlich ein grundlegender Eingriff in unser Geld- und Finanzsystem.

Auch Peter Bofinger, Ökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg, hielt vor Ort fest: „Beim digitalen Euro geht es nicht nur um eine neue Zahlungstechnologie, es handelt sich vielmehr um einen grundlegenden Eingriff in unser Geld- und Finanzsystem und damit um eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung.“ Zum einen begebe sich die Europäische Zentralbank (EZB) in ein Geschäftsfeld, das bisher rein privat von Banken und Zahlungsdienstleistern betrieben wurde. Aus ordnungspolitischer Sicht lasse sich das nur rechtfertigen, wenn ein Marktversagen identifiziert werden könne. Das sei bislang jedoch nicht gelungen. 

Deshalb werde versucht, die Notwendigkeit des digitalen Euro mit makroökonomischen Argumenten zu begründen. In Anbetracht einer sinkenden Bargeldnutzung werde er als „monetärer Anker“ für die Funktionsfähigkeit des Zahlungssystems, die Finanzstabilität und das Vertrauen in die Währung benötigt. Es lasse sich, so Peter Bofinger, aber recht einfach herleiten, dass es für die Verankerung des Finanzsystems ausreicht, wenn die Geschäftsbanken Guthaben bei der Notenbank halten. Dafür brauche es keinen digitalen Euro. 

Aus Sicht von Peter Bofinger gebe es zudem keine überzeugenden Anwendungsfälle für den digitalen Euro. Dazu kommt: „Wer nicht möchte, dass seine Zahlungen in irgendeiner Weise erfasst werden, wird auch weiterhin anstelle des digitalen Bargelds das altbewährte physische Bargeld verwenden.“ 

Bofinger: „Allenfalls mit Mühe erkennbaren Vorteilen stehen erhebliche Kosten gegenüber“

„Den allenfalls mit Mühe erkennbaren Vorteilen stehen erhebliche Kosten gegenüber, da für den digitalen Euro eine parallele, komplett neue Zahlungsverkehrsinfrastruktur geschaffen werden muss“, so Experte Bofinger. Die EZB gehe davon aus, dass diese Funktion von privaten Zahlungsdienstleistern wahrgenommen werden wird. Die europäischen Banken müssten den größten Teil der Kosten tragen, da sie nach den Plänen der EZB und der Kommission das Eröffnen und das Führen von digitalen Euro-Konten bewerkstelligen sollen. „Aus ordnungspolitischer Sicht ist das ähnlich absurd, wie wenn man Bäcker verpflichten würde, neben ihrem regulären Angebot kostenlose Euro-Semmeln anzubieten, weil der Verzehr von Semmeln ein Grundrecht darstelle.“ Bei der Unsicherheit, ob eine solche Infrastruktur überhaupt in einem größeren Umfang genutzt werden wird, sei auch nicht zu erwarten, dass neue Anbieter in den Markt kommen werden. „Damit könnte der digitale Euro die ohnehin dominante Position von US-Zahlungsplattformen stärken“, gab Bofinger weiter zu bedenken.

"Sowohl eine zu hohe als auch eine zu niedrige Obergrenze für das Halten von digitalen Euros birgt Risiken."

Als weitere Schwachstelle identifizierten Peter Bofinger und Thomas Haas die Tatsache, dass in der von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Regulierung keine verbindliche Obergrenze für das Halten von digitalen Euros vorgesehen ist. Wenn die Regulierung so angenommen würde, kann die EZB jederzeit die Grenze nach oben setzen oder sie völlig aufheben. Ohne Obergrenze besteht die Gefahr, dass Guthaben über 100.000 Euro die zu Wertspeicher-Zwecken gehalten werden, von den Geschäftsbanken auf die EZB übertragen werden. Die Banken würden damit größere Teile ihrer Refinanzierung verlieren und damit deutlich stärker als bisher in ihrem Kreditgeschäft von der Refinanzierungspolitik der EZB abhängig werden. Ohne Obergrenze bestünde auch das Risiko von digitalen bank runs, die - wie der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank gezeigt hat - erhebliche Risiken für die Finanzstabilität bergen. Aber auch eine niedrige Obergrenze könne zu Instabilität führen.

Weiters warnen die Studienautoren davor, dass ein Narrativ beflügelt werden könnte, wonach der digitale Euro letztlich als Basis für eine Abschaffung des Bargelds dienen soll.

Als Alternative sehen Bofinger und Haas etwa die European Payments Initiative (EPI), ein Zusammenschluss europäischer Zahlungsdienstleister, die derzeit versucht, ein elektronisches Zahlungssystem für ganz Europa zu entwickeln. In Gegensatz zum digitalen Euro könne man dafür die bestehenden Zahlungsverkehrs-Infrastrukturen nutzen. Zudem wäre der Verbreitungsbereich mit der gesamten EU sowie der Schweiz und dem Vereinigten Königreich deutlich größer als beim digitalen Euro, der lediglich auf den Euroraum begrenzt wäre, so die Fachleute abschließend.

Die Studie von Prof. Peter Bofinger und Dr. Thomas Haas zum digitalen Euro kann gerne bei der Bundessparte Bank und Versicherung der Wirtschaftskammer Österreich per Mail an bsbv@wko.at angefordert werden. (PWK345/JHR)