SPIK - Sozialpolitik informativ & kurz

Newsletter Abteilung Sozialpolitik und Gesundheit 29.9.2023

Lesedauer: 7 Minuten

Aktualisiert am 02.10.2023

Inhaltsübersicht

  • Houston, wir haben ein Problem: Die Produktivität sinkt
  • Arbeitsmarkt von Berufseinsteigern leergefegt
  • Realeinkommen steigen trotz Covid & Inflation
  • Kurzarbeit Neu ab 1.10. 2023
  • Mentoring für Migrant:innen: Bewerbung als Mentorin oder Mentor ab jetzt möglich!

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

weniger wegen dem Klimawandel als infolge der hohen Inflation und Rezession droht ein „heißer Herbst“ bei den Lohnverhandlungen. Die Forderungen nach Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzung werden dabei gern mit der gestiegenen Produktivität begründet. Die Zahlen zeigen aber: Die Produktivität ist gar nicht gestiegen. Das ist kurz- und langfristig ein Problem.

Trotz Rezession beschäftigen die Unternehmen mehr Menschen als vor einem Jahr. Die Besetzung offener Stellen bleibt schwierig. Aber es gibt noch Potenziale am Arbeitsmarkt.

Folgt man dem Diskurs in Politik und Medien und dem Gefühl vieler Menschen, sinkt die Kaufkraft. Eine Analyse kommt hingegen zum Schluss, dass die Realeinkommen, vor allem die unteren, steigen.

Ab 1.10. 2023 ist die Kurzarbeit neu geregelt. Der Zugang wird erleichtert, das AMS prüft die Voraussetzungen aber weiterhin streng.

Und das Erfolgsprogramm Mentoring für Migrant:innen startet in die nächste Runde. Mentorinnen und Mentoren, bitte bewerben!

Alles Gute!

Rolf Gleißner


Houston, wir haben ein Problem: Die Produktivität sinkt

Forderungen nach Lohnsteigerung und Arbeitszeitverkürzung werden meist mit höherer Produktivität begründet. Tatsächlich zeigen die Zahlen: Die Produktivität ist kaum gestiegen, zuletzt sogar gesunken. 

Statistik Austria erhebt quartalsweise Wirtschaftsleistung, Zahl der Beschäftigten und geleistete Arbeitsstunden. Die Wirtschaftsleistung je Erwerbstätigen gibt die Produktivität pro Kopf wieder, die Wirtschaftsleistung je Arbeitsstunde die Stundenproduktivität. 

Die Entwicklung von 2010 bis zum 2.Quartal 2023 zeigt, dass die Produktivität je Beschäftigten in dem Zeitraum nicht gestiegen ist (schwarze Linie). Zwar wurde der Rückschlag durch die Pandemie im Jahr 2020 danach rasch aufgeholt. Seit dem 2. Quartal 2022 sinkt aber die Produktivität wieder und liegt 2023 nur 0,6% über dem Niveau von 2010.

Produktivität 2010-23 pro Kopf und pro Arbeitsstunde
© Statistik Austria

Die Produktivität pro Kopf hängt davon ab, wie produktiv ein Beschäftigter je Stunde ist und wie viele Stunden er leistet. Dabei zeigen sich gegenläufige Entwicklungen: Die Produktivität je Stunde ist von 2010 bis 2022 um 10% gestiegen (dunkelrote Linie), zuletzt aber wieder gesunken (auf +8% im Vergleich zu 2010). Das liegt daran, dass die Unternehmen in der aktuellen Rezession Mitarbeiter trotz geringerer Auslastung halten.

Mehrbeschäftigung trotz Rezession

Der langfristige Zuwachs in der Stundenproduktivität wurde vollständig zunichte gemacht durch den Rückgang der Arbeitsstunden (hellrote Linie): Denn 2023 leistete ein durchschnittlicher Beschäftigter um 7% weniger Arbeitsstunden als 2010. Die Grafik zeigt, dass die geleistete Arbeitszeit sich nach dem massiven Einbruch 2020 auf einem deutlich niedrigeren Niveau eingependelt hat. Mit anderen Worten: Wir leisten im Schnitt in etwa gleich viel wie 2010 bei etwas geringerer Arbeitszeit.

Letztlich hängen Standort und Wohlstand von drei Faktoren ab: Von der Zahl der Erwerbstätigen, der Zahl der Arbeitsstunden und der Produktivität. In keinem Bereich schaut es gut aus: Die durchschnittliche Arbeitszeit ist rückläufig, die Produktivität je Stunde zuletzt ebenso. Und was die Zahl der Beschäftigten betrifft: Diese ist zwar gestiegen – die Unternehmen beschäftigen trotz BIP-Stagnation heute um 56.000 Personen mehr als vor einem Jahr. Aber demografiebedingt wird die Zahl der Erwerbspersonen ab jetzt stagnieren.

Fazit: Houston, wir haben ein Problem. Die Entwicklung der Produktivität spricht nicht für große Lohnerhöhungen, im Gegenteil. Das „Horten“ unausgelasteter Arbeitskräfte könnte sich ändern, wenn die Rezession anhält und die Arbeitskosten infolge von Lohnabschlüssen abrupt steigen. Und längerfristig gilt:  Wenn Österreich die Wachstumsfaktoren Produktivität, Arbeitszeit und Beschäftigung nicht verbessert, fallen wir bei Standort und Wohlstand zurück. 


von Mag. Dr. Rolf Gleißner



Arbeitsmarkt von Berufseinsteigern leergefegt

Potenziale bei Frauen, Geringqualifizierten und Älteren 

Berufseinsteiger sind rar: Unternehmen, die Babyboomer ersetzen müssen, tun sich besonders schwer. Aber es gibt noch Potenzial zur Rekrutierung, wie Synthesis in einer Studie feststellt. 

Die betriebliche Personalpolitik stößt zunehmend an ihre Grenzen. Die starken Babyboomer-Jahrgänge gehen in Pension. Gleichzeitig rücken immer weniger Berufseinsteiger nach, weil seit den 70er Jahren nur wenige Kinder zur Welt kommen und die Jungen aufgrund längerer Ausbildung später ins Erwerbsleben eintreten. Die Arbeitsmarktforscher von Synthesis haben untersucht, bei welchen Gruppen die Beschäftigungsrate unterdurchschnittlich ist und daher noch Potenzial für Rekrutierung besteht.

Frauen haben bis zu 15 Prozentpunkte niedrigere Beschäftigungsquoten als Männer, vor allem in jenem Alter, in dem typischerweise Kinder zu betreuen sind. Entgegen dem Gesamttrend steigender Beschäftigung ist zwischen 2008 und 2021 die Beschäftigungsquote der 25 bis 35-jährigen Frauen sogar leicht gesunken. Bundesländer mit einem geringen Anteil an passender Kinderbetreuung haben einen besonders hohen Anteil an teilzeitbeschäftigten Frauen. Frauen mit Migrationshintergrund haben eine um 10 Prozentpunkte niedrigere Erwerbsquote als Frauen ohne Migrationshintergrund. 

Nur rund 54 % der Geringqualifizierten sind in Österreich erwerbstätig. In Deutschland sind es 62 %, in der Schweiz 67 %.

Nur jeder zweite 55 bis 64-Jährige ist in Österreich noch erwerbstätig (56 %). In Deutschland und der Schweiz sind es 73 %, in Schweden sogar 77 %. Erst mit der schrittweisen Anhebung des gesetzlichen Frauenpensionsalter ab 2024 werden ca. 20-30.000 Frauen zusätzlich auf dem Arbeitsmarkt verbleiben.

Fazit: Auch wenn die schlechte Konjunktur den Bedarf kurzfristig dämpft, bleibt die Besetzung offener Stellen schwierig. Um den Wohlstand zu erhalten, muss die Beschäftigung gesteigert werden. Die Wirtschaftskammer fordert daher

  • einen Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen, die Vollzeit oder längere Teilzeit ermöglichen,
  • einen stärkeren Fokus der Arbeitsmarktpolitik auf Frauen mit Betreuungspflichten und Frauen mit Migrationshintergrund,
  • die Aktivierung und Vermittlung von geringqualifizierten Personen sowie
  • Maßnahmen zur Verlängerung des Erwerbslebens.

Synthesis, Wolfgang Alteneder: Der österreichische Arbeitsmarkt im Licht der demographischen Entwicklung


von Mag. Maria Kaun



Realeinkommen steigen trotz Covid & Inflation

Folgt man dem politischen-medialen Diskurs und dem Gefühl vieler Menschen, sinkt die Kaufkraft. Eine Analyse des Budgetdiensts des Parlaments kommt hingegen zum Schluss, dass die Realeinkommen 2019-2024 steigen. 

Der Budgetdienst hat die Einkommensentwicklung jedes Jahrs seit Ausbruch der Pandemie geprüft. Dabei hat er niedrige, mittlere und hohe Einkommen (bzw. Einkommensdezile) sowie Einkünfte aus Vermögen und sonstige unterschieden. Schließlich wurden die Ergebnisse international verglichen.

Das Ergebnis: Im Zeitraum 2019-2024 steigen die Realeinkommen pro Kopf um 2,2%. Dabei steigen die niedrigen Realeinkommen deutlich, die mittleren Einkommen schwach und die oberen Einkommen minimal. Die Vermögenseinkommen schrumpfen in dem Zeitraum, was wohl auch an der Entwertung von Sparguthaben durch die Inflation liegt. Rechnet man diese heraus, wachsen die übrigen Einkommen – aus Erwerbstätigkeit, Transfers und Pensionen – sogar um 5,3%. 

Vermögenseinkommen schrumpfen, sonstige Einkommen steigen kräftig 

Diese Entwicklung ist umso erstaunlicher, als das BIP im Zeitraum 2019-2024 nur um 4,3% steigen dürfte und die Bevölkerung in dem Zeitraum wächst. Ursachen dieser günstigen Entwicklung waren zahlreiche Unterstützungsmaßnahmen der Regierung während der Pandemie sowie gegen die Teuerung, die Kaufkraftsicherung bei den Pensionen, die Abschaffung der kalten Progression sowie relativ hohe Lohnabschlüsse.

Anzumerken ist die Wirkung der Inflation 2023/2024: Lohnabschlüsse, viele Transfers und Pensionen gelten die Inflation meist nicht sofort und vollständig, sondern erst nachträglich ab. Bei steigender Inflation sinken daher die Realeinkommen in der Regel, was 2022/23 der Fall war. Bei sinkender Inflation steigen die Realeinkommen, was 2023/24 zu erwarten ist.

Im Vergleich wachsen die Realeinkommen 2019-2024 in Österreich schwächer als im EU-Schnitt, was wiederum an den schrumpfenden Vermögenseinkommen liegt. Rechnet man diese heraus, steigen die Realeinkommen bei uns stärker als im EU-Schnitt.

Armut trotz Krisen rückläufig 

Dass niedrige Einkommen sich trotz Pandemie und Teuerung gut entwickelten, zeigt sich auch daran, dass die Zahl der Armutsgefährdeten und der manifest Armen im Zeitraum 2019 bis 2024 zurückging.

Fazit: Die zahlreichen Maßnahmen während der Pandemie und gegen die Teuerung wirken insgesamt, vor allem aber bei niedrigen Einkommen. Die Einkommen sind gestiegen, auch wenn subjektive Wahrnehmung und medialer Diskurs das Gegenteil vermuten lassen.   

Analyse des Budgetdiensts
ttps://www.parlament.gv.at/dokument/budgetdienst/anfragebeantwortungen/BD-Einkommensentwicklung-seit-Beginn-der-COVID-19-Krise.pdf


von Mag. Dr. Rolf Gleißner



Kurzarbeit Neu ab 1.10.2023

Die Corona-Kurzarbeit wird durch ein dauerhaftes Kurzarbeitsmodell ersetzt. Die Beihilfe für Unternehmen wird künftig anders bemessen, die Mitarbeiter erhalten zumindest 88 % des Bruttolohns vor Kurzarbeit (bisher 90 % des Nettolohns). Der Zugang wird etwas gelockert, das AMS prüft aber immer noch streng die Voraussetzungen. Details unter

Kurzarbeit ab 1.10.2023 - WKO.at



Mentoring für Migrant:innen: Bewerbung als Mentorin oder Mentor ab jetzt möglich!

Das Erfolgsprogramm „Mentoring für Migrant:innen“ der WKO in Kooperation mit AMS und ÖIF startet in die nächste Runde. Bewerbungen sind bis 15.11.2023 per Mail an mentoring@wko.at möglich. 

Mentoren aus der Wirtschaft unterstützen qualifizierte Menschen mit Migrationshintergrund auf ihrem Weg in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft. Gemeinsam arbeiten sie am Aufbau des Netzwerks, an der Anerkennung von Qualifikationen und am Bewerbungsprozess. Die Unternehmen gewinnen Fachkräfte, die Wirtschaft wird gestärkt. Vom Programm profitieren erfahrungsgemäß nicht nur die Mentees, sondern auch die Mentoren, die sich miteinander vernetzen können. 

Das Projekt wurde 2008 ins Leben gerufen und international mehrfach ausgezeichnet. Mittlerweile wurden österreichweit 2.700 Mentoringpaare gebildet und unzählige Glücksmomente geschaffen! 

Nähere Infos unter: https://www.wko.at/mentoring 

 




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