SPIK - Sozialpolitik informativ & kurz

Newsletter Abteilung Sozialpolitik und Gesundheit 29.6.2023

Lesedauer: 7 Minuten

Aktualisiert am 05.08.2023

Inhaltsübersicht

  • Arbeitszeitverkürzung gefährdet Wohlstand und Pensionen
  • Pensionen nur bis 2040 gesichert?
  • Die Lage am Lehrstellenmarkt spitzt sich weiter zu
  • Gesetzliche Änderungen ab 1.7.2023
  • ZAS-Tag am 26.9.2023: Schwerpunkt Arbeitskräftemangel
  • Leitfaden zur Integration internationaler Teams


Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Wohlstand und Sozialstaat müssen täglich erarbeitet werden. Die Zahl der Pensionisten und Pflegebedürftigen steigt rasant, die Zahl der Erwerbspersonen stagniert. Wenn diese auch noch alle kürzer arbeiten, geht sich das nicht aus – BIP und Löhne sinken, das Pensionssystem wankt, wie auch Studien belegen. Umso mehr verwundert die Diskussion zur Arbeitszeitverkürzung gerade jetzt.

Dazu etwa eine aktuelle internationale Studie, wonach vielen Staaten, inkl. Österreich, längerfristig der finanzielle Spielraum zur Pensionsfinanzierung ausgeht.

Aktuelle Zahlen zum Lehrstellenmarkt belegen die schwindende Basis: Es wird immer schwerer, Kandidaten für Lehrstellen zu finden.

Zweimal im Jahr stellen wir die gesetzlichen Änderungen zusammen, diesmal ab 1.7.2023.

Am 26.9. findet der traditionelle ZAS-Tag statt mit dem Schwerpunkt Arbeitskräftemangel.

Schließlich gibt es einen neuen Leitfaden zur Integration internationaler Teams.

Alles Gute!

Rolf Gleißner


Arbeitszeitverkürzung gefährdet Wohlstand und Pensionen

Obwohl die Wirtschaft heute 160.000 mehr Menschen beschäftigt als 2019, fehlen Arbeitskräfte. Warum? Weil wir alle heute im Schnitt um 1,5 Stunden pro Woche weniger arbeiten als vor COVID. Das entspricht umgerechnet einem Minus von 200.000 Arbeitskräften.

Die Arbeitszeit sinkt also von allein, ein Eingriff von außen ist unnötig, ja sogar schädlich: Eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung würde den Arbeitskräftemangel noch verschärfen: Eine Verkürzung der Vollzeit auf 32 Stunden entspricht einem Verlust weiterer 600.000 Arbeitskräfte. D.h. keine Semmel mehr am Sonntag, noch längeres Warten auf Operationen, Handwerker, Pflegeroboter wie in Japan, etc. 

Das Arbeitsvolumen ist Basis für Wohlstand und Pensionsfinanzierung. Die Erwerbstätigen finanzieren ja nicht nur ihren eigenen Lebensstandard, sondern im Umlagesystem die aktuellen Pensionen und mit ihren Steuern Pflege- und Gesundheitssystem, Die Zahl der Pensionen und Pflegebedürftigen steigt rasant, die Zahl der Erwerbspersonen sinkt.

Wenn weniger Erwerbspersonen auch noch kürzer arbeiten, wird das BIP, das Fundament zusätzlich geschwächt. Selbst die von der AK beauftragte WIFO-Studie geht von einem BIP-Verlust von 4 Mrd Euro und niedrigeren Löhnen als Folge einer Arbeitszeitverkürzung aus. Eine Studie von EcoAustria kommt zu weit drastischeren Wertschöpfungs- und Einkommensverlusten. Weniger BIP, mehr Pensionisten? Das geht sich nur mit höheren Steuern oder Abstrichen bei Pensionen und Sozialstaat aus. Wer will das?

Zum Einwand, die Produktivität sei gestiegen: Stimmt, aber dementsprechend auch die Löhne. Diese sind sogar stärker gestiegen als die Gewinne, denn die Lohnquote, also der Anteil der Arbeitnehmer, ist mit 69% heute höher als die 20 Jahre zuvor. Und Unternehmen können Produktivität nicht doppelt, mit höheren Löhnen UND kürzerer Arbeitszeit vergüten. 

Zu den Wünschen der Arbeitnehmer: Diese sind vielfältig und der heutige Arbeitsmarkt bietet auch vielfältige Chancen. Ein 30- oder 32 Stunden-Korsett für alle passt da nicht. 

Tatsächlich geleistete Wochenarbeitszeit Unselbständiger
© WKÖ


von Mag. Dr. Rolf Gleißner



Pensionen nur bis 2040 gesichert?

Eine aktuelle Studie analysiert den budgetären Spielraum von 12 Ländern, um die staatlichen Pensionen zu finanzieren. Für Österreich ergibt sich Handlungsbedarf, denn der finanzielle Spielraum könnte bis 2040 durch die Demografie erschöpft sein. 

Eine aktuelle Studie des „Center for Economic Policy Research“ (CEPR) analysiert, inwiefern öffentliche Pensionssysteme nachhaltig durch bestehende Beiträge und Steuern finanziert sind. Hintergrund ist der demographische Wandel. In den meisten entwickelten Ländern steigt die Zahl der Pensionisten, während die Zahl der Erwerbspersonen stagniert oder schrumpft.

Darauf können Staaten mit Steuererhöhungen reagieren, denen aber Grenzen gesetzt sind. Der finanzielle Spielraum der untersuchten Länder liegt zwischen 5 und 57%. Länder, die hohe Steuersätze und Ersatzquoten haben, verfügen über einen kleineren budgetären Puffer als Länder mit niedrigeren Steuersätzen und Ersatzquoten (wie Irland, UK und die USA). 

Ergebnis: In den meisten der 12 untersuchten Länder (11 europäische Staaten und die USA) reicht der Spielraum für Steuererhöhungen nicht aus, um die Pensionssysteme nachhaltig zu finanzieren. Daher sind voraussichtlich in den nächsten 10-20 Jahren Pensionsreformen nötig. 

Österreich hat 2040 seinen budgetären Spielraum aufgebraucht 

Österreich liegt mit einer Abgabenquote von 43,2% (2022) und einer Nettoersatzrate bei Pensionen über 80% im europäischen Spitzenfeld. Das Abgabenniveau kann somit kaum noch angehoben werden, um die steigenden Pensionskosten zu finanzieren. Wir zählen daher – wenig überraschend – zu den Ländern, die einen geringen finanziellen Puffer von unter 10% aufweisen und diesen bis 2040 für die steigenden Pensionskosten aufgebracht haben. Nur Frankreich und Italien schneiden schlechter ab und werden ihren finanziellen Puffer voraussichtlich schon 2030 aufgebraucht haben, wobei Frankreich inzwischen eine Anhebung des Pensionsalters um 2 Jahre beschlossen hat.

Irland hingegen verfügt über einen budgetären Puffer von über 40%. Das liegt an den niedrigen Steuersätzen und Ersatzraten, an einem deutlich höheren Pensionsantrittsalter sowie an der langjährig höheren Fertilität. Bereits vor zehn Jahren beschloss Irland das Pensionsantrittsalter von 65 schrittweise auf 68 Jahre anzuheben. Die Folge: Der Beitrag aus dem Bundesbudget zu den staatlichen Pensionen in Irland ist nicht einmal halb so groß wie in Österreich.

Laut der Studie könnten die Länder mit geringem budgetären Puffer jenen Zeitpunkt, zu dem der finanzielle Spielraum aufgebraucht ist, durch Pensionsreformen um 10 oder mehr Jahre hinausschieben. Geprüft wurden dabei die Optionen der Senkung der Pensionen um 10% und der Anhebung des Pensionsantrittsalters um zwei Jahre. 

Fazit für Österreich: Die Zahl der Pensionen steigt rasant bis 2040, die Zahl der Erwerbspersonen stagniert. Die Abgabenquote ist bereits hoch und kann kaum gesteigert werden. Eine nachhaltige Finanzierung des Pensionssystems setzt daher weitere Maßnahmen voraus, um das Pensionsantrittsalter – entsprechend der steigenden Lebenserwartung - anzuheben und die Beschäftigung zu steigern. 

Zur Studie: Pension system (un)sustainability and fiscal constraints: A comparative analysis | CEPR

 

von Mag. Nina Haas



Die Lage am Lehrstellenmarkt spitzt sich weiter zu

Das AMS verzeichnet aktuell fast doppelt so viele offene Lehrstellen wie Lehrstellensuchende. Synthesis Forschung analysierte den Lehrstellenmarkt. Eines ist sicher: Die Besetzung der offenen Lehrstellen wird künftig noch schwieriger. 

Die Pandemie führte 2020 und 2021 zu einem Gesamtverlust von rund 4.000 Ersteintritten in eine Lehre. Die durch Lockdowns geprägte schwierige Situation und die Aufstiegsklauseln in den Schulen führten dazu, dass viele Jugendliche im Schulsystem blieben und nicht wie sonst eine Lehrstelle antraten. Hauptverlierer war die durch Corona besonders belastete Beherbergung und Gastronomie mit einem Minus von fast 1.200 Ersteintritten in die Lehre.

Trotz des starken Zuwachses an Ersteintritten konnten bis 2022 über alle Branchen betrachtet nur rund 40% dieses Verlustes wieder aufgeholt werden, in der Beherbergung und Gastronomie gerade einmal 25%. 

Ein zusätzlicher Faktor für die verstärkte Nachfrage nach Lehrlingen ist das Ausscheiden starker Jahrgänge und das wachsende Bewusstsein der Betriebe, dass die Lehrausbildung ein wesentlicher Hebel gegen den Fachkräftemangel ist. 

Wo sind die Lehrlinge? 

Die gestiegene Nachfrage nach Lehrlingen trifft auf ein eingeschränktes Angebot. Der Anteil der Jugendlichen, die jedes Jahr eine Lehre beginnen, ist über die Jahre hinweg mit 40% sehr konstant. Die Zahl der Jugendlichen ist seit ca. 20 Jahren auf niedrigem Niveau stabil. Der „Rückstau“ an Jugendlichen, die während der Pandemie in der Schule geblieben sind, wird 2023 weitgehend „abgebaut“. Mit anderen Worten landen diese Jugendlichen - wenn auch verspätet – häufig doch am Lehrstellenmarkt. 2022 war der Anteil der Erstantritte mit 44,5% auf dem höchsten Wert seit 2013, 2023 rechnet Synthesis mit einem ähnlichen Wert.

Die guten Jahre 2022 und 2023 haben aber die Lücke zwischen offenen Lehrstellen und Lehrstellensuchenden nicht geschlossen und in Zukunft wird diese weiter wachsen. Dementsprechend prognostiziert das WIFO, dass der Anteil der Personen mit Lehrabschluss am Arbeitsmarkt zwischen 2018 und 2040 von 37% auf 31% zurückgeht. Maßnahmen zur Änderung des Bildungsverhaltens der Jugendlichen wirken nur langfristig. 

Fazit: Um die noch weiter auseinanderklaffende Kluft am Lehrstellenmarkt in Grenzen zu halten, reicht die typischen Altersgruppe 15-18 Jahre nicht. Wichtig sind daher der Ausbau der AMS-Förderung für volljährige Lehrlinge, die Rekrutierung von erwachsenen Lehrlingen zB in der EU sowie die Unterstützung gering qualifizierter Beschäftiger, die eine Lehre beginnen möchten. Ukrainer brauchen eine Bleibeperspektive, um langfristige Ausbildungen wie eine Lehre zu starten und zu absolvieren. Asylwerbern sollte nach positiv absolvierter Lehre der Umstieg auf die Rot-Weiß-Rot-Karte ermöglicht werden. Schließlich fordert die Wirtschaftskammer ein Kontingent für volljährige Lehrlinge (mit bestimmten Vorkenntnissen) aus Drittstaaten, die ja für eine  Rot-Weiß-Rot-Karte nicht in Frage kommen.

Synthesis Forschung, Lehrlingsausbildung: Vorschau auf Angebot und Nachfrage 2023 https://ams-forschungsnetzwerk.at/deutsch/publikationen/BibShow.asp?id=13805&sid=716280937&look=2&jahr=2023


von Mag. Gabriele Straßegger



Gesetzliche Änderungen ab 1.7.2023

Überblick über die wichtigsten Neuerungen im Arbeits- und Sozialrecht ab 1.7.2023



ZAS-Tag am 26.9.2023: Schwerpunkt Arbeitskräftemangel

Traditionell bietet der Manz-Verlag in Kooperation mit der Wirtschaftskammer Österreich ein Update zum Arbeits- und Sozialrecht des Jahres in einem Tag. Geboten werden

  • Neues aus der Gesetzgebung
  • Junge gewinnen / Ältere halten – Arbeitszeitrechtliche Möglichkeiten der Mitarbeiterbindung, insb 4-Tage-Woche, Teilzeit
  • Entgeltrechtliche Möglichkeiten der Mitarbeiterbindung, insb Mitarbeiterbeteiligungen, Boni, Betriebspensionen
  • Arbeitskräfteüberlassung – Aktuelles und Tipps für die Praxis
  • Judikatur-Update

Ort: Wirtschaftskammer Österreich, Saal 2, Wiedner Hauptstraße 63, 1045 Wien 
Zeit: Dienstag, 26. September 2023, 9:00 (Eintreffen) – 16:00 Uhr 

Details und Anmeldung:

Jahrestagung Arbeits- und Sozialrecht 2023 online buchen | MANZ Rechtsakademie

Programmfolder



Leitfaden zur Integration internationaler Teams

Die Unterstützung von internationalen Teammitgliedern bei ihrem Einstieg in das Unternehmen ist ein wichtiger Schritt zur erfolgreichen Integration und langfristigen Mitarbeiterbindung. Wirtschaftskammer und Austrian Business Agency haben dazu einen Leitfaden „Kompass für Guides“ erstellt, die betriebsintern für die Integration zuständig sind.

https://news.wko.at/news/oesterreich/kompass-guides-mai-2023.pdf




Impressum
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