Newsletter Abteilung Rechtspolitik | April 2020

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Lesedauer: 33 Minuten

Aktualisiert am 13.03.2023

Inhaltsübersicht

Regierungsprogramm

Öffentliches Recht und Wettbewerb

Zivil-, Unternehmens- und Gesellschaftsrecht

Gewerberecht und Berufsrecht 

Verkehrsrecht



Regierungsprogramm


Öffentliches Recht und Wettbewerb

Insbes. in den Unter-Kapiteln „Verfassungsstaat auf der Höhe der Zeit“, „Verwaltung in die Zukunft führen“ und „Entbürokratisierung und Modernisierung der Verwaltung“ finden sich einige Kernforderungen der Wirtschaft im Rahmen der Verwaltungsreform:

  • Das Prinzip „Beraten statt Strafen“ umsetzen
  • Reform des Kumulationsprinzips im Verwaltungsstrafrecht (Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Wahrung general-und spezialpräventiver Aspekte)
  • Einrichtung einer Monitoringstelle, um den Fortschritt bei der Entbürokratisierung messbar zu machen
  • Einrichtung einer interministeriellen Arbeitsgruppe, die Deregulierungspotentiale erhebt
  • Evaluierung von Informations-, Melde- und Aushangpflichten
  • Weitere Kompetenzbereinigung zwischen Bund und Ländern
  • Weitere Reduktion der Doppelgleisigkeiten zwischen Grundsatzgesetzgebung und Ausführungsgesetzgebung
  • Vermeidung und Reduktion von Gold Plating
  • Bekenntnis zu Verfahrensbeschleunigungen bzw. Prozessoptimierungen (zB Möglichkeit zur Schließung des Ermittlungsverfahrens)
  • Rechtsetzung im Sinne einer Better Regulation Strategie
  • Senkung des GmbH-Stammkapitals auf 10.000 Euro
  • Flexibilisierung des Kapitalgesellschafts- und des Privatstiftungsrechts
  • Abschaffung der Veröffentlichungspflicht in der Wiener Zeitung 

Kritisch gesehen wird hingegen die Erweiterung der Prüfzuständigkeit des Rechnungshofes auch auf Unternehmen ab einer öffentlichen Beteiligung von 25%. Eine weitere Ausdehnung der Rechnungshof-Kontrolle bringt Wettbewerbsnachteile für österreichische Unternehmen und wirkt sich auch mittelbar in anderen Rechtsbereichen aus: So zB auf die im Regierungsprogramm geforderte Informationsfreiheit, auf das Strafrecht (die Definition des Amtsträgers im StGB knüpft u.a. an die Prüfzuständigkeit des Rechnungshofs an) oder auf die Transparenz in Bezug auf Werbeaufträge und Förderungen an Medieninhaber (BVG Medienkooperation und Medienförderung).

Das Kontroll- und Transparenzpaket (Informationsfreiheit) sieht insbes. Folgendes vor: 

  • Abschaffung des Amtsgeheimnisses/der Amtsverschwiegenheit
  • Pflicht zur aktiven Informationsveröffentlichung (im Verfassungsrang)
  • Recht auf Zugang zu Informationen (unabhängig von der Form der Speicherung)
  • Erfasst werden sollen: die Organe der Gesetzgebung, die mit der Besorgung von Geschäften der Bundesverwaltung und der Landesverwaltung betrauten Organe, Organe der Selbstverwaltung, Organe der Justizverwaltung, die Volksanwaltschaft sowie eine vom Land für den Bereich der Landesverwaltung geschaffene Einrichtung mit gleichwertigen Aufgaben wie die Volksanwaltschaft, Unternehmen, die der RH Kontrolle unterliegen (– mit Ausnahme börsennotierter Unternehmen).
  • Kein Informationsrecht soll bestehen, soweit und solange die Geheimhaltung aus gewissen Gründen erforderlich und verhältnismäßig ist (z.B. aufgrund der Vertraulichkeit personenbezogener Daten im Sinne der DSGVO, aufgrund außen– und integrationspolitischer Gründe, zur Vorbereitung einer behördlichen Entscheidung, zur Wahrung von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen, sofern diese durch innerstaatliches oder EU-Recht geschützt sind).
  • Die weisungsfreie und unabhängige Datenschutzbehörde soll als Beratungs- und Servicestelle den umfassten Institutionen zur Seite stehen. 

Kritisch gesehen wird dabei insbesondere, dass auch Unternehmen, die der Rechnungshofkontrolle unterliegen, verpflichtet werden, Zugang zu Informationen zu gewähren bzw. solche zu veröffentlichen. Wie es gelingen soll, dass Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse nicht ausgehöhlt werden, ist derzeit noch unklar. 

Das Vergaberecht

Im Bereich des Vergaberechts gibt es mehrere Punkte, die die Wirtschaft unterstützen kann (z.B. Stärkung der Regionalität, Stärkung des Bestbieterprinzips, Verlängerung der Schwellenwerteverordnung und Erhöhung der Schwellenwerte, Bürokratieabbau). Bei einigen Punkten wird es auf die konkrete Ausformulierung ankommen. Abgelehnt wird der Vorstoß nach über EU-Verpflichtungen hinausgehenden Sozialkriterien.

Zu beachten ist weiters das Unter-Kapitel „Stärkung der Grund- und Menschenrechte“, das unter anderem die Erarbeitung eines umfassenden österreichischen Grundrechtskatalogs vorsieht: Wiederaufnahme der Allparteienverhandlungen

zur Erarbeitung eines umfassenden österreichischen Grundrechtskatalogs und Prüfung einer allfälligen Erweiterung des Grundrechtsschutzes sowie Erarbeitung eines einheitlichen Katalogs von Staatszielbestimmungen. 

Die Wettbewerbspolitik 

Die Wettbewerbspolitik wird ebenfalls an mehreren Stellen erwähnt, so etwa die Prüfung der Zusammenlegung von Bundeswettbewerbsbehörde und Kartellanwalt-eine altbekannte Forderung. Weiters sollen wirtschaftliche Kooperationen in der Medienlandschaft ermöglicht und das nationale und europäische Kartell und Wettbewerbsrecht im Bezug auf das moderne Wirtschaftsleben angepasst werden - hier vor allen Dingen durch Berücksichtigung des globalen Wettbewerbs und der Neudefinition der Marktabgrenzung in der Fusionskontrolle. 

Digitalisierung und Innovation 

Im Bereich von Digitalisierung und Innovation bestärkt die Regierung ihren Willen, eine flächendeckende technologieneutrale Breitband-Versorgung sicher zu stellen. Dies soll vor allem durch den Ausbau der 5G-Vorreiterrolle Österreichs und einer Weiterentwicklung der Breitbandstrategie 2030 bzw. dem Ausbau der Glasfasernetze erfolgen. 

Gleichfalls soll der österreichische und europäische Medienstandort gestärkt und österreichische Inhalte gefördert werden.


Zivil-, Unternehmens- und Gesellschaftsrecht

Das Regierungsprogramm 2020 – 2024 enthält eine Fülle justizrelevanter Themen. Aus Sicht des Teams Zivilrecht sind vor allem nachstehende Punkte aus diesem Programm wirtschaftsrelevant: 

Beschleunigung und Vereinfachung von Unternehmensgründungen 

Es ist der Wirtschaftskammer seit Jahren ein besonderes Anliegen, Unternehmensgründungen zu beschleunigen und zu vereinfachen. Viel wurde hier in den letzten Jahren - auch unter Einsatz modernster Kommunikationsmittel – erreicht. Einen weiteren Ausbau sieht das Regierungsprogramm vor. 

Eine wesentliche Vereinfachung von GmbH-Gründungen stellt die beabsichtigte Senkung des Mindeststammkapitals von 35.000 auf 10.000 Euro dar. Für viele Unternehmungen ist dieses Startkapital ausreichend. Mit dieser Schwelle ist allerdings – im Gegensatz zur englischen Limited – sichergestellt, dass der Gründer von Anfang an auch eigenes Kapital riskiert und nicht ausschließlich auf Risiko seiner Gläubiger wirtschaftet.

Zu einer beträchtlichen Senkung der Kosten führt auch die geplante Abschaffung der Pflichtveröffentlichungen in der Wiener Zeitung. Dies nicht nur im Rahmen der Gründung, sondern für die Veröffentlichungen bestehender Unternehmen. Kostenersparnis ca. 12 Mio. Euro/Jahr. 

In der Realität der österreichischen Aktiengesellschaften dominieren AG‘s mit einem oder nur einer handvoll Gesellschaftern. Für diese sind die derzeitigen Regelungen zu starr, kostenintensiv und überschießend. Es ist daher sinnvoll, zu überlegen, den Aktionären mehr Einflussmöglichkeiten auf das Geschehen der AG einzuräumen und damit die Alleinstellung des Vorstands zurückzudrängen. Aktien sind im Gegensatz zu GmbH-Anteilen wesentlich leichter übertragbar. Auch in dieser Hinsicht könnte es Flexibilisierungspotential geben. 

Umsetzung von EU-Verbraucherschutz-Richtlinien über den Warenkauf und digitale Inhalte

Angesprochen werden im Regierungsprogramm auch die Richtlinien über den Warenkauf und über digitale Inhalte, die kurz vor der EU-Wahl auf europäischer Ebene verabschiedet wurden. Nach den EU-Vorgabe sind die Umsetzungsbestimmungen von den Mitgliedstaaten bis spätestens 1. Juli 2021 zu erlassen und ab 1. Jänner 2022 zur Anwendung zu bringen.

Mehr als ein Jahrzehnt war in Brüssel von einer Dauerdiskussion zum Vertrags- bzw. Gewährleistungsrecht geprägt, die mit den nunmehr zur Umsetzung anstehenden Richtlinien auf EU-Ebene zum Abschluss gebracht wurde. Während mit der Richtlinie über digitale Inhalte Neuland betreten wurde, indem erstmals europaweit u.a. Regelungen zum Gewährleistungsrecht für digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen (zB Musik-downloads, Cloud-Speicherdienste etc.) geschaffen wurden,  ersetzt die Richtlinie über den Warenkauf die schon bestehende Verbrauchsgüterkaufs-Richtlinie zum Gewährleistungsrecht aus dem Jahre 1999.

Das jahrelange Eintreten der Wirtschaft für mehr Augenmaß beim EU-Verbraucherschutz im Interesse der betroffenen Unternehmen war jedenfalls wichtig. So ermöglichen die europäischen Vorgaben z.B. nun letztlich weiterhin eine grundsätzlich 2-jährige Gewährleistungsfrist mit vertraglicher Verkürzungsmöglichkeit auf ein Jahr für Gebrauchtsachen. Die Beweislastumkehrfrist beträgt nicht verpflichtend zwei Jahre, wie dies im Vorschlag der Kommission vorgesehen war, sondern ein Jahr. Ein geringfügiger Mangel, wie etwa ein fallweise vibrierender Schaltknüppel, wird im Gegensatz zum Kommissionsvorschlag auch in Zukunft nicht zur Vertragsaufhebung berechtigen. Anders als bisher geregelt, sind aber u.a. die Kriterien für die Beurteilung der Vertragsgemäßheit. Gänzlich neu aufgenommen wurden im Zuge der Verhandlungen im Rat und im Europäischen Parlament Sonderregelungen für Waren mit digitalen Elementen.

Für die Umsetzung auch dieser Richtlinien ist das im Regierungsprogramm festgehaltene Bekenntnis zu einer Balance von Wirtschaftsstandort und Konsumentenschutz sowie die mehrfache Betonung des Hintanhaltens von gold plating besonders positiv hervorzuheben.

Wohnrecht 

Das Kapitel „Wohnen“ beginnt mit der – aus Sicht der Wirtschaft erfreulichen - Ankündigung, Investitionsanreize für Sanierungen und Neubau zu schaffen. Zudem sollen einerseits Baukosten gesenkt, andererseits ökologische Baustandards gezielt gefördert werden. Es bleibt zu vermuten, dass sich erste Reformvorhaben der Modernisierung des Wohnungseigentumsrechts (WEG) widmen. In diesem Bereich sollen etwa Beschlussfassungen im Wohnungseigentümerverband (z.B. Installation von Elektro-Tankstellen und Photovoltaik-Anlage, Maßnahmen zur Dekarbonisierung) erleichtert werden. Hinsichtlich des Mietsektors hat das Regierungsprogramm den Anspruch, dass sich Investitionen von Vermietern rentieren und zugleich leistbare Mieten gewährleistet sein sollen. Nähere Details sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum abschätzbar, wobei das Regierungsprogramm breit angelegte Stakeholder-Dialoge (z.B. Wohnraum-Enquete, Dialogforen) ankündigt, um konkrete Konzepte zu entwickeln. Keine Überraschung ist schließlich das Bekenntnis zum Bestellerprinzip bei Maklern, das beide Regierungsparteien bereits in ihren jeweiligen Wahlprogrammen angekündigt hatten.

Urheberecht

Im Übereinkommen findet sich die Forderung, dass „ein modernes Urheberrecht ein Vertragsrecht [beinhaltet], das unfaire Knebelverträge verhindert und die Künstlerinnen und Künstler gegenüber den Produktions- und Vertriebsgesellschaften stärkt“. Die Richtlinie (EU) 2019/790 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt enthält etliche Bestimmungen zum Urhebervertragsrecht, die umgesetzt werden müssen und jedenfalls einen zusätzlichen bürokratischen Aufwand nach sich ziehen werden. Um die negativen Auswirkungen für die betroffenen Unternehmen zu minieren, gilt es, die Umsetzung der Richtlinie mit Augenmaß, das der wirtschaftlichen Realität gerecht wird, aber ohne gold plating zu vollziehen.

Das Programm enthält auch eine „umfassenden Evaluierung der Verwertungsgesellschaften vor allem hinsichtlich wirtschaftlicher Synergien und Transparenz im Interesse der Urheberinnen und Urheber“. Aufgrund der Formulierung ist anzunehmen, dass sowohl die Zuständigkeiten der einzelnen Verwertungsgesellschaften überprüft werden, als auch evaluiert werden soll, ob die Zahl der Verwertungsgesellschaften zu verringern ist. 

Gerichtsgebühren

Wir begrüßen ausdrücklich das Bekenntnis der Bundesregierung zu einer effizienten und qualitätsvollen Justiz. Diese Justiz ist ausreichend auszustatten, damit Verfahren rasch und auf hohem Qualitätsniveau durchgeführt werden können. Wesentlich ist allerdings, dass den Bürgern und Unternehmen der Zugang zur Gerichtsbarkeit nicht durch überhöhte Gerichtsgebühren praktisch verunmöglicht wird. Notwendig ist daher eine spürbare Senkung und Deckelung der Gerichtsgebühren.

So kann der Streitwert z.B. selbst nichts über die Komplexität eines zivilgerichtlichen Verfahrens aussagen. Bei besonders hohen Streitwerten summieren sich die Pauschalgebühren für ein dreiinstanzliches Verfahren beträchtlich. In Deutschland beträgt die Gerichtsgebühr bei einem Zivilrechtsstreit über 100 Mio. Euro in erster Instanz 329.208 Euro. In Österreich bezahlt man für denselben Rechtsstreit hingegen 1.203.488 Euro! Das ist nahezu viermal so viel wie in Deutschland – von den Pauschalgebühren der Instanzgerichte ganz zu schweigen (für alle drei Instanzen 5.415.218 Euro – Deutschland: 1.316.832 Euro). Der Grund dafür ist die in Deutschland vorgesehene Deckelung der Gerichtsgebühren ab einem Streitwert von 30 Mio. Euro.

Österreich ist das einzige europäische Land, in dem die Einnahmen aus den Gerichtsgebühren die Kosten der Gerichte übersteigen! Wird eine funktionierende Justiz als ein Eckpfeiler einer Demokratie angesehen, sollte es selbstverständlich sein, dass die Justiz - wie dies auch bei der Exekutive der Fall ist - zu einem wesentlichen Teil aus dem allgemeinen Budget finanziert wird.

Reform des Privatstiftungsrechts 

Das Regierungsprogramm sieht eine Reform und Attraktivierung des Privatstiftungsrechts im internationalen Vergleich unter Stärkung der Begünstigtenstellung vor.

Die Attraktivität der österreichischen Stiftung hat in den vergangenen Jahren durch Änderungen im Steuerrecht und die starke Einengung durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs stark gelitten. Der zunehmenden Verlagerung ins Ausland ist Einhalt zu gebieten, da wesentliches Teile der österreichischen Wirtschaft in der Hand von Privatstiftungen liegen und dort gehalten bleiben sollten.

Notwendig ist daher eine Flexibilisierung des Stiftungsrechts, insb. die Möglichkeit, dass auch Begünstige mehr Einfluss gewinnen können. So sollten auch Begünstigte im Stiftungsvorstand und vermehrt im Aufsichtsorgan vertreten sein können, jedenfalls sollten sie ein unbeschränkbares Recht auf Auskunft und Rechnungslegung erhalten.

Da eine Privatstiftung Privatvermögen hält, darf es keine Veröffentlichungspflicht von Bilanzen analog zum UGB geben. Hinsichtlich der Unternehmensbeteiligungen sieht das Gesellschaftsrecht sowieso umfangreiche Veröffentlichungspflichten vor.

Verbandsklage

Zur Verbandsklage sieht das Regierungsprogramm wesentliche Punkte vor. So sollen die qualifizierten Einrichtungen, die alleine berechtigt sein sollen, Klagen nach der einschlägigen (künftigen) EU‑Richtlinie einzubringen, besonders hohe Qualitätsanforderungen erfüllen müssen. Dies zum Schutz der Konsumenten. Zudem ist die EU‑Richtlinie derart umzusetzen, dass das opt-in-Prinzip sowie der Grundsatz, dass die Prozesskosten von der unterlegenen Partei zu zahlen sind (loser-pay-Prinzip), beibehalten wird. Dies ist positiv zu werten.

Vorweg ist anzumerken, dass Österreich durch die sog. Sammelklage ein funktionierendes System kollektiver Rechtsverfolgung besitzt.

Die Wirtschaft ist nicht grundsätzlich gegen Instrumente der kollektiven Rechtsverfolgung, denn auch sie können den fairen Wettbewerb unterstützen. Wesentlich ist, dass ein Gerichtsverfahren dazu dient festzustellen, ob ein geltend gemachter Anspruch zu Recht besteht oder nicht. Derartige Verfahren müssen fair sein, ausgewogen was die Rechte und Pflichten der Verfahrensparteien betrifft. Daher ist es unerlässlich, dass die prozessrechtlichen Grundrechte vollinhaltlich gewahrt bleiben und Einseitigkeiten zu Lasten der Wirtschaft unterbleiben.

Sollen klagende qualifizierte Einrichtungen zum Schutz der Konsumenten besonders hohe Qualitätsanforderungen erfüllen, ist es notwendig, dass sie dies unabhängig davon tun, ob sie nur im Inland oder auch im Ausland Verfahren führen. Der Richtlinienentwurf in der Fassung des Rats sieht diese Qualitätsanforderungen nur für Verfahren im Ausland vor. 

Die zu begrüßende Festlegung auf das opt-in-Prinzip müsste hinsichtlich der Verjährungsthematik auch bedeuten, dass eine Anmeldung der Ansprüche bei Gericht jedenfalls geboten ist, um eine Verjährungsunterbrechung zu bewirken (vgl. dt. Musterfeststellungsverfahren).


Gewerberecht und Berufsrecht

Aus gewerberechtlicher Sicht enthält das Regierungsübereinkommen zahlreiche positive Punkte.

Besonders erfreulich ist die Absicht der neuen Bundesregierung, Gewerbe und Handwerk stärken zu wollen. Dies soll unter anderem durch die Förderung des Prinzips „Reparieren statt Wegwerfen“ und andere Anreizmaßen erfolgen.

Die Berufsbildung soll aufgewertet und modernisiert werden und ein eintragungsfähiger Titel für den Meister in offizielle Dokumente geschaffen werden. Die Weiterbildung der Unternehmerinnen und Unternehmer soll unterstützt und die Übergabe von Betrieben erleichtert werden.

Wiederum enthalten ist eine langjährige Forderung der WKÖ, die Gründung von interdisziplinären Gesellschaften zu ermöglichen.

Erfreulich im Bereich der Sharing Economy ist auch, dass sich die Bundesregierung für mehr Gerechtigkeit einsetzen will. So soll es im Tourismus eine Registrierungspflicht für touristische wie auch private Vermieter geben und die Nutzung von privatem Wohnraum auf 90 Tage beschränkt werden. Ein besonderes Anliegen in diesem Zusammenhang ist auch, die Einhebung der Ortstaxe sicherzustellen. 

Weitere Vorhaben im gewerberechtlichen Bereich sind z.B.

  • die Schaffung von klaren und verbindlichen Qualitätsstandards für private Sicherheitsunternehmen sowie die Entwicklung eines Berufsbildes „Privater Sicherheitsdienstleister“ mit standardisierter Grundausbildung und Lehrberuf
    oder
  • die Sicherstellung und Weiterentwicklung von Qualitätsstandards im Bereich der 24 Stunden Betreuung

Verkehrsrecht 

Das neue Regierungsprogramm 2020-2024 will im Verkehrs- und Infrastrukturbereich, der eng mit dem Klimaschutz verbunden ist, einen Ausgleich zwischen Ökologie und Ökonomie schaffen. Aus Sicht der WKÖ scheint dieses ambitionierte Ziel durch Umsetzung des Regierungsprogramms grundsätzlich erreichbar. Einige Maßnahmen sind als durchaus positiv zu begrüßen. Andere Vorhaben bedürfen noch einer konkreten Ausgestaltung und sind daher als eher programmatisch zu beurteilen. In diesen noch unkonkreten Bereichen ergibt sich jedoch für die WKÖ die Möglichkeit, sich bei der Umsetzung gestalterisch im Sinne der österreichischen Wirtschaft und des Standorts einzubringen. 

Als Erfolge für Österreichs Wirtschaft sind jedenfalls die folgenden Regierungsvorhaben zu bewerten:

  • Senkung der Energieabgabe auf Bahnstrom und Zweckwidmung für günstigere Tickets
  • Strategie zur Verwendung alternativer Energieträger in der Mobilität und im Güterverkehr mit Fokus auf die Klimabilanz (E-Mobilität, Wasserstoff, synthetische Treibstoffe)
  • ·Bekenntnis zur Aufnahme geeigneter Strecken in das TEN-Netz
  • Prüfung einer eigenen Mautkategorie für Autobusse bzw. Reisebusse
  • Umsetzung des Single European Sky
  • Evaluierung der österreichischen Flugsicherung
  • Ausbau trimodaler Verkehrsknoten und Einbau der Schifffahrt in Logistikketten 

Als grundsätzlich positiv sind die nachstehende Vorhaben zu begrüßen, wobei es von der tatsächlichen inhaltlichen Ausgestaltung abhängen wird, inwiefern die Wirtschaft die relevanten Punkte unterstützen kann. Sicherzustellen ist jeweils, dass die ehrgeizige Finanzierung dieser Projekte nicht zu Lasten der Wirtschaft geht:

  • Mobilitätsmasterplan 2030
  • Sicherstellung eines weitgehend stündlichen, ganztägigen ÖV-Angebots in ganz Österreich
  • 1-2-3 Österreich-Ticket und eine nationale Buchungsplattform für alle Ticketsysteme des öffentlichen Verkehrs
  • Öffi-Milliarden jeweils für Nah- und Regionalverkehr
  • Bürokratieabbau im Straßenverkehr, der grundsätzlich den Positionen der Wirtschaft entspricht
  • für das Zielnetz 2040 angekündigte Maßnahmen
  • Bekenntnis zum Ausbau und zur Aufnahme geeigneter Strecken in die TEN-Netze; hier sind aus unserer Sicht insbesondere die Phyrn-Schober- und Tauern-Achsen einzubeziehen und entsprechend der multimodalen Ausrichtung der TEN-Korridore auch die Straßeninfrastrukturen mitzudenken (wie z.B. die S1-Donauquerung)

Andere Vorhaben sind differenziert zu betrachten und die jeweiligen konkreten Entwicklungen sind abzuwarten: 

  • Beim Micro-ÖV ist erfolgreichen Modellen, in denen die gewerblichen Personenbeförderer eingebunden wurden, zu folgen.
  • Die vereinbarten Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit begrüßen wir grundsätzlich, allerdings sollten die Maßnahmen im Ergebnis nicht zu einer Benachteiligung des motorisierten Verkehrs führen.
  • Die Absicherung und ein allfälliger Ausbau der Fahrgastrechte darf nur im unionsweiten Einklang erfolgen. Die Mitwirkungspflichten der Unternehmen in Schlichtungsverfahren – die laut Regierungsprogramm beibehalten werden sollen - lehnen wir nach wie vor ab.
  • Das Rad- und Fußgängerverkehrspaket sowie der Ausbau von Fahrradinfrastrukturen sind zukunftsorientiert. Die noch konkret zu formulierenden Maßnahmen dürfen jedoch nicht dazu führen, dass der öffentliche Verkehr in seiner fahrplangebundenen Aktivität behindert wird.
  • Der Masterplan Güterverkehr muss unter enger Einbindung der Wirtschaft formuliert und erstellt werden, um eine wirtschaftsverträgliche und den Wettbewerb nicht verzerrende Ausgestaltung sicher zu stellen.
  • Veränderungen des Mautsystems dürfen nur im unionsweiten Einklang umgesetzt werden und dürfen die heimische Wirtschaft keinesfalls noch weiter benachteiligen. 

Wichtig ist jetzt die beherzte Umsetzung der positiven Maßnahmen und die konsequente Einbindung der WKÖ durch die Politik bei der Formulierung jener Maßnahmen, deren konkrete Ausgestaltung für die österreichischen Unternehmen und den Standort sensibel ist.


Öffentliches Recht und Wettbewerb


Neues zum Kumulationsprinzip 

EuGH 12.9.2019, C‑64/18 Maksimovic 

Das EuGH Urteil vom 12.9.2019 in der Rechtssache Maksimovic ua, C-64/18, C-140/18, C-146/18 und C-148/18 erhöht den Druck zur Reform des Verwaltungsstrafrechts. Die Kritik des EuGH betrifft dabei schwerpunktmäßig das Kumulationsprinzip im Verwaltungsstrafrecht. 

Im sogenannten „Andritz Fall“ ging es um behauptete Verstöße gegen die Pflicht zur Bereithaltung von Lohnunterlagen und Entsendebestätigungen (§ 7d AVRAG bzw. § 28 LSD-BG und § 28 Abs 1 AuslBG) für kroatische Arbeitnehmer auf einer Baustelle. Vier Vorstände der Andritz AG wurden zu Geldstrafen von jeweils rund € 2,5 Mio. verurteilt. Zu diesen Strafhöhen kam es, weil die Strafbestimmungen des LSD-BG und des AuslBG Mindeststrafen und eine Kumulierung von Verwaltungsstrafen je betroffenen Arbeitnehmer vorsehen. Hinzu kommen Kosten aufgrund der Verfahrenskostenbeteiligung (§ 52 VwGVG). Für den Fall der Uneinbringlichkeit sind Ersatzfreiheitsstrafen vorgesehen (§ 16 VStG).

Das LVwG Steiermark rief den EuGH an, der im September 2019 feststellte, dass die exorbitant hohen Geldstrafen nicht mit der Dienstleistungsfreiheit vereinbar sind. Begründend wurde ua ausgeführt, dass das Zusammenwirken der Kumulation, der Mindeststrafen, der Ersatzfreiheitsstrafen sowie des Verfahrenskostenbeitrags zu Strafen führen, die in keinem angemessenen Verhältnis zur Schwere der geahndeten Verstöße stehen und somit eine unzulässige Einschränkung des Art 56 AEUV (Dienstleistungsfreiheit) darstellen. Die wirksame Durchsetzung könnte auch mit weniger einschränkenden Maßnahmen (zB der Auferlegung von Geldstrafen in geringerer Höhe oder einer Höchstgrenze für solche Strafen) gewährleistet werden. 

VwGH 15.10.2019, Ra 2019/11/0033 bis 0034-6 

Ende Oktober 2019 wurde eine Entscheidung des VwGH veröffentlicht, in der über die Auswirkungen des EuGH-Andritz-Urteils entschieden wurde: Der VwGH hat in einem Revisionsfall, in dem es ebenfalls um die Nichtbereitstellung von Lohnunterlagen für mehrere nach Österreich entsendete Arbeitnehmer ging, die (pro Arbeitnehmer) verhängten Strafen aufgehoben.

Der VwGH führte aus, dass es zwar grundsätzlich mit dem Unionsrecht vereinbar sei, wenn die Sanktion von der Zahl der betroffenen Arbeitnehmer abhängt. Bei der Bemessung der Geldstrafen ist jedoch zu berücksichtigen, dass diese auch in ihrer Summe in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der geahndeten Verstöße stehen müssen. Insgesamt dürfen die Strafen daher kein unverhältnismäßiges Ausmaß erreichen. Eine Unionsrechtskonformität kann „am ehesten“ hergestellt werden, indem die Wortfolge, welche die Kumulierung vorsieht, bei der Strafbemessung unangewendet bleibt. Um die Unionsrechtskonformität herzustellen, ist es daher ein zwingendes Erfordernis, dass nur mehr eine einzige Strafe verhängt werden darf (auch wenn mehrere Arbeitnehmer betroffen sind). Die Ersatzfreiheitsstrafe gemäß § 16 VStG stellt ebenfalls eine nicht verhältnismäßige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit dar. Der Verfahrenskostenbeitrag ist jedoch nicht per se unionsrechtswidrig. 

VfGH 27.11.2019, E 2893-2896/2019 

Auch der VfGH hat die Judikatur des EuGH aufgegriffen und eine Verwaltungsstrafe iHv € 27.000 aufgehoben. Hintergrund: Ein slowenisches Unternehmen hat slowenische Arbeitnehmer nach Österreich entsendet. Es wurden Strafen wegen Meldeverstößen (§ 26 Abs 1 LSD-BG) und Nichtübermittlung von Lohn- und Sozialversicherungsunterlagen (§ 27 Abs 1 LSD-BG) in Höhe von rund € 27.000 ausgesprochen. 

Dem Urteil des EuGH in der Rs Maksimovic folgend, verstoßen laut VfGH auch die Strafbestimmungen des § 26 Abs 1 LSD-BG und § 27 Abs 1 LSD-BG gegen Unionsrecht, da nicht gewährleistet ist, dass die Geldstrafen in ihrer Summe in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der geahndeten Verstöße stehen. Das LVwG Steiermark hat den angefochtenen Erkenntnissen eine innerstaatliche gesetzliche Vorschrift zugrunde gelegt, die offenkundig dem Unionsrecht widerspricht. Eine derartige Gesetzesanwendung ist einer Gesetzlosigkeit gleichzuhalten. Der Beschwerdeführer ist in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums nach Art 1 des 1. ZPEMRK verletzt. 

Fazit 

Kernaussage des EuGH-Urteils ist die Feststellung, dass Strafen verhältnismäßig sein müssen, das heißt, die Härte der Sanktion muss der Schwere des Verstoßes entsprechen. Diese Verhältnismäßigkeit wird insbesondere durch das Kumulationsprinzip verletzt. Auch Mindeststrafen und Ersatzfreiheitsstrafen können in Verbindung mit dem Kumulationsprinzip zu Unverhältnismäßigkeiten führen.

In allen Entscheidungen geht es um die Entsendung von Arbeitnehmern nach Österreich, somit um einen grenzüberschreitendenden Sachverhalt. Für rein inländische Sachverhalte lässt sich keine unmittelbare Rechtsfolge ableiten. Die Entscheidung könnte aber dennoch Auswirkungen auf die Strafbemessung bei rein innerstaatlichen Sachverhalten haben, da eine Inländerdiskriminierung und damit ein Verstoß gegen Art 7 B-VG (Gleichheitsgrundsatz) vorliegen könnte.

Solange es noch keine legistischen Anpassungen gibt, sind Behörden und Gerichte derzeit dazu angehalten, die entgegenstehenden Bestimmungen des österreichischen Rechts unangewendet zu lassen. Das Arbeitsministerium vertritt die Rechtsansicht, dass die betroffenen Strafnormen nicht gänzlich nichtig sind, sondern nur das Kumulationsprinzip außer Acht zu lassen ist. 

Die Erkenntnisse bestätigen, dass die derzeitigen Verwaltungsstrafen in vielen Fällen über das Ziel hinausschießen und daher eine Anpassung des verwaltungsstrafrechtlichen Kumulationsprinzips dringend notwendig ist. Auch das Regierungsprogramm sieht eine Reform des Kumulationsprinzips im Verwaltungsstrafrecht ausdrücklich vor (Seite 14). 

Mag. Timna Kronawetter


Öffentliche Auftragsvergabe: neue Ausschreibungsinformationen vom ANKÖ

Der Auftragnehmerkataster Österreich (ANKÖ) bietet allen Unternehmerinnen und Unternehmern neue Ausschreibungsinformationen auf der ANKÖ Donau Seite.

Die Plattform bietet einen kostenlosen Überblick über aktuelle Ausschreibungen im Unterschwellenbereich zB in Ungarn, der Slowakei, Polen mit einem direkten Link zu den Ausschreibungsunterlagen. Weiters findet man auf dieser Seite alle wichtigen Informationen zu den Eignungs- und Veröffentlichungsvorschriften des jeweiligen Landes. Bei Rückfragen unterstützen auch die AußenwirtschaftsCenter der WKÖ im jeweiligen Land. 

Dr. Annemarie Mille 


Überarbeitung der Bauprodukte-Verordnung und des Bauprodukte-Acquis 

Die Bauprodukte-Verordnung (BPV) regelt den Binnenmarkt für Bauprodukte und die CE-Kennzeichnung für Produkte, die in den Geltungsbereich der Verordnung fallen. Ziel ist es, den Baustoffherstellern das Inverkehrbringen beziehungsweise Vermarkten ihrer Produkte in den Ländern des europäischen Binnenmarktes zu erleichtern. 

In der Mitteilung der Europäischen Kommission vom 11.12.2019 „Der europäische Grüne Deal“, kündigt diese die Überarbeitung der BPV an um sicherzustellen, dass den Erfordernissen der Kreislaufwirtschaft entsprochen wird.

Ergänzend dazu erklärt die Europäischen Kommission in ihrer Mitteilung vom 17.12.2019 „Jährliche Strategie für nachhaltiges Wachstum 2020“ den europäischen Green deal zur neuen Wachstumsstrategie. Wesentliche Teil davon ist die Förderung der Kreislaufwirtschaft.

Die geplante Überarbeitung basiert auch auf den Ergebnissen der entsprechenden Evaluierung der BPV in den Vorjahren.

Zusätzlich hat die Europäische Kommission mitgeteilt, unabhängig von einer Änderung der BPV auch einen Prozess aufzusetzen, mit dem der Acquis für Bauprodukte (alle delegierten Rechtsakte, Umsetzungsrechtsakte und harmonisierte technische Spezifikationen) überprüft und überarbeitet werden soll, da das derzeitige System nicht funktioniere.

Die konkreten Gespräche mit den Mitgliedsstaatenländern sowie den betroffenen Organisationen zu den erforderlichen Änderungen haben im Jänner begonnen.

Mag. Erhard Pollauf


Kartellrecht und Schiedsgerichtsbarkeit 

Anlässlich des 41. CompetitionTalks der Bundeswettbewerbsbehörde am 18.12.2018 ist das Thema „Schiedsgerichtsbarkeit und Wettbewerb“ verstärkt in das Blickfeld des wettbewerbsrechtlichen Fachpublikums geraten. Im Rahmen der Schiedsgerichtsbarkeit werden individuelle Ansprüche abseits des staatlichen Rechtswegs verfolgt, wobei das Wettbewerbsrecht eine wesentliche Komponente bei der Geltendmachung überwiegend internationaler Ansprüche bzw. zur Abwehr solcher Ansprüche darstellt.

Aus dieser Veranstaltung heraus wurde die Idee geboren - ähnlich dem zwischen der Bundeswettbewerbsbehörde und der Wirtschaftskammer Österreich gemeinsam erstellten Produkt „Kartellrecht und Compliance“ - eine neue Broschüre zu entwickeln, welche sich diesem wenig beachteten aber in der Verfahrenspraxis nicht unwesentlichen Teilbereich des wettbewerbsrechtlichen Private Enforcements widmet. In einer Kooperation zwischen der RP Abteilung, der VIAC (Vienna International Arbitral Center; Schiedsinstitution der WKÖ) und der BWB wurde die Broschüre „Kartellrecht und Schiedsgerichtsbarkeit“ im November 2019 fertiggestellt und anlässlich des 17. Wettbewerbssymposiums in der Wirtschaftskammer vorgestellt. Die Broschüre lässt sich als E-Paper hier herunterladen.

Dr. Theodor Taurer, LL.M., MBA 


Projekt „Wettbewerb und Digitalisierung“ - ein Statusbericht 

In den Jahren 2010 und 2014 wurden im Rahmen des Beirats für Wirtschaft- und Sozialfragen auf Sozialpartnerebene Studien zur weiteren Entwicklung der Wettbewerbspolitik in Österreich erarbeitet. Zur Fortführung dieser Sozialpartnerinitiative hat sich neuerlich eine Arbeitsgruppe Wettbewerb bestehend aus ExpertInnen der Bundesarbeitskammer, Industriellenvereinigung, österreichischer Gewerkschaftsbund, Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern und der WKÖ gebildet; Themenschwerpunkt ist dieses Mal der Bereich „Wettbewerb und Digitalisierung“. Neben der Beschäftigung mit den nationalen und internationalen Erkenntnissen und Erfahrungen zu den Auswirkungen der Digitalisierung in der Wettbewerbspolitik sowie in der Rechtsanwendungspraxis durch die Wettbewerbsbehörden widmet sich die Arbeitsgruppe auch der Erarbeitung von Empfehlungen für eine Novelle des Kartell- und Wettbewerbsrechts, welche spätestens 2021 in Kraft treten soll. Neben der Auswertung internationaler Erfahrungsberichte führt die Arbeitsgruppe laufend Gespräche mit ExpertInnen aus Wissenschaft und Praxis. Mit einem Abschluss der Arbeiten ist bis zum Sommer 2020 zu rechnen. 

Dr. Theodor Taurer, LL.M., MBA


Zivil-, Unternehmens- und Gesellschaftsrecht


Lauterkeitsrecht

Die EU-Richtlinie zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften der Union legt auch lauterkeitsrechtliche Bestimmungen fest, die wohl im UWG umgesetzt werden. So ermöglicht die Richtlinie die Erlassung von Bestimmungen gegen unerbetene Hausbesuche und Werbefahrten.

Die Vermarktung einer Ware in einem Mitgliedstaat als identisch mit einer in anderen Mitgliedstaaten vermarkteten Ware, obgleich sich diese Waren in ihrer Zusammensetzung oder ihren Merkmalen wesentlich voneinander unterscheiden, wird als irreführend normiert. Anlass war die medienwirksame Diskussion der unterschiedlichen Qualität gleicher Lebensmittel der denselben Marken in unterschiedlichen Mitgliedstaaten.

Die Richtlinie räumt dem Verbraucher einen Schadenersatzanspruch ein und sieht auch in bestimmten Fällen Strafen vor, die im gerichtlichen oder im Verwaltungsverfahren verhängt werden können. In Ausnahmefällen können Geldbußen bis zu mindestens 4 % des Jahresumsatzes des Gewerbetreibenden in dem (den) betreffenden Mitgliedstaat(en) vorgeschrieben werden. 

Dr. Christian Handig 


Verkauf auf einer Messe - Rücktrittsrecht bei Ansprechen von Kunden am Gang 

Zum Geschäftsabschluss auf einer Messe und dem diesbezüglichen Rücktrittsrecht gibt es eine weitere Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes. 

Bekanntermaßen hat der EuGH in seine Entscheidung C-485/17 feststellte, dass der Messestand eines Unternehmers ein Geschäftsraum ist, wenn ein Durchschnittsverbraucher aufgrund seines Erscheinungsbildes, der auf der Messe verbreiteten Informationen und aller anderen Umstände damit rechnen muss, dass der Unternehmer dort geschäftlich tätig ist und ihn zu kommerziellen Zwecken anspricht. Mit dieser Entscheidung wurde auch die OGH Entscheidung 3 Ob 237/16y bestätigte.

In der Entscheidung vom 17.12.2019 (C-465/19) stellte der EuGH allerdings fest, dass dem Verbraucher unter Umständen auch bei einem an einem Messestand abgeschlossen Vertrag das 14-Tägige Widerrufsrecht gemäß RL 2011/83 zustehen kann. Dies ist dann der Fall, wenn der Verbraucher persönlich und individuell am Gang einer Ausstellungsmesse, der verschiedenen Verkaufsmessen gemeinsam zur Verfügung steht, angesprochen und unmittelbar danach ein Vertrag am Messestand abgeschlossen wurde. Hier handelt es sich nämlich um einen außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrag, bei dem der Verbraucher möglicherweise psychisch unter Druck stehen oder einem Überraschungsmoment ausgesetzt sein kann.

Mag. Martina Weginger 


Gewerberecht und Berufsrecht


Gütesiegel „Staatlich geprüft“ – Neues Gütesiegel für staatlich geprüfte Unternehmer und Unternehmerinnen stärkt die qualifizierten Betriebe! 

Unternehmen, deren Inhaber oder gewerberechtlicher Geschäftsführer eine staatliche Befähigungsprüfung für Gewerbe mit Qualifikationserfordernis (ausgenommen Handwerke) erfolgreich abgelegt hat, dürfen bei der Namensführung und bei der Bezeichnung der Betriebsstätte den Begriff „staatlich geprüft“ verwenden.

Auf Vorschlag der Wirtschaftskammer Österreich hat die Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort dazu, ähnlich zu dem schon länger existierenden Meisterbetrieb-Gütesiegel, ein eigenes entsprechendes Gütesiegel „staatlich geprüft“ für reglementierten Gewerbe, die keine Handwerke sind, geschaffen. 

Wer darf das Siegel führen? 

Seit Erlassung der Verordnung am 29.November 2019 darf dieses Gütesiegel freiwillig von einem Unternehmen geführt werden, dessen Inhaber oder gewerberechtlicher Geschäftsführer eine staatliche Befähigungsprüfung erfolgreich abgelegt hat. 

Für welche Gewerbe gilt das Siegel? 

Das Gütesiegel „staatlich geprüft“ gilt für 52 reglementierten Gewerbe, für die eine Befähigungsprüfung vorgesehen ist. 

Wie sieht das Siegel aus? 

Dieses Siegel ist stilisiert an das Bundeswappen angelehnt.

Der kreisförmige Schriftzug bezeichnet die jeweilige Qualifikation verbunden mit der Feststellung „staatlich geprüft“.

Wie darf ich dieses Siegel verwenden? 

Dieses Siegel kann freiwillig von jedem berechtigten Unternehmer verwendet werden.

Die Farbgebung hat grundsätzlich dem Muster der Verordnung zu entsprechen. Die nicht in Schwarz dargestellten Teile des Musters dürfen auch in Schwarz wiedergegeben werden. 

Auch die Größe des Siegels darf variieren, wobei aber die durch die Verordnung vorgegebenen Relationen eingehalten werden müssen. 

Zulässige Verwendungen sind beispielsweise:

Auf den Geschäftspapieren, im Internetauftritt, in der Werbung, auf Geschäftsautos, am Geschäftsportal etc. 

Nicht zulässig ist die Verwendung des Gütesiegels auf Waren und Produkten. 

Wo bekomme ich das Siegel? 

Die Vorlage für das nach der Qualifikation für Ihr Unternehmen und ihre Tätigkeit passende Gütesiegel „staatlich geprüft“ können Sie downloaden unter www.wko.at/guetesiegel.

Die Verordnung finden Sie unter https://www.ris.bka.gv.at/ 

Gütesiegel „Meisterbetrieb“ und „staatlich geprüft“ darf auch bei Gutachten etc. verwendet werden. 

Das Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort hat die Rechtsmeinung der Wirtschaftskammer Österreich bestätigt, dass die Gütesiegel „Meisterbetrieb“ und „staatlich geprüft“ auch bei der Erstellung von Gutachten, Befunden und der Durchführung von Untersuchungen verwendet werden dürfen, soweit diese Tätigkeiten im Rahmen der Gewerbeausübung erfolgen. 

Damit können Gewerbetreibenden gerade bei diesen anspruchsvollen Aufgaben ihre Qualifikation mit ihrem Gütesiegel deutlich zeigen.


Geldwäschenovelle 2019 – Umsetzung der 5. EU-Geldwäsche-Richtlinie und Anpassungen an die 4. EU-Geldwäsche-Richtlinie 

Zur Umsetzung der 5. EU-Geldwäsche-Richtlinie und für weitere Anpassungen an die 4. EU-Geldwäsche-Richtlinie hat das Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort im Spätherbst 2019 den Gesetzesentwurf für eine Änderung der Gewerbeordnung 1994 (Geldwäschenovelle 2019) in Begutachtung gegeben. 

Wesentlichste Inhalte der Novelle für die betroffenen Gewerbetreibenden: 

  • Gewerbetreibende, die den Geldwäschebekämpfungsbestimmungen unterliegen und als Mittler (=Strohmänner) für aufgrund einschlägiger Verurteilungen von der Gewerbeausübung ausgeschlossene Personen fungieren oder solche Mittler in ihrem Gewerbebetrieb in leitender Position dulden, werden sanktioniert.  
  • Handel, Versteigerung, Lagerung und Vermittlung von Kunstwerken fallen unter die Geldwäschebekämpfungsbestimmungen, wenn sich der Wert der Transaktion auf 10.000 EUR (bar oder unbar!) oder mehr beläuft.
  • Immobilienmakler haben bei der Vermietung Identifizierungs- und Sorgfaltspflichten, wenn sich die monatliche Miete auf 10.000.- Euro oder mehr beläuft.
  • Versicherungsvermittler, die als Erwerber auftreten, dürfen Zahlungen mit in Drittländern ausgestellten anonymen Guthabenkarten nur unter bestimmten, sehr eingeschränkten Bedingungen akzeptieren.
  • Verbot der Führung anonymer Konten, anonymer Sparbücher und anonymer Schließfächer für Versicherungsvermittler.
  • Weitergehende und tiefergehende Sorgfalts- und Überprüfungspflichten gegenüber wirtschaftlichen Eigentümern, die Angehörige der Führungsebene sind, gegenüber Gesellschaften oder anderen juristischen Personen, Trusts oder trustähnlichen Strukturen.
  • Konkretisierung und Vertiefung der verstärkten Sorgfaltspflichten gegenüber Kunden bei Geschäftsbeziehungen oder Transaktionen, an denen Drittländer mit hohem Risiko beteiligt sind.
  • Ausdrückliche Klarstellung, dass der Gewerbetreibende in Zuge einer Verdachtsmeldung auf Geldwäsche der Geldwäschemeldestelle auf Verlangen unmittelbar alle erforderlichen Auskünfte zur Verfügung zu stellen hat.
  • Weitergehende Verordnungsermächtigungen des Wirtschaftsministeriums im Hinblick auf Länder mit hohem Risiko für Geldwäsche-und Terrorismusfinanzierung. 

Position der Wirtschaftskammer Österreich dazu: 

Der Wirtschaftskammer Österreich ist bewusst, dass bei der Umsetzung von europäischen und internationalen Geldwäschebekämpfungsbestimmungen in österreichisches Recht der Gestaltungsspielraum für Änderungen und die Verwendung passenderer Begriffe begrenzt ist.

Trotzdem fordern wir in unserer Stellungnahme an Wirtschaftsministerium und Parlament, dass beachtet werden muss, dass das österreichische Gewerbe überwiegend aus Klein- und Kleinstbetrieben besteht und in manchen Branchen Ein-Personen-Unternehmen überwiegen.

Die vielfältigen Verpflichtungen aus den Regelungen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung sind vielfach für solche Unternehmen nicht mehr nachvollziehbar bzw. nur unter erhöhtem organisatorischem Aufwand zu erfüllen. Die Anforderungen an solche Unternehmen müssen angemessen bleiben. Daher müssen die in den europäischen Vorschriften vorgesehenen möglichen Erleichterungen für die Unternehmen umgesetzt werden und sollte nicht über die verpflichtende Umsetzung hinausgegangen werden.

Ebenfalls muss berücksichtigt werden, dass in Österreich bei gewerblichen Tätigkeiten, die den Geldwäschebekämpfungsbestimmungen unterliegen, wie beispielsweise bei Immobilientransaktionen und Versicherungsvermittlung, vielfach Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen, Notare und Rechtsanwälte beteiligt sind.

Solche Unternehmen, die ebenfalls den Prüf- und Sorgfaltspflichten zur Geldwäschebekämpfung unterliegen, können diese schon aufgrund ihres Organisationsgrades bzw. aufgrund ihrer beruflichen Kerntätigkeit weitaus intensiver durchführen.  


Vertretungsrecht der Unternehmensberater vor den Landesverwaltungsgerichten kann mit guten Gründen bejaht werden 

Unternehmensberater sind zur berufsmäßigen Vertretung des Auftraggebers vor Behörden berechtigt (§ 136 Abs 3 GewO 1994).

Das Landesgericht Klagenfurt entschied, dass es eine vertretbare Rechtsansicht ist, dass diese Bestimmung auch dazu berechtigt, eine Bescheidbeschwerde an das Landesverwaltungsgericht einzubringen. Das Verhalten stellt keinen Eingriff in die Rechte der Rechtsanwälte dar. Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Daraus ergibt sich nunmehr sowohl durch juristische Literatur als auch eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung bestätigt, dass die Landesverwaltungsgerichte vom Behördenbegriff des § 136 GewO 1994 umfasst sind. 

Die gesamte Entscheidung ist auf der Website des Fachverbandes Unternehmensberatung, Buchhaltung und Informationstechnologie abrufbar (LG Klagenfurt, 70Cg2/19t). 

DDr. Leo Gottschamel 


EuGH: „Airbnb ist Dienst der Informationsgesellschaft“ 

Mit seinem Urteil vom 19. Dezember 2019 Rs C-390/18 hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die Vermittlung von Wohnungen zur Kurzzeitvermietung über die Plattform Airbnb einen „Dienst der Informationsgesellschaft“ darstellt.

„Ein Vermittlungsdienst, der darin besteht, über eine elektronische Plattform gegen Entgelt eine Geschäftsbeziehung zwischen potentiellen Mietern und gewerblichen oder nicht gewerblichen Vermietern, die kurzfristige Beherbergungsleistungen anbieten, anzubahnen, und gleichzeitig auch einige Zusatzleistungen zu diesem Vermittlungsdienst zur Verfügung zu stellen, [ist] als „Dienst der Informationsgesellschaft“ einzustufen […].“ 

In seiner Entscheidung hat der Gerichtshof damit auch festgehalten, dass Airbnb nicht die Tätigkeit eines Immobilienmaklers ausübe und deshalb auch keine Gewerbeberechtigung brauche. Der EuGH hat darüber hinaus erläutert, dass ein Vermittlungsdienst grundsätzlich einen von der nachfolgenden Dienstleistung, auf die er sich bezieht, unabhängigen „Dienst der Informationsgesellschaft“ darstellt.

Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der Vermittlungsdienst offensichtlich ein integraler Bestandteil einer Gesamtdienstleistung ist, deren Hauptbestandteil rechtlich anders einzustufen ist. Im Fall von Airbnb hat der Gerichtshof entschieden, dass der Vermittlungsdienst im Verhältnis zu den Beherbergungsleistungen im Wesentlichen in der Präsentation und Unterstützung bei der Suche der vermietenden Unterkünfte besteht und damit nicht als bloße Ergänzung der Gesamtdienstleistung „Beherbergung“ gesehen werden kann. Dieser Vermittlungsdienst sei für die Gesamtleistung auch nicht unverzichtbar, da weiterhin die Möglichkeit besteht, den Beherbergungsbetrieb auf andere Weise zu kontaktieren.

Da es sich nicht um einen integralen Bestandteil einer Gesamtleistung handle, war Airbnb auch anders zu beurteilen als der Fahrdienst UBER in vorangegangenen Urteilen, der ebenso über Plattformen agiert. Hier wurde die Vermittlung als integraler Bestandteil der Gesamtleistung bejaht (Vgl Asociación Profesional Elite Taxi, C-434/15 oder Uber France,  C-320/16). 

MMag. Dr. Carmen Simon-Klimbacher


Verkehrsrecht


Wien will mit 2021 ein Rechtsabbiegeverbot für Lkw ohne Abbiegeassistenten verordnen 

Medial bereits breit kolportiert und seitens der Wirtschaft kritisiert, plant der Magistrat der Stadt Wien im gesamten Ortsgebiet der Stadt Wien das Rechtsabbiegen für Lastkraftfahrzeuge ohne Abbiegeassistenzsystem mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von über 7,5 t ausnahmslos zu verbieten. Das Verbot soll am 01.01.2021 in Kraft treten und mit einer Förderung für die Nachrüstung von Lkw mit Assistenzsystemen flankiert werden.

Der Entwurf wird im Wesentlichen damit begründet, dass durch die Maßnahme die Verkehrssicherheit in Wien erhöht werden soll. Nach den Erläuterungen zum Entwurf sei es keineswegs so, dass Lkw überproportional oft in Unfälle verwickelt wären, die Unfallfolgen im Kollisionsfall mit Fußgänger und Radfahrern seien jedoch beträchtlich höher als bei einer Kollision mit Pkw. Dabei seien Rechtsabbiegeunfälle mit Lkw, auch wenn sie statistisch sehr selten vorkommen, besonders gefährlich.

Die WKÖ unterstützt seit je her und grundsätzlich jede taugliche Maßnahme zur Erhöhung der Verkehrssicherheit und hat dies durch die Initiierung von und Teilnahme an zahllosen Verkehrssicherheitskampagnen und verkehrsrechtlichen Gesetzesvorhaben unter Beweis gestellt. Wir sprechen uns traditionell für Gesetzesvorhaben im Gleichklang mit europäischen Rechtsvorschriften aus und kritisieren Maßnahmen, die den Binnenmarkt und den freien Warenverkehr behindern.

Die WKÖ lehnt daher Rechtsabbiegeverbote keineswegs generell ab. Wir sehen aber nur dort die Notwendigkeit, Maßnahmen zu setzen, wo entsprechende Gefahrenpotentiale vorhanden sind: Dort, wo rechtsabbiegender Schwerverkehr und Fußgänger und Radfahrer gehäuft aufeinandertreffen, sind gezielte und taugliche Maßnahmen zu setzen. Im Sinne des ultima ratio-Gedankens sollten vor der Verhängung von flächendeckenden Rechtsabbiegeverboten gelindere, wissenschaftlich erwiesene, sicherheitsfördernde Maßnahmen umgesetzt werden.

Ob das geplante Verbot die Verkehrssicherheit in Wien nämlich tatsächlich erhöhen kann, ist nicht nur aus folgenden Gründen zu bezweifeln: 

  • LKW-Lenker werden versuchen, durch Linksabbiegen ihre Ziele zu erreichen, was in einigen, beileibe aber nicht in allen Fällen auch möglich sein wird. Das aber verlängert die Wege und erhöht die Verkehrsbelastung. Diese längeren Wege werden vermehrt durch Wohngebiete führen sowie an Schulen und Kindergärten vorbeiführen. Eine solche Entwicklung kann schon prima facie nicht zu einer erhöhten Verkehrssicherheit führen.
  • Es ist aus verkehrswissenschaftlicher Sicht keineswegs erwiesen, dass Linksabbiegen sicherer wäre als Rechtsabbiegen.
  • Das Verbot wird dazu führen, dass ein schwerer Lkw durch mehrere leichte LKW bzw. eine Fahrt mit einem schweren Lkw durch mehrere Fahrten mit einem leichten Lkw ersetzt wird. Dadurch aber sinkt die Verkehrssicherheit: Auch leichte Nutzfahrzeuge haben tote Winkel. Die Unfallgefahr und -häufigkeit insgesamt könnte dadurch steigen.

Die WKÖ und die WKW haben der Stadt Wien daher vorschlagen, Rechtsabbiegeverbote gezielt nur an solchen Kreuzungen zu verordnen, an denen ein tatsächlicher Sicherheitsgewinn zu erwarten ist. Gelinderen Mitteln, die zu einer Verbesserung der Verkehrssicherheit im Zusammenhang mit dem Rechtsabbiegen führen, wie etwa 

  • Veränderungen von Ampelschaltungen zwecks zeitlicher Trennung von Geradeaus- und Rechtsabbiegeverkehren, womit der unfallträchtige Verkehrskonflikt erst gar nicht entstünde (was die Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen seit Jahren empfehlen),
  • Vorziehen von Haltelinien für den Radverkehr,
  • Montage sogenannter „Trixi“-Spiegel (die Stadt München plant, rund 1.100 Kreuzungen mit solchen Spiegeln auszustatten) und
  • Verlegung von Schutzwegen um einige Meter weg vom unmittelbaren Kreuzungsbereich

sollte jedenfalls der Vorzug gegeben werden.

Nicht aus sachlicher, auch aus rechtlicher Sicht sehen wir das geplante Verbot in seiner Rigorosität kritisch: Verordnungen müssen sachlich und verhältnismäßig iSd verfassungsrechtlichen Gleichheitsgebots sein. Wie ein flächendeckendes Rechtsabbiegeverbot für eine Großstadt ohne die geringste Unterscheidung auf Tatsachenebene nach spezifischen örtlichen und verkehrssicherheitsspezifischen Begebenheiten sachlich und verhältnismäßig sein kann, ist nicht ersichtlich. Die geplante Verordnung könnte gesetzwidrig sein.

Derzeit liegt der Entwurf der Europäischen Kommission im so genannten Informationsverfahren zur Notifizierung vor: Vorschriften, die die Verwendung von industriellen Erzeugnissen beeinflussen, müssen von der Kommission geprüft werden, die Mitgliedstaaten dürfen sich zu solchen Entwürfen äußern. Die Beeinflussung besteht darin, dass in der EU zugelassen Lkw mit einem höchst zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 7,5 t an der Teilnahme am Straßenverkehr in Wien gehindert werden: Viele Ziele in Wien werden allein durch Linksabbiegen nicht mehr erreichbar sein. Das geplante Rechtsabbiegeverbot kommt daher einem faktischen, zeitlich und örtlich unbegrenzten Fahrverbot für in der EU zugelassene Lkw in Wien gleich und behindert damit deren Verwendung iSd RL 2015/1535/EU.

Das geplante Verbot könnte direkt unionsrechtswidrig sein: Mit der EU-Richtlinie über die EU-Typengenehmigung 2007/46/EG wurden die technischen Anforderungen an Kraftfahrzeuge unionsrechtlich vereinheitlicht. Abbiegeassistenten als Ausstattungsmerkmal für Lkw sind unionsrechtlich noch nicht vorgesehen. Die EU-Gesetzgeber haben sich aber im Frühjahr 2019 auf neue Regeln für mehr Sicherheit im Straßenverkehr geeinigt. Dazu gehören verpflichtende Abbiegeassistenten für Busse und LKW bei neuen Fahrzeugtypen ab 2022, für alle neuen LKW und Busse ab 2024.

Die EU-Richtlinie 2007/46/EG bestimmt in Art 4 Abs 3 auch, dass die Mitgliedstaaten die Zulassung, den Verkauf, die Inbetriebnahme oder die Teilnahme am Straßenverkehr von Fahrzeugen nicht unter Verweis auf die von dieser Richtlinie erfassten Aspekte des Baus oder der Wirkungsweise untersagen, beschränken oder behindern dürfen, wenn diese den Anforderungen dieser Richtlinie entsprechen. Assistenzsysteme gehören zu den von der Richtlinie erfassten Aspekten, weil Unionsnormen die geforderten Assistenzsysteme abschließend regeln.

Vor dieser Rechtslage könnte das geplante flächendeckende Rechtsabbiegeverbot für LKW ohne Abbiegeassistenten unionsrechtswidrig sein, weil es unionsrechtlich typengenehmigte Fahrzeuge an der Teilnahme am Straßenverkehr in Wien de facto untersagt, jedenfalls aber beschränkt und behindert. 

Das geplante Verbot könnte auch den freien Warenverkehr im europäischen Binnenmarkt verletzen: Ein grenzüberschreitender Bezug ist allein durch die Randlage Wiens als Wirtschaftsballungsgebiet in unmittelbarer räumlicher Nähe zu den Mitgliedstaaten Ungarn, zur Slowakischen und zur Tschechischen Republik gegeben. Die Auswirkungen eines Lkw-Abbiegeverbotes ohne Abbiegeassistenten werden also nicht nur in anderen österreichischen Bundesländern spürbar sein, sondern auch für Zulassungsbesitzer von Lkw im benachbarten Ausland.

Nun handelt es sich bei dem geplanten Verbot nicht um eine direkt den freien Warenverkehr berührende Norm. Auch ist die geplante staatliche Maßnahme nichtdiskriminierend, weil sie unterschiedslos auf inländische wie ausländische Lkw anwendbar sein soll. Auch eine spürbare Beeinträchtigung des innereuropäischen Handels wird sich allenfalls nicht verwirklichen, die grenzüberschreitenden Auswirkungen sind aber vor dem Hintergrund der beschrieben Randlage Wien keinesfalls rein hypothetischer Natur. 

Das geplante Verbot ist also weder eine Handelsbeschränkung noch eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung. Dennoch ist es eine Maßnahme gleicher Wirkung, weil dadurch der freie Warenverkehr mittelbar und potentiell behindert würde: Einerseits wird dadurch der freie Handel und Verkehr von Lkw mittelbar behindert, weil Lkw ohne Abbiegeassistenzsystem zumindest im Bereich Wiens und der angrenzenden Mitgliedstaaten entwertet werden. Bei der Anschaffung oder beim Weiterverkauf von Lkw zumindest in diesem Bereich der EU wird die Frage, ob das Fahrzeug über ein Assistenzsystem verfügt, zentral werden. Andererseits werden dadurch Warentransporte mit in der EU zugelassenen Lkw ohne Abbiegeassistenzsystem nach Wien direkt behindert. 

All diese Argumente wurden von der WKO im Verordnungsverfahren der Stadt Wien vorgetragen und werden auch der Europäischen Kommission im Rahmen des Informationsverfahrens unterbreitet werden. Die weitere Entwicklung ist mit Spannung abzuwarten.