SPIK - Sozialpolitik informativ & kurz

Newsletter Abteilung Sozialpolitik und Gesundheit 3.10.2022

Lesedauer: 6 Minuten

Aktualisiert am 13.03.2023

Inhaltsübersicht

  • Umfrage zu Smartphone & Laptop am Arbeitsplatz: Arbeitnehmer profitieren
  • Dramatischer Umbruch im Tourismus-Arbeitsmarkt
  • Soziale Lage trotz COVID bis 2022 stabil
  • Österreich unter ferner liefen bei Wachstum der Produktivität
  • Schweiz: Nächster Schritt für eine nachhaltige Pension


Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Telework ist auch auf der EU-Ebene angekommen, wo am 4.10. die Sozialpartnerverhandlungen starten. Ein Thema ist das Recht auf Nicht-Erreichbarkeit. Eine Umfrage zeigt, dass dabei Augenmaß und Gelassenheit gefragt sind, weil auch Arbeitnehmer von Smartphone & Laptop am Arbeitsplatz profitieren.

Der Arbeitsmarkt im Tourismus war in den letzten Jahren eine Achterbahnfahrt. Eine AMS-Studie beleuchtet die Hintergründe.

Trotz COVID war die soziale Lage in Österreich 2021 stabil, die Armutszahlen nach Statistik Austria sogar leicht rückläufig.

Allerdings hinkt Österreich beim Wachstum der Arbeitsproduktivität in der EU hinterher und das seit 2010. Ein Grund ist die rückläufige Arbeitszeit.

Hinterher hinkt Österreich auch beim Pensionsantrittsalter. Die Schweizer haben hingegen für die rasche Anhebung des Frauen-Antrittsalter von 64 auf 65 Jahre gestimmt. Dazu Hintergründe.

Alles Gute!

Rolf Gleißner


Umfrage zu Smartphone & Laptop am Arbeitsplatz: Arbeitnehmer profitieren

Arbeitgeber erwarten selten, dass Arbeitnehmer außerhalb der Dienstzeit erreichbar sind. Hingegen nutzen Arbeitnehmer ihr Diensthandy gern auch privat. Kein Wunder, dass eine Umfrage unter Arbeitnehmern eine hohe Zufriedenheit mit der Praxis zeigt. 

Am 4. 10. starten auf EU-Ebene die Sozialpartner-Verhandlungen zum Telework Agreement. Dieses soll europaweite Spielregeln für Telework und Homeoffice festlegen und dabei, so der Wunsch der Gewerkschaften, auch das Recht auf Nicht-Erreichbarkeit verankern.

In der Praxis ist die ständige Erreichbarkeit allerdings viel weniger ein Problem, als es in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Das zeigt eine market-Umfrage im Auftrag der WKÖ unter 1000 unselbständig Erwerbstätigen. So gaben fast zwei Drittel der Befragten an, dass sie seltener als ein- bis zweimal pro Woche außerhalb der Dienstzeit angerufen werden. Die Telefonate dauern dabei im Schnitt fünf Minuten, für E-Mails außerhalb der Arbeitszeit werden sechs Minuten pro Tag aufgewendet.

Nur bei sieben Prozent der Befragten wird vom Dienstgeber erwartet, dass sie außerhalb der Dienstzeit erreichbar sind. 40 Prozent gaben an, dass sie ihr Diensthandy außerhalb der Arbeitszeit ausgeschalten haben. Das Recht auf Nicht-Erreichbarkeit scheint den Dienstnehmern somit kein dringliches Anliegen zu sein.

Freizeit für Berufliches vs. Arbeitszeit für Privates
© WKÖ

30 Minuten Arbeitszeit pro Tag für private Aktivitäten 

Abgefragt wurde auch, wieweit die Befragten in der Dienstzeit Smartphones für private Zwecke nutzen. Demnach werden pro Arbeitstag ca. 30 Minuten an Arbeitszeit für Privates – Telefonate, Internet, soziale Medien – genutzt, also fast dreimal so viel wie Freizeit für dienstliche E-Mails, Telefonate aufgewandt wird (siehe Grafik).

Das zeigt, dass die Unternehmen hier großzügig sind. Nur 18% der Unternehmen untersagen die private Nutzung von Diensthandy und -PC während der Arbeitszeit. In Summe geht Telearbeit zu einem Großteil auf den Wunsch der Dienstnehmer zurück. 76 Prozent sehen das Arbeiten von zu Hause als Erleichterung aufgrund des Entfalls der Wegzeiten und der flexiblen Arbeitszeiteinteilung.

Fazit 

Die große Mehrheit der Arbeitnehmer ist mit der Praxis bez. Diensthandy und Dienst-PC zufrieden, weil sie von einem Geben und Nehmen geprägt ist. Eingriffe von außen würden diese gute Praxis gefährden. 



Dramatischer Umbruch im Tourismus-Arbeitsmarkt

Das Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft ibw untersuchte kürzlich im Auftrag des AMS den Arbeitskräftebedarf im Tourismus und liefert auch auf andere Branchen übertragbare Erkenntnisse.

Die Beschäftigtenzahl im Tourismus stieg bis zum Rekordjahr 2019 jährlich um 40 000. Im Juli 2022 wurde der Höchststand aus 2019 deutlich übertroffen. Weitere Trends: Die Beschäftigten im Tourismus werden im Schnitt älter und höher qualifiziert, der Anteil mit höherer Schule stieg um 50%, jener mit Uni/FH-Abschluss hat sich verdoppelt. Hingegen sind Homeoffice und Remote Work im Tourismus naturgemäß kaum ein Thema.

Arbeitszeitverkürzung verschärft den Arbeitskräftemangel 

Die Hälfte der Betriebe spürten sogar in der Coronazeit den Fachkräftemangel stark. Trotz Rekordbeschäftigung hat sich der Mangel inzwischen noch verschärft: Mittlerweile fehlen nicht nur Fachkräfte, sondern Arbeitskräfte schlechthin. Ein Grund dürfte sein, dass sich durch die Zunahme von Teilzeit und den Wegfall von Überstunden die durchschnittliche Arbeitszeit verringert hat. Statistik Austria zufolge arbeiteten Arbeitnehmer insgesamt im 2. Quartal 2022 im Schnitt 29,8 Stunden pro Woche, 2019, also vor COVID, waren es noch 30,8 Stunden.

Arbeitszeiten haben auch einen großen Einfluss auf die Attraktivität des Berufs. Dabei werden Wochenend- oder Abenddienste und geteilte Arbeitszeiten, wie im Tourismus üblich, teilweise auch als attraktiv wahrgenommen. Während manche Betriebe nur noch wochentags öffnen, berichten andere von Beschäftigten, die es schätzen, nachmittags Zeit mit ihren Kindern zu verbringen und dafür Arbeitszeiten am Abend in Kauf zu nehmen. Fast jeder Vierte ist im Tourismus geringfügig beschäftigt, insgesamt waren es - mit steigender Tendenz – zuletzt 8,5%. Über 60% davon sind weiblich.

Dabei melden 10% der Betriebe keinen oder nur einen geringen Fachkräftemangel. Das ibw vermutet, dass sie erfolgreiche Strategien entwickelt haben und etwa mit Entwicklungsperspektiven für ihre Beschäftigten oder modernen Rekrutierungsstrategien punkten. 

Dramatischer Mangel an Lehrlingen 

Noch dramatischer ist der Mangel an Lehrlingen im Tourismus: Ende Juli 2022 kam österreichweit auf 10 offene (sofort verfügbare) Lehrstellen nur ein Lehrstellensuchender. Zuletzt stieg die Zahl der Tourismuslehrlinge wieder leicht. Vorarlberg sticht mit einem hohen Anteil von Unternehmen mit Lehrlingen heraus (doppelt so hoch wie in Wien). Es gelingt dort auch besser, Jugendliche für eine Lehre zu gewinnen. Gründe dafür sind u.a. der starke industriell-gewerbliche Sektor, eine langjährige Tradition und viele Initiativen. Vorarlberg und die Schweiz sind hier Vorbilder, die näher studiert werden müssen.

Fazit 

Generelle Trends am Arbeitsmarkt wirken sich im Tourismus besonders stark aus, in der Pandemie in Form hoher Arbeitslosigkeit, aktuell mit einem massiven Mangel an Arbeitskräften. Dabei spielen auch Eigenheiten der Branche – atypische Arbeitszeiten, hoher Teilzeitanteil, etc. – eine Rolle. Der Tourismus ist für eine hohe Beschäftigung vor allem, aber nicht nur in den ländlichen Regionen wesentlich. Umso wichtiger ist eine Arbeitsmarktreform, die Beschäftigungsanreize stärkt und die Kombination geringfügige Beschäftigung/Arbeitslosengeldbezug einschränkt. Dringend sind zudem

  • der Ausbau der Kinderbetreuung, denn die geringfügige Beschäftigung ist überwiegend weiblich,
  • neue Initiativen zur Besetzung der offenen Lehrstellen und
  • Unterstützung insbesondere der KMU bei der Rekrutierung ihrer Arbeitskräfte.

 

Näheres zur Studie: https://ams-forschungsnetzwerk.at/downloadpub/2022_Branchenreport_Tourismus_AMS-ibw.pdf



Soziale Lage trotz COVID bis 2022 stabil

Kürzlich veröffentlichte Statistik Austria die Armutszahlen 2021. Das Ergebnis: Obwohl die Pandemie die Arbeitslosigkeit zeitweise massiv erhöhte und Hunderttausende Arbeitnehmer in die Kurzarbeit trieb, war die soziale Lage stabil.

Die Statistik verzeichnete 2021 208.000 Menschen mit sehr geringem Lebensstandard (erheblich materiell depriviert), das sind etwas weniger als vor COVID (2019 223.000) und halb so viele wie 2008. Übrigens fallen Haushalte mit Pensionen kaum in diese Kategorie.

Die Zahl der „working poor“, der „armutsgefährdeten“ Erwerbstätigen lag bei 297.000 und damit im langjährigen Schnitt, übrigens überwiegend Männer. Anmerkung: Armutsgefährdet bedeutet ein Einkommen unter 60% des Medianeinkommens, was keineswegs mit Armut gleichzusetzen ist.

Die Einkommen waren 2021 noch gleichmäßiger verteilt als in den 10 Jahren zuvor. Der GINI-Koeffizient, die Maßzahl für Ungleichheit, betrug nach OECD 26,7. Österreich lag damit gleichauf mit den skandinavischen Ländern. Deutlich ungleicher sind die Einkommen in Deutschland (30,9) und Italien (32,9) verteilt.

Alle Daten unter: Tabellenband_EUSILC_2021.pdf (statistik.at)



Österreich unter ferner liefen bei Wachstum der Produktivität

2010 bis 2023 ist die Produktivität in Österreich im EU-Vergleich nur schwach gestiegen.

Chart of the Week (wko.at)



Schweiz: Nächster Schritt für eine nachhaltige Pension

Die Schweizer haben sich mehrheitlich für eine Anhebung des Frauenpensionsalters von 64 auf 65 Jahre ausgesprochen. Dabei hat die Schweizer Pensionsversicherung 2021 einen Überschuss von 2,6 Mrd Franken erzielt! In einem Interview erklärt eine Schweizer Expertin für Vorsorge, warum die Anhebung zur Gleichstellung von Frauen beiträgt. Ein Vergleich der Pensionssysteme zeigt: Die Schweiz ist am selben Weg wie Westeuropa, Österreich liegt beim Antrittsalter zwischen Polen und der Türkei.

"Die AHV-Reform wird zur Beseitigung der Ungleichheiten beitragen" - SWI swissinfo.ch

 

Zitat

Bei uns steht die Zeit still. Österreich wird wohl EU-Schlusslicht bleiben, vor der Türkei. Das Pensionsalter in Österreich seiner fantastischen Langlebigkeit von jährlich 71 bis 101 Tagen mehr Lebenserwartung anzugleichen, ist ungefähr so schwierig, wie anderswo Krankfeiern, Steuerhinterziehung oder andere Formen struktureller Korruption abzuschaffen.




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