Hempstatic
© Florian Wieser

Wien-Win für Forschung & Wirtschaft

Mit seiner hohen Dichte an Hochschulen ist Wien eine der größten Universitätsstädte Mitteleuropas. Für die heimischen Betriebe ist die Nähe zu Lehre und Forschung ein wichtiger Standortfaktor.

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Aktualisiert am 17.10.2023

Geschichtsträchtige Welthauptstadt der Musik, Zentrum für Kunst, Kultur und Architektur, lebenswerte City mit Charme, Schmäh und legendärer Kaffeehauskultur - alles Attribute, mit denen Wien gerne in Verbindung gebracht wird. Weitaus seltener wird Österreichs Hauptstadt mit der Tatsache assoziiert, dass sie - gemessen an der Studentenzahl - neben Berlin die größte Universitätsstadt im deutschen Sprachraum ist. Im wirtschaftlichen Kontext ist dieser Umstand ein zentraler Standortfaktor.

200.000 Menschen studieren in Wien

Neun öffentliche und fünf private Universitäten, sechs Fachhochschulen, drei Pädagogische Hochschulen sowie mehrere Post-Graduate Zentren unterstreichen Wiens Rolle als mitteleuropäisches Bildungszentrum. Insgesamt studieren knapp 200.000 Menschen in Wien - ein Zehntel der Wiener Gesamtbevölkerung. Alleine 90.000 davon entfallen auf die Universität Wien, die mit Abstand größte Hochschule des Landes.

Das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo hat in einer Studie aus dem Jahr 2022 die wirtschaftlichen Effekten der heimischen Hochschulen unter die Lupe genommen. Demnach tragen die 200.000 Studenten der Wiener Universitäten durch ihre Lebenshaltungskosten jährlich etwa 1,8 Milliarden Euro zur Wiener Wertschöpfung bei. Auch aus dem laufenden Betrieb der Unis entstehen direkte und indirekte Wertschöpfungseffekte - laut Wifo-Studie insgesamt sieben Milliarden Euro jährlich. Drei Milliarden Euro davon entfallen auf Wien.

Nähe zu Unis ist ein Standortvorteil

Für die Wiener Betriebe bringt die Nähe zu den Universitäten viele Vorteile, etwa was die Verfügbarkeit hochqualifizierter Mitarbeiter betrifft. Im Studienjahr 2021/22 entließen die 23 Wiener Hochschulen 26.000 Absolventen auf den Arbeitsmarkt. Der Akademikeranteil liegt in Wien mit 22 Prozent deutlich über dem Bundesdurchschnitt (13,5 Prozent). Dass drei von zehn Wiener Studenten Nicht-Österreicher sind und an den Hochschulen viele ausländische Wissenschafter lehren und forschen, kann Betrieben dabei helfen, internationale Beziehungen aufzubauen und neue Märkte zu erobern.

Unis forcieren die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft

Die Entwicklung und Umsetzung von Kooperationen mit der Wirtschaft wird von den Hochschulen auch aktiv forciert, beispielsweise in gemeinsamen Projekten der Forschungsförderungsgesellschaft oder über Christian-Doppler-Labore, die an Forschungsstätten eingerichtet und von Betrieben kofinanziert werden. Für die Wiener Unis ist das Zusammenspiel mit der Wirtschaft auch ein lukrativer Faktor.

Allein im letzten Jahr wurden mehr als 70 Millionen Euro an Erlösen aus Forschungskooperationen mit Unternehmen erzielt

Gezielt forciert wird von den Hochschulen auch die Umsetzung von Forschungsergebnissen in marktfähigen Produkten - etwa über Kooperationsplattformen und Business Inkubatoren (siehe dazu Seite 9). Sie eröffnen Betrieben Zugang zu Spitzenforschung und unterstützen universitäre Firmenausgründungen, sogenannte Spin-offs. Und das durchaus erfolgreich: Die Start-up-Datenbank der Wirtschaftsagentur vienna.dealroom.co verzeichnet seit 2019 rund 800 von Hochschul-Absolventen gegründete Start-ups, davon alleine 376 von der TU Wien.

Innovatives Getriebe-Monitoring

Eines davon ist die 2021 gegründete und heuer für den Staatspreis Innovation nominierte Inmox GmbH. Das Unternehmen beschäftigt sich mit der Entwicklung hochsensibler Sensoren, die bei laufendem Betrieb die Beschaffenheit winzigster Abriebpartikel in funktionskritischen Bauteilen wie Getrieben erkennen können. Dieses Echtzeit-Monitoring erlaubt ein rasches und genaueres Einschätzen von Situationen, frühzeitiges Erkennen von Problemen und daher rechtzeitiges Agieren. Einsetzbar sind diese Sensoren etwa in Industrie und Luftfahrt, in Windkraft- und generell in Energieanlagen.

Entwickelt wurde der Hightech-Sensor von den TU-Absolventen Michael Aufreiter und Daniel Kagerbauer gemeinsam mit Michael Weigand, Professor für den Forschungsbereich Maschinenelemente und Luftfahrtgetriebe an der Technischen Universität Wien. Er begleitet das Unternehmen auch bei der Weiterentwicklung des Produkts. „Jetzt geht es zum Beispiel darum, den Sensor zu verkleinern, um ihn auch für Hubschrauber einsetzbar machen zu können”, sagt Weigand. Die Testkreisläufe dafür werden an der TU aufgebaut.
„Unsere Verbindung zu den Herstellern, aber auch zur internationalen Luftfahrtbehörde hilft, die Innovation in die Branchen-Community zu tragen”, betont er weiters. Auch das sei eine wertvolle Hilfe für das Jungunternehmen. Weigands Forschungsbereich sei generell sehr anwendungsorientiert, betont der Wissenschafter. „Der Know-how-Transfer in die Wirtschaft funktioniert hier sehr gut - in unserem Sektor spielt sich das allerdings eher auf internationaler Ebene ab.”

KI-Suchmaschinentechnologie

Die Vernetzung zwischen Forschung und Wirtschaft kann auch Isabell Claus für sich und ihr Unternehmen nutzen. Die Betriebswirtin gründete 2020, gemeinsam mit ihrem Businesspartner Wolfgang Ecker-Lala, das Start-up Thinkers GmbH - ein Technologie-Unternehmen, das mit Künstlicher Intelligenz arbeitet. „Wir haben eine Suchmaschine entwickelt, die mittels Künstlicher Intelligenz millionenfache Webinformationen analysiert und Unternehmen dabei hilft, die Nadel im Heuhaufen zu finden. Sprich, relevante Daten aus aller Welt herauszufiltern”, erklärt Claus.

Isabella Claus
© Gerhard Roza Isabella Claus

Wichtige Unterstützung durch Inits

Essenzieller Partner bei der Gründung des Start-ups war Inits, der akademische Business Inkubator der Stadt Wien, den auch die WK Wien unterstützt. „Durch Inits hatten wir die Chance, auf ein großes Firmennetzwerk zurückzugreifen - das war für uns extrem wichtig, da wir ein schnelles Marktfeedback brauchten. Aber auch das Know-how rund um Förderungen war eine große Unterstützung und natürlich auch die Infrastruktur - wir sind bis heute im Inits-Office angesiedelt”, schildert Claus. Die damit weiterhin bestehende Nähe zur Universität, nutzt Claus einerseits zur Weiterentwicklung der Technologie - „wir verwenden immer die neuesten Erkenntnisse aus der Forschung” - andererseits, um neue Forschungsergebnisse aus dem KI-Bereich in den Markt zu bringen und neue Mitarbeiter und Fachkräfte direkt von den Unis zu holen.

Zusammenarbeit enorm wichtig

Ein Vorzeigebeispiel für eine gelungene Zusammenarbeit zwischen Forschung und Wirtschaft ist auch das von Elena Yaneva gegründete Unternehmen Hempstatic GmbH. Die studierte Bauingenieurin stellt mithilfe von biobasierten Baustoffen architektonische Schallabsorber her. „Wir verwenden Hanf, ein erneuerbarer Rohstoff mit großem Ausbaupotential, da er eine der schnellst wachsenden Nutzpflanzen ist und zahlreiche Vorteile für mehrere Industrien sowie die Umwelt bietet”, so Yaneva, die im Zuge eines Forschungsprojekts mit Kommilitonen der TU sowie der WU Wien an der Umsetzung dieser Idee feilte. „Die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen der WU war eine Bereicherung, weil man als TU-Studierende wenig Kontakt mit dem wirtschaftlichen Aspekt hat - etwa mit dem Thema Gründung oder Finanzierung”, schildert Yaneva, die mit Hempstatic auch Teil des Innovations-Inkubators Inits wurde und dadurch auch die notwendige finanzielle Hürde bis zur Gründung überwinden konnte. „Durch Inits haben wir jede Menge Infos und Feedback bekommen, wir wurden für Pitches mit Investoren gecoacht und auf das Unternehmersein vorbereitet.”

Forschung als Innovationstreiber

Als Unternehmerin bleibt Yaneva weiterhin in regem Austausch mit der Forschung. „Wir haben im Unternehmen nicht die Ressourcen, um selbst ein Labor aufzubauen und zu forschen, deshalb haben wir aktuell eine Kooperation mit dem Kompetenzzentrum Holz in Tulln aufgebaut, das sich mit dem Einsatz von Holz und anderen biobasierten Baustoffen auseinandersetzet”, erklärt Yaneva und betont: „Die Forschung spielt eine enorme Rolle für neue Innovationen - denn dadurch kann man als Unternehmen starke USPs schaffen.”

Auch an der FH Wien der WKW - der Fachhochschule der Wirtschaftskammer Wien - ist die Kooperation mit der Wirtschaft quasi Bestandteil der DNA. Jährlich führen die Studiengänge durchschnittlich 55 Praxisprojekte mit Unternehmen durch. Dazu kommen etwa 15 Forschungsvorhaben mit Unternehmensbeteiligung. Zwei Drittel der Lehrenden an der FHWien kommen direkt aus der Wirtschaft. „Allein dadurch verfügen wir über ein exzellentes Netzwerk in der Wirtschaft, das Gelegenheiten zu Kooperationen eröffnet”, sagt FHWien-Geschäftsführer Michael Heritsch. Weiters pflegt die Hochschule einen intensiven Kontakt mit ihren Absolventen, von denen viele beruflich erfolgreich sind. „Auch dadurch ergeben sich immer wieder Kooperationen”, so Heritsch.

MINT-Studienplätze ausbauen

„Wiens starker tertiärer Bildungssektor ist ein zentraler Standortfaktor, der besonders im internationalen Vergleich eine wichtige Rolle spielt”

„Die Universitäten sorgen für hochqualifizierten Nachwuchs und erleichtern den Betrieben die Rekrutierung von Spitzenfachkräften. Das schafft eine wichtige Basis für Wachstum und wirtschaftlichen Erfolg. Die Nähe zu Lehr- und Forschungseinrichtungen fördert außerdem den Wissenstransfer zwischen Wirtschaft und Forschung und begünstigt die Entstehung innovativer Start-ups,” sagt WK Wien-Präsident Walter Ruck.

Um diesen Standortvorteil für die Zukunft zu sichern, brauche es eine Weiterentwicklung des Universitätsbereichs, etwa durch den Ausbau der Studienplätze, orientiert am Bedarf der Wirtschaft. Dies gelte in erster Linie für MINT-Studien und vor allem im Fachhochschulsektor, so Ruck. Auch die Anerkennung von berufsbildenden Ausbildungen wie Lehre oder Meisterprüfung für den facheinschlägigen Universitätszugang sei zu diskutieren.