Gizela Demeterová ist 24-Stunden-Betreuerin und liebt ihren Beruf - trotz der vielen Herausforderungen.
© Fernanda Nigro

Nicht genug für das, was ich leiste

Der Betreuungs- und Pflegebedarf steigt mit der älter werdenden Gesellschaft,was mit einem höheren Bedarf an Betreuungspersonen einhergeht. Doch die werden immer weniger. Ein Grund ist die geringe Bezahlung wegen mangelnder Förderungen.

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Aktualisiert am 22.09.2023

Der Beruf der 24-Stunden-Betreuer ist vielseitig und in mehrerer Hinsicht fordernd. Zum einen geht es um das Erledigen täglicher Haushaltsarbeiten wie Kochen oder Einkaufen für die zu betreuende Person. Zum anderen sind sie Ansprechpartner einer verwundbaren Personengruppe für ihre täglichen Belange. Eine verantwortungsvolle Aufgabe, die von den Betreuenden selbst sehr viel Flexibilität abverlangt.Denn es gilt, sich den Lebensgewohnheiten der Klienten anzupassen, etwa was den Tagesablauf betrifft. „Ich muss den Alltag und die Gewohnheiten meiner Klienten zu meinen machen. Das ist sehr anstrengend”, beschreibt Gizela Demeterová. Bereits seit 2008 arbeitet die gebürtige Slowakin als 24-Stunden-Betreuerin in Österreich. Mittlerweile hat sie ihren gesamten Lebensmittelpunkt nach Wien verlegt. „Ich kann gar nicht sagen, in wie vielen Familien ich schon war”, sagt die 61-Jährige. Gewechselt wird häufig - manchmal war sie nur eine Woche vor Ort, einmal waren es sogar drei Jahre. „Wie lange es dauert, weiß man nie”, so Demeterová: „Mit dem Tod hatte ich schon öfter zu tun. Oft bin ich die letzte Person, die jemand sieht. Aber ich finde es schön. Denn die Menschen brauchen jemand an ihrer Seite.”

Belastend und schön zugleich

Für die Betreuenden hingegen bedeutet jeder Abschied einen unmittelbaren Wechsel zu neuen Klienten, neuen Haushalten und gegebenenfalls neuen Familienmitgliedern. Belastend ist zudem die geringe Vernetzung in Österreich, gepaart mit gerade zu Beginn wenigen Sprachkenntnissen. Zumeist sind es Frauen aus den östlichen Nachbarländern, die sich damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Der Männer-Anteil ist gering und liegt bei rund acht Prozent. Derzeit arbeiten insgesamt 57.000 selbstständige Personenbetreuer in Österreich, gut 8000 davon allein in Wien. Damit versorgt diese Berufsgruppe aktuell hierzulande mehr als 25.000 Menschen.

„Es ist großartig zu wissen, dass wir Menschen ein Leben zuhause ermöglichen. Ohne uns wäre das vielen unserer Klienten unmöglich”

Nichtsdestotrotz hat gerade dieser Beruf sehr schöne Seiten. „Es ist so schön, wenn ich helfen kann. Und die Menschen, die zu betreuen sind, sind in den allermeisten Fällen sehr, sehr dankbar. Es ist ein sehr schwerer Beruf, aber ich mag alles daran”, schildert Demeterová. „Es ist großartig zu wissen, dass wir Menschen ein Leben zuhause ermöglichen. Ohne uns wäre das vielen unserer Klienten unmöglich”, ergänzt Bibiána Kudziová, WK Wien Berufsgruppensprecherin der Personenbetreuer. „Wir ermutigen die Klienten, ihre Übungen zu machen und helfen ihnen dabei, sorgen dafür, dass sie ihre Medikamente regelmäßig einnehmen und dass sie gutes Essen bekommen. Es ist toll, wenn man sieht, dass Klienten dann wieder hinausgehen und Freunde treffen können”, so Kudziová: „Als Betreuerin gibt man sehr viel, aber man bekommt auch sehr viel zurück”, ist Kudziová überzeugt. Es ist ein hohes Maß an Menschlichkeit und Lebensqualität, die kranken und alten Menschen mit einer 24-Stunden-Betreuung zuteil wird. In Anbetracht der demografischen Entwicklung wird diese Art von Hilfe in den nächsten Jahren und Jahrzehnten steigen.

System wankt

Doch das System wankt, denn trotz des steigenden Bedarfs wandern immer mehr 24-Stunden- Betreuer ab. Einer der Hauptgründe ist die schlechte Entlohnung. Denn während die Löhne wie auch die Lebenserhaltungskosten in den Ursprungsländern dieser Fachkräfte gestiegen sind, wurden die Honorare hierzulande nicht erhöht. Die bisherige Motivation, in Österreich durch harte Arbeit viel Geld zu verdienen, fällt damit zusehends weg. Heuer wurden die Förderungen für jene Klientengruppe, die 24-Stunden-Betreuung benötigt, erstmals seit 2007 in zwei Schritten angehoben. Zu Beginn des Jahres um 90 Euro (von 550 auf 640 Euro) und mit 1. September auf insgesamt 800 Euro pro Monat. Ein wichtiger Schritt, der aber nur den Anfang machen kann, sind sich die Branchenvertreter einig. Denn auf die absehbaren Probleme wird seit Jahren hingewiesen. „Wir stehen vor der Situation, ihnen entweder mehr zu bezahlen oder sie kommen nicht mehr. Übrig bleiben dabei unsere alten und kranken Familienmitglieder”, hält Kudziová fest. Dazu Harald G. Janisch, WK Wien-Obmann der Fachgruppe Personenberatung und Personenbetreuung: „Damit aber die 24-Stunden-Betreuung für die betreuten Klienten auch in Zukunft weiter leistbar ist, müssen weitere Schritte gesetzt werden.” Eine wichtige Forderung der WK Wien ist daher, die Einkommensgrenze, bis zu der die Förderung gewährt wird, erstmals anzuheben. Damit auf Dauer faire Honorare an die Betreuenden bezahlt werden können, sollte diese von 2500 auf zumindest 3500 Euro angehoben werden. „Diese Grenze muss künftig, wie alle anderen Sozialleistungen auch, jährlich angepasst werden, weil sie, wurden die Branchenvertreter nicht von der Regierung eingebunden. Denn wesentlich besser bezahlt werden diese Fachkräfte zum Beispiel in Skandinavien, wo deren Klienten auch vom Staat höhere Zuschüsse erhalten. Daher wandern viele ab. Seit 2019 haben bereits 3000 selbstständige 24-Stunden-Betreuer Österreich verlassen, um dort bei besserer Bezahlung weiterzuarbeiten. „Wenn künftig Verbesserungen nicht schneller gehen, werden weitere Betreuerinnen Österreich verlassen”, ergänzt Kudziová. Doch wie sehen das die betroffenen Fachkräfte? „Es ist einfach nicht genug für das, was ich leiste. Wenn ich noch in der Slowakei leben würde, würde ich mir auch dort neue Arbeit suchen”, sagt Demeterová.

„Die Sicherung der Pflegeversorgung ist auch für die Wirtschaft wichtig.”

Absicherung als Megathema

Die künftige Sicherung des heimischen Pflege- und Betreuungssystems ist ein Megathema – und eine gewaltige Herausforderung für Politik und Gesellschaft. Denn mit steigender Lebenserwartung wächst auch die Zahl der Menschen, die Pflege benötigen. Aktuell ist schon jeder fünfte Österreicher 65 Jahre oder älter, Tendenz steigend. Der Anteil der über 80-Jährigen soll laut Prognosen von derzeit 5,2 Prozent der Bevölkerung bis 2030 auf sieben und bis 2050 auf elf Prozent ansteigen. Bei den über 85-Jährigen - der Anteil liegt aktuell bei rund 2,4 Prozent wird sogar mit einer Verdreifachung bis 2050 gerechnet. Damit erhöhen sich auch die Kosten für Pflegeleistungen enorm - alleine das vom Bund ausbezahlte Pflegegeld soll laut Prognose des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo bis 2050 um 57 Prozent auf 4,2 Milliarden Euro steigen. Die Gesamtausgaben von Ländern und Gemeinden für Pflegeleistungen könnten im selben Zeitraum auf neun Milliarden steigen. Die Online-Statistikplattform Statista geht sogar von bis zu 13 Milliarden Euro aus. Eine riesige Herausforderung ist auch der parallel steigende Bedarf an Fachkräften. Der Pflegesektor leidet schon jetzt unter einem eklatanten Mitarbeitermangel. Alleine im Pflegebereich - die 24-Stunden-Betreuung ist hier nicht miteingerechnet - werden 30.000 zusätzliche Mitarbeiter bis 2030 benötigt. Dazu kommen weitere 40.000 Fachkräfte als Ersatz für Pensionierungen. Mit einer Pflegereform, die unter anderem Verbesserungen in der Ausbildung und im Pflegeberuf bringt, will die Regierung hier gegensteuern. Ein Schritt ist die Einführung der neuen Pflegelehre, die 15-Jährigen den Zugang zum Pflegeberuf ermöglicht.

Prävention ausbauen

Die Sicherung der Pflegeversorgung ist für die Wirtschaft ein wichtiges Thema, sagt WK Wien- Präsident Walter Ruck. „Viele Betreuungsleistungen passieren derzeit im familiären Kreis. Pflegende Angehörige sind durch diese Doppelbelastung aber in ihrem Erwerbsleben eingeschränkt oder stehen der Wirtschaft gar nicht zur Verfügung”, so Ruck. Ein Ausbau der professionellen Betreuungskapazitäten gelinge aber nur, wenn der Pflegeberuf attraktiviert werde – durch die Reduzierung physischer und psychischer Belastungen, angemessene Vergütung und höhere Wertschätzung. Auch innovative Ansätze wie der unterstützende Einsatz von Robotik in der Pflege könnten zur Entlastung beitragen. Wichtig sei auch, die Leistbarkeit guter Betreuung zu sichern. „Um tragfähige Zukunftslösungen zu erreichen, müssen alle beteiligten Stakeholder kooperieren”, so Ruck. Alexander Biach, stellvertretender Direktor der WK Wien und Mit-Autor des Buches „Raus aus der Pflegefalle”, tritt dafür ein, dem Bereich Prävention viel mehr Augenmerk zu schenken. Denn derzeit sind in Österreich mehr als 20 Prozent aller über 65-Jährigen pflegebedürftig - international ein sehr hoher Wert. Im Buch wird ein „Best Ager-Bonuspass” vorgeschlagen, der Belohnungen für aktive Gesundheitsvorsorge vorsieht. Die künftige Gestaltung des Gesundheitswesens sei mit dem Pflegethema verschränkt, sagt Biach. „Ziel muss sein, dass die zunehmende Alterung der Bevölkerung durch die steigende Lebenserwartung nicht notwendigerweise mehr Nachfrage nach Pflegeleistungen und die damit nötige Ausweitung des Pflegeangebots samt höheren Kosten nach sich zieht.” Mehr Prävention in jungen Jahren trage wesentlich dazu bei, dass Menschen im Alter länger aktiv und selbstständig bleiben – und sich der Pflegebedarf so reduziert.

Statistik Pflege
© Quelle: Statistik Austria,WIFO