Portrait Christian Lagger
© Stephan Friesinger

„Man muss die Lust auf Neues erzeugen“

Christian Lagger, Spitalsmanager, Leadership-Lehrender und Autor, über gutes Führen, schlechtes Konfliktmanagement, das Ertragen von Wirklichkeit und die notwendige Fähigkeit zur Oberflächlichkeit.

Lesedauer: 3 Minuten

Aktualisiert am 22.03.2024

Eine sich verändernde Wirtschaftswelt braucht eine veränderte Führungskultur – nur welche?

Christian Lagger: Die Frage ist nicht geradlinig beantwortbar. Es gibt aber ein paar Momente des Führens, die überzeitliche Gültigkeit haben: dass man Menschen auf Augenhöhe begegnet, ihnen Wertschätzung entgegenbringt und die Fähigkeit hat, Menschen zu mögen und sie gemäß ihrem Wissen und ihrer Kompetenzen einzuschätzen und entsprechend richtig zu positionieren. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden so auch ihre größte Wirkkraft entfalten können. Es geht darum, mit den Ressourcen Persönlichkeit und Know-how so umzugehen, dass es dem Ganzen eines Unternehmens bestmöglich dient. Das ist ein Dauerauftrag für Führungskräfte. Sie sind gefordert, immer wieder dort hinzuschauen.

Dieses Besinnen auf eine ganzheitliche Perspektive habe Altbischof Egon Kapellari, dessen langjähriger Sekretär Sie waren, immer eingemahnt, schreiben Sie in ihrem aktuellen Buch „Leadership ohne Blabla“. Ein christlicher Ansatz, der im Weltlichen hilft?

Ja, beispielsweise bei Streitsituationen in Führungskräfteteams, wenn es um Einschätzungsfragen geht und sich die Teilnehmer in ihren eigenen Sichtweisen verlieren. Da muss man dann sie und auch sich selbst in die Pflicht nehmen und die Frage stellen „Was ist das Beste für die Weiterentwicklung des Unternehmens?“. Der kritische Moment dieser Selbstreflektion ist, wenn das für mich Beste vielleicht gar nicht das Beste für das Unternehmen ist – weil es die Einseitigkeit der eigenen Sichtweise aufzeigt.

Was unterscheidet einen Manager von einem „Leader“?

Leadership geht über die Anwendung klassischer Managementinstrumente hinaus und hat eine visionäre, unbekannte Komponente. Mutig eine große Perspektive zu haben und Leute zu inspirieren, „out of the box“ zu denken, zeichnet Leadership aus. Gleichzeitig muss man sich im Klaren sein, dass man die Veränderung zu akzeptieren hat und dass man in diesem Sinne auch viel Wirklichkeit zu ertragen hat. 

Führen heißt?

Die Harmonisierung zu schaffen zwischen dem großen Blick und den Mühen des Alltags in der Umsetzung. Für Führungskräfte ist es entscheidend, dass sie sich selbst ehrlich fragen, ob sie mit Menschen arbeiten wollen. Wenn man Menschen nicht mag oder sozialautistische Züge hat, kann man keine gute Führungskraft sein. Das heißt aber nicht, dass man nicht eine gute Fachkraft sein kann. Da muss man sich entscheiden, welche Karriere man anstrebt.

Werden Fachkräfte in einer transformativen Arbeitswelt wichtiger als Leader?

Nein, für eine Transformation ist immer beides gefordert: Fachkräfte, die sich in einem Thema bis in die Tiefe und damit besser auskennen als die Führungskraft. Und eine charismatische, engagierte und fähige Führungskraft, die den Blick aufs Ganze hat und sieht, wie die verschiedenen Funktionseinheiten zusammenwirken. Während Fachexperten Probleme haben, das Detail zu verlassen, braucht die Führungskraft die Fähigkeit zur Oberflächlichkeit. 

Was zeichnet eine gute Führungskraft in Konfliktfällen aus? Sie könnte ja einfach „drüberfahren“.

Damit ist der Konflikt aber nicht beendet oder gelöst. Das ist schlecht und hilft niemandem.

Wie geht eine gute Konfliktlösung?

Zum einen, indem man keinen Konflikt scheut. Führungskräfte, die ausweichen, werden auf Dauer nicht glücklich sein – weil Vergorenes, Unausgesprochenes, ein nicht abgeschlossener Prozess oder ein nicht zu Ende gedachter Gedanke irgendwann zurückkehren. Deshalb muss man die Quelle des Konflikts identifizieren. Zum anderen hat man als Führungskraft Verantwortung für die stilvolle Auslegung eines Konflikts – dass Regeln eingehalten werden und keine Untergriffe stattfinden. Das muss man vorleben und nicht mit der Autoritätsmasche kommen. Generell hat man analytisch zu bleiben, um dann synthetisch werden und die Dinge wieder zusammenzufassen zu können, abgestimmt mit der Gründungsidee – dem Purpose – eines Unternehmens. So kann ein Konflikt Quelle für Kreation und neue Lösungen sein. 

Als Gegenpol zum Streben nach Neuem gibt es in der Gesellschaft aber eine Grundangst vor Veränderung.

Da muss man darauf hinweisen, dass Veränderung das Normalste ist. Wir verändern uns permanent. Ohne Veränderung kein Leben. Die Alternative wäre Erstarrung, der Tod – in der Biologie, in der Physik und auch in der sozialen Realität von Organisationen. Man muss daher die Lust auf Neues, auf Überraschendes, auf Morgenwind erzeugen.

Sie bleiben trotzdem Optimist?

Ich bin kein Untergangsprophet. Was auf uns zukommt, hat immer auch das Potential des Wachstums – wenn man gut damit umgeht. Es gibt ja immer auch Krisengewinner. Und warum nicht als Kollektiv, als gesamte Gesellschaft Krisengewinner sein?