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Mit Gesundheitsdaten die Wirtschaft wachsen lassen

Gesundheitsdaten sind hoch sensibel, haben aber großes wirtschaftliches Potenzial, vor allem für App-Entwickler. Das zeigt eine neue Studie, die die WK Wien in Auftrag gegeben hat: Wie der Spagat zwischen Datenschutz und Fortschritt gelingen kann.

Lesedauer: 5 Minuten

Aktualisiert am 13.03.2023

Daten sind das Gold der heutigen Zeit, und Gesundheitsdaten ganz besonders. Im heimischen Gesundheitssystem liegen Milliarden an Daten verborgen - wirtschaftlich genutzt werden sie derzeit aber erst wenig. Dabei wären sie für klinische Studien der Gesundheitswirtschaft, die schnellere Erkennung von Krankheiten sowie für die Entwicklung neuer Therapien und nützlicher Gesundheitsapps sehr wichtig. Das würde wirtschaftlich und der Gesundheit der Patienten einiges bringen. Der deutsche Kommunikations- und Technologieforscher Rainer Thiel, Direktor des Instituts empirica, hat sich das im Auftrag der Wirtschaftskammer Wien im Detail angesehen. In seiner 44-seitigen Studie kommt er zu dem Schluss, dass eine verstärkte Vernetzung und Nutzung der Gesundheitsdaten in Österreich eine zusätzliche Bruttowertschöpfung von 132 Millionen Euro pro Jahr allein im Gesundheitssektor auslösen würde.

Fortschritte bei Künstlicher Intelligenz (KI)

Noch deutlicher schlagen die positiven Effekte bei den Gesundheitskosten durch: Thiel erwartet bis 2025 rund 1,4 Milliarden Euro an Einsparungen - vor allem durch durch kürzere Krankenhausaufenthalte, wenn Krankheiten früher erkannt und besser therapiert werden können. Eine wichtige Rolle könnten dabei Gesundheitsapps spielen, die Patienten vor und nach dem Krankenhaus unter ärztlicher Anleitung als Medizinprodukte einsetzen. Derzeit sind die nordischen Länder in Europa Spitzenreiter bei der wirtschaftlichen Nutzung anonymisierter Gesundheitsdaten, berichtet Thiel. Hier könne man sehen, dass der leichtere Zugang zu Gesundheitsdaten für Unternehmen die Forschungsaktivität am Wirtschaftsstandort steigert und die Teilnahme an EU-Forschungsprogrammen vorantreibt. Ebenso gibt es Fortschritte bei Künstlicher Intelligenz (KI), bei der Zahl der Patentanmeldungen, bei wissenschaftlichen Publikationen - und es werden mehr Unternehmen gegründet. Kurzum: Je mehr Gesundheitsdaten genutzt werden können, desto mehr wirtschaftliche Aktivität gibt es.

Kommunikations- und Technologieforscher Rainer Thiel, Direktor des Instituts empirica
© Barbar Lachner Kommunikations- und Technologieforscher Rainer Thiel, Direktor des Instituts empirica
Dr. Alexander Biach, Initiator der SV Lounge
© Barbar Lachner Direktor Stellvertreter Dr. Alexander Biach

Zugriff auf Daten erleichtern

Thiel empfielt Österreich daher, die Nutzung von Gesundheitsdaten in einem progressiven Rechtsrahmen stärker zu ermöglichen und als Teil einer Gesamtstrategie zu Digitalisierung und KI zu fixieren. Geregelt werden müssten die Zugriffsrechte der Industrie auf die Daten und eine bessere Ausstattung des Datenzentrums, damit Anträge der Wirtschaft rasch bearbeitet werden können. Nicht zuletzt brauche es im Gesundheitssystem aber auch eine bessere Qualität in der Datenstruktur, damit hochwertige Forschung leichter möglich wird. Hier sei die technische und semantische Interoperabilität eine zentrale Herausforderung, so der Experte - also wie die Daten abgespeichert sind, damit man sie rasch findet und den Inhalt einfach auslesen kann.

Video: "Digitale Anwendungen im Gesundheitsbereich"

Neues Datenzentrum im Entstehen

Erste Schritte in diese Richtung gibt es bereits. Mit 1. Juli nahm in Österreich das Austrian Micro Data Center (AMDC) seine Arbeit auf, eine neue Abteilung der Statistik Austria, die der Wissenschaft Mikrodaten über die Bevölkerung zur Verfügung stellt, etwa Alter, Geschlecht und Todesursachen. Die Daten werden dabei nicht aus der Hand gegeben, sondern lediglich die Ergebnisse der Analysen. Voraussetzung ist ein genehmigter Antrag einer wissenschaftlichen Einrichtung zu einem ganz konkreten Forschungsprojekt. Luft nach oben gibt es hier jede Menge, denn derzeit wird hier nur mit Daten des Statistikamts gearbeitet, nicht aber mit Gesundheitsdaten der Sozialversicherungen. Dafür braucht es neue gesetzliche Grundlagen - und mehr Ressourcen, damit Anträge schneller bearbeitet werden können. Gelingt das, könnte sich das AMDC in den kommenden Jahren in Österreich zu einer zentralen Stelle für die Aufbereitung und Weitergabe von Gesundheitsdaten an die Wirtschaft entwickeln - und für die datenschutzkonforme Prüfung und Abwicklung der Begehren sorgen, betont Julia Schuster, PhD, vom AMDC. Durch die immer größer werdende Datenfülle in der Elektronischen Gesundheitsakte (Elga) - etwa durch den neuen elektronischen Impfpass und E-Rezepte - und den praktisch flächendeckenden Versicherungsschutz in der Bevölkerung seien in Österreich die Voraussetzungen für eine wirtschaftlich lohnende Datennutzung sehr gut, findet Experte Thiel.

Video: „Datennutzung im Gesundheitswesen“

Gesundheitsapps auf Rezept

Deutschland geht bei der Nutzung von Apps für Therapien bereits einen Schritt weiter als Österreich und bietet Gesundheitsapps auf Rezept an. Die Kosten für die Nutzung durch die Patienten übernimmt damit die Krankenkasse. 2019 hat man dafür die gesetzliche Grundlage geschaffen und ein System aufgestellt, um die Entwicklung neuer Gesundheitsapps anzureizen. Diese Apps werden als Medizinprodukte mit niedriger Risikoklasse eingestuft und können auch schon vor Abschluss umfassender Studien vorläufig zugelassen werden. Durch diese Art der Anschubfinanzierung wird verhindert, dass App-Entwickler pleitegehen, bevor der Markt das Angebot ausreichend nachfragen kann. Im Vorjahr wurden in Deutschland rund 39.000-mal Gesundheitsapps verordnet, die Nutzungskosten wurden damit von der Krankenkasse übernommen. Die Tendenz ist stark steigend. Das System befindet sich derzeit noch in einer Lernphase und wird in den kommenden Jahren wohl noch verändert werden. In Österreich werden derzeit mehr als 20.000 Gesundheitsapps von der Bevölkerung genutzt, von der Krankenkasse bezahlt wird bislang aber noch keine einzige. Anwendungsbereiche gibt es viele - von Diabetes über Herzinsuffizienz bis Tinnitus und Brustkrebs. Viele Apps sind zugelassene Medizinprodukte mit CE-Kennzeichnung. Ihre Entwicklung ist derzeit meist sehr teuer und wegen fehlender Datenfreigaben schwierig. Über die ersten DiGA-Erfahrungen in Deutschland und darüber, was Österreich daraus lernen kann, hat die BVMed-Digitalexpertin Natalie Gladkov aus Berlin ausführlich berichtet.

Video: "Datennutzung"

DiGAs starten statt Warten

Mag.pharm. Alexander Hayn, MBA, WKÖ und WKW-Obmann des Bundesgremiums Medizinproduktehandel hat auf die Bedeutung der Digitalisierung für die Versorgungssicherheit und den Wirtschafts- und Gesundheitsstandort Österreich hingewiesen. Wir dürfen mit dem Start der DiGAs nicht länger warten, sondern müssen endlich die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür schaffen.

Besonderer Dank gilt der Interessensvertretung der Medizinprodukte-Unternehmen AUSTROMED und hier ganz besonders ihrem Geschäftsführer Mag. Philipp Lindinger, der die Veranstaltung inhaltlich mitbegleitet hat, sowie Herrn Mag. Wolfgang Wacek, der die Diskussion moderierte.

Künstliche Intelligenz, Doktor Google, elektronische Fieberkurve - das Thema Digitalisierung ist ein weites Feld. Was sich Ärzte hier wünschen, hat uns der Digitalisierungsexperte der Wiener Ärztekammer und deren Vizepräsident Dr. Stefan Konrad verraten und dabei ein Bekenntnis zum Gesundheitsstandort Wien und zu zukunftsorientierten digitalen Lösungen im Gesundheitsbereich zum Wohle der Patienten abgelegt.

Der Gesundheitsstadtrat von Wien, Peter Hacker, und der Generaldirektor der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) Mag. Bernhard Wurzer bekannten sich zu einer gemeinsamen Strategie im gegenwärtigen Digitalisierungsprozess angesichts der Corona-Pandemie. Gemeinsam wollen sie den Gesetzwerdungsprozess anstoßen und DiGAs in Österreich realisieren.