Der Hauptplatz von Krakau in dämmrigem Licht.
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Polen: Hoffnung und Schatten eines Wirtschaftswunders

Der Ukraine-Krieg hat den Wachstumskurs Polens gebremst, aber seine Brückenfunktion gestärkt. Steirische Unternehmen wollen die Wirtschaftsbeziehungen vertiefen. 

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Aktualisiert am 05.08.2023

Der Krieg ist greifbar. Von Lublin sind es knapp 200 Kilometer ins ukrainische Lwiw (Lemberg), vom schmucken Zentrum von Rzeszów, einer 200.000-Einwohner-Stadt im Südosten Polens, ist man in einer Autostunde an der ukrainischen Grenze. Das trübe Aprilwetter passt zur Nähe zum politischen Krisenherd in der Nachbarschaft. 

Wirtschaftlich scheint in der Region Lublin aber seit Jahren die Sonne. Am Stadtrand sorgt der zur Leonardo-Gruppe gehörende Hubschrauber-Hersteller Swidnik für Jobs, in der Stadt neun Universitäten für einen hohen Ausbildungsstandard. Rzeszów ist indes Zentrum des international vernetzten Luftfahrtclusters „Aviation Valley“. Hier werden Hubschrauber, Flugzeugmotoren sowie Komponenten für namhafte internationale Hersteller wie Boeing und Airbus entwickelt. 


32,6 Prozent betrug das Wachstum des steirischen Exportvolumens zwischen dem ersten Halbjahr 2021 und 2022. Polen ist damit aktuell achtwichtigster Exportmarkt.


Neben der Luftfahrt gilt Polen mittlerweile als einer der wichtigsten Produzenten von Fahrzeugen und Ersatzteilen in Mittel- und Osteuropa. Im Bereich der Batterien für E-Autos strebt das Land sogar an, zu Europas Marktführer aufzusteigen. Insgesamt ist der Automobilsektor die zweitgrößte verarbeitende Industrie in Polen. Dazu kommt eine starke Möbelproduktion: Polen ist der weltweit sechstgrößte Möbelhersteller und Europas größter Möbelexporteur.

Vieles davon wird nach Österreich importiert: Das Warenvolumen ist zuletzt um 17,7 Prozent auf 6,8 Milliarden Euro angewachsen. Dem gegenüber stehen österreichische Exporte im Umfang von 7,4 Milliarden Euro (plus 12,3 Prozent). „Die Entwicklung ist sehr erfreulich und eine gute Basis zum Ausbau“, unter­streicht Barbara Eibinger-Miedl. Die steirische Wirtschaftslandesrätin führt eine knapp 30-köpfige Wirtschaftsdelegation an, die aktuell in der Region unterwegs ist, um Potenziale für eine verstärkte Zusammenarbeit auszuloten. Im Fokus der vom Internationalisierungscenter Steiermark (ICS) organisierten Reise stehen dabei die Themenbereiche Holzwirtschaft, zivile Luftfahrt und vor allem auch Green Tech. 

WKO Steiermark-Direktor Karl-Heinz Dernoscheg und Wirtschaftslandesrätin Barbara Eibinger-Miedl (v.l.) vor roten Hintergrund mit einem Mann und einer Frau.
© K.H. WKO Steiermark-Direktor Karl-Heinz Dernoscheg und Wirtschaftslandesrätin Barbara Eibinger-Miedl (v.l.) im Zuge der Delegationsreise in Polen.


Cluster sehen Potenzial

„Für steirische Unternehmen ergeben sich durch die hohe Dynamik im Bereich der Mobilität hochattraktive Geschäftschancen“, ist Thomas Krenn, Geschäftsführer des steirischen Mobilitätsclusters AC Styria, überzeugt. Ebenso großes Potenzial sieht Bernhard Puttinger für Betriebe des von ihm geführten Green Tech Valley Clusters: „Es gibt im Rahmen des Green Deals der EU in Polen einen Schwung Richtung erneuerbare Energien.“ Know-how aus Österreich sei beispielsweise im Bereich Abfallbewirtschaftung gefragt, bestätigt Österreichs Wirtschaftsdelegierter Konstantin Bekos. 

Ein eigens initiierter Cleantech-Cluster steht beispielgebend für den Transformationsprozess von der kommunistischen Plan- zur westlichen Marktwirtschaft, den das Land seit Anfang der 1990er-Jahre durchlaufen hat. Nach anfänglichem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts und wuchernder Arbeitslosigkeit stabilisierte sich Polens Volkswirtschaft. Als einziges Land der EU verzeichnete man auch während der Finanzkrise 2009 ein Wachstum, ab 2012 gab es – mit Ausnahme des Coronajahres 2020 – immer ein Plus, zuletzt von 5,4 Prozent (2022). 

Von den aktuellen Verwerfungen vom Ukraine-Krieg vor der Haustüre bis zur allgemeinen Teuerungswelle in der EU ist aber auch die polnische Wirtschaft betroffen. So klettert die Inflationsrate seit Sommer letzten Jahres im Vergleich zu den jeweiligen Vorjahresmonaten zwischen 15,5 (Juli) und 18,4 Prozent (Februar).   Aus dem Wirtschaftswachstumskönig wurde so ein Inflationskaiser. Die größten Preissprünge gab es bei Lebensmitteln und beim Wohnen und Heizmaterial.

Die steirische  Delegation auf Betriebsbesuch in der Region Lublin. Zuletzt sind die gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen stark gestiegen.
© K.H. Die steirische Delegation auf Betriebsbesuch in der Region Lublin. Zuletzt sind die gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen stark gestiegen.


Gebremstes Wachstum  

Das trübt den Binnenkonsum massiv ein, was bei der Konjunkturentwicklung zu einer Vollbremsung führen wird. So prognostizieren Analysten für heuer ein Miniwachstum zwischen 0,3 und 0,7 Prozent. Zuletzt gab es zudem Proteste gegen die Zollbefreiung ukrainischer Getreidelieferungen in die EU. Die Importe würden den polnischen Getreidemarkt destabilisieren, wird moniert. Dazu hat Brüssel aktuell aufgrund nicht umgesetzter Reformschritte im Justizapparat den Zugriffe auf milliardenschwere EU-Förderpakete unter anderem für Infrastruktur- und Forschungsprojekte blockiert. 

Mit einer Entspannung ist nicht vor Herbst zu rechnen. Dann stehen in der sechstgrößten Volkswirtschaft der Europäischen Union Parlamentswahlen an. 


Interview mit Manfred Kainz

Wie wichtig ist Polen für den heimischen Außenhandel?

Manfred Kainz: Sehr wichtig. Polen ist nicht nur einer der größten und mit knapp 40 Millionen einwohnerstärksten Staaten Europas, sondern war auch lange Spitzenreiter beim Wirtschaftswachstum und lag deutlich über dem EU-Durchschnitt. Für Länder wie Österreich, die stark vom Außenhandel abhängig sind, ist das ein guter Boden. So stieg allein das steirische Exportvolumen im ersten Halbjahr 2022 gegenüber dem Vergleichszeitraum 2021 um 32 Prozent auf 417 Millionen Euro.  

Welche Bereiche tragen dieses Wachstum?

Kainz: Neben Geschäftsverbindungen etwa in der Industrie hat Polen schon jetzt für den steirischen Tourismus enorme Bedeutung. Auf wissenschaftlicher Ebene gibt es bereits gemeinsame Programme, zum Beispiel mit der Technischen Universität Graz. Wir haben mit vielen polnischen Regionen Partnerschaftsverträge abgeschlossen. Die gilt es jetzt  „mit Leben“ zu füllen. 

Wo sehen Sie die größten Chancen für steirische Unternehmen?

Kainz: Großes Potenzial haben Unternehmen aus dem steirischen Mobilitätscluster, beispielsweise im Bereich zivile Luftfahrt, aber auch im Bereich Green Tech gibt es Chancen für Kooperationen mit dem polnischen Cleantech-Cluster.  

Manfred Kainz ist Obmann des Außenhandelsgremiums in der Wirtschaftskammer Steiermark und seit 2017 Honorarkonsul der Republik Polen.