Lebendige Stadt braucht attraktive Grätzel
Entgegen dem Stadtbild in manchen Straßen überwiegt derzeit die Nachfrage nach Geschäftslokalen das Angebot.

Ein buntes, florierendes Stadtleben, wo man Nachbarn und Freunde trifft, wo man einander kennt und sich beim Einkaufen auf Qualität und Beratung verlassen kann - das ist ein wichtiger Aspekt, der Wien zur lebenswertesten Stadt der Welt macht. Hier ist man gerne zu Hause, fühlt sich sicher und ist gut mit allem versorgt, was man braucht. Etwa mit besonderen Einrichtungsgegenständen für die Wohnung, wie sie Ulrike Knopp anbietet. Sie ist erst vor kurzem in ihr Geschäft in der Weimarer Straße eingezogen, nachdem sie ihr Geschäftslokal in der Währinger Straße aufgeben musste.
„In der Corona-Zeit haben die Konsumenten das regionale Einkaufen wieder schätzen gelernt. Klimafitte Grätzel werden jetzt zum zweiten Wohnzimmer”
Ihr Mietvertrag lief aus. „Wenn man einen Standort sucht, ist viel Eigeninitiative gefragt”, sagt Knopp. Als klar war, dass sie etwas Neues braucht, aktivierte sie zuerst ihr Netzwerk in der Umgebung. „Ich habe sämtliche Nachbargeschäfte und meinen Freundeskreis gebeten, mir Bescheid zu geben, falls sie von einem frei werdenden Geschäftslokal hören.” Sie registrierte sich auf sämtlichen Plattformen, die Immobilien anbieten, unter anderem bei jener der Wirtschaftskammer Wien. Und sie fuhr viele Straßen ab, die sie für geeignet hielt, und kontaktierte bei interessanten Objekten die zuständige Hausverwaltung - nicht nur in Währing, sondern auch an anderen Standorten. „Das Problem war, dass ich oft gar keine Rückmeldungen bekommen habe”, sagt Knopp. Schlussendlich erzählte ihr eine Freundin, dass das Lokal in der Weimarer Straße frei wird und sie griff zu. „Ich war nicht die einzige Bewerberin, eine schnelle Entscheidung war notwendig.”
Grätzel werden zweites Wohnzimmer
„Für eine gut funktionierende Erdgeschoßzone ist ein geringer Leerstand und damit auch eine schnelle Wiedervermietung von Geschäftslokalen wichtig”, sagt Margarete Gumprecht, Wiener Spartenobfrau für den Handel. Ein Rückblick auf 2021 zeige, dass sich die Einschränkungen aufgrund von Corona noch wenig auf die Leerstandssituation ausgewirkt haben. „In der Corona-Zeit haben die Konsumenten das regionale Einkaufen wieder schätzen gelernt. Klimafitte Grätzel werden jetzt zum zweiten Wohnzimmer”, so Gumprecht.
Angebot bei Lokalen passt nicht immer
„Standortsuchende benötigen derzeit meist eine kleine Fläche zwischen 40 und 140 Quadratmetern”, so Gumprecht. Da die meisten Geschäftslokale jedoch rund 260 Quadratmeter und mehr böten, müsse sich das Immobilienangebot erst an die Nachfrage anpassen. Knopp sieht darüber hinaus noch andere Herausforderungen: „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Vermieter hohe Preisvorstellungen haben, oder die Vormieter hohe Ablösen für Inventar verlangen. Oft hat man am Anfang hohe Investitionskosten, um das Lokal seinem Bedarf entsprechend herzurichten, die muss man erst einmal wieder erwirtschaften.” Deshalb sei die Standortentscheidung so wichtig und sollte gut überlegt werden. „Luxusartikel in einer Umgebung ohne Kaufkraft anzubieten ist ein Kamikaze- Projekt”, so Knopp. Man müsse sich also die Umgebung genau ansehen. „Ein Spielzeuggeschäft zum Beispiel braucht Schulen, Parks, Freizeiteinrichtungen für Kinder.” Sich die Geschäfte in der Nachbarschaft anzusehen sei ebenfalls wichtig. „Angst vor Konkurrenz halte ich für falsch. Es hat Vorteile mit seinen Produkten dorthin zu gehen, wo es zu dem Thema schon etwas gibt”, so Knopp. Oft befruchte man sich gegenseitig. Gibt es zu einem Thema mehrere Geschäfte, ziehe das noch mehr Menschen an. „Die Passantenfrequenz ist natürlich wichtig. Doch genauso wichtig ist es, dass ich mich hier, wo ich so viel Zeit meines Lebens verbringe, wohl fühle. Das spüren die Leute und sie kommen wieder.”
Beliebtes Karmeliterviertel
In Währing übersteigt die Nachfrage an Lokalen das Angebot leicht. Die beliebtesten Lagen befinden sich nach wie vor Mariahilf und Neubau, in der Inneren Stadt, der Landstraße und in Favoriten gibt es allerdings mehr Angebot als Nachfrage. Auf Platz Eins schaffte es 2021 erstmals das Karmeliterviertel. Es führt die „Grätzelwertung” vor Gumpendorf/Naschmarkt und der Mariahilfer Straße an. Geschäftslokale suchen vor allem der Handel und die Gastronomie, knapp gefolgt von Gewerbebetrieben, Ateliers und Dienstleistern Nach dem positiv stimmenden Ergebnis 2021 zog die Nachfrage nach Geschäftslokalen auch im ersten Halbjahr 2022 an. Von einem positiven Trend zu sprechen, wäre allerdings verfrüht, meint Gumprecht. Die Lage bleibe angespannt, denn die Inflation dämpfe die Konsumlaune - und bereits vor der Corona-Pandemie nahm die Nachfrage nach Geschäftslokalen in den Erdgeschoßzonen ab. Während attraktive Lokale und Gräzel die Passantenfrequenz erhöhen und Betrieben Umsatz bringen, senke hoher Leerstand die Attraktivität, sagt Gumprecht. Deshalb brauche man weitere Maßnahmen für mittel- und langfristige Perspektiven wie etwa die Initiative der Wirtschaftsagentur „Geschäftsbelebung Jetzt”, die sehr gut von den Betrieben angenommen wird oder mehr private-Public-Partnership-Modelle.