Magdalena Liebl (l.) und Valeria Foglar-Deinhardstein (Loxotec)
© Florian Wieser

Der Esstisch wird zum Arbeitstisch

Keine Zeit für die Arbeit - kein Umsatz: Das Thema Kinderbetreuung ist auch für Selbstständige eine große Herausforderung. Wie Wiener Unternehmen damit umgehen

Lesedauer: 6 Minuten

Aktualisiert am 05.08.2023

Da hat man neun Wochen Sommerferien mit Müh und Not überbrückt und zwei Monate später muss man sich wegen der Herbstferien schon wieder den Kopf zerbrechen”, schildert Willi Wöber eine der zahlreichen Herausforderungen rund um das Thema Kinderbetreuung. Der Unternehmer hat sich nach vielen Jahren als Angestellter im Führungsbereich selbstständig gemacht und sich mit dem Unternehmen wohlpol auf die Beratung in der betrieblichen Gesundheitsförderung spezialisiert. Der Grund für den Schritt in die Selbstständigkeit? Gesundheitliche Gründe und die bessere Vereinbarkeit mit dem Familienleben: „Ich bin knapp an einem Burnout vorbeigeschrammt und habe gemerkt, dass ich etwas ändern muss”, schildert der Vater einer mittlerweile siebenjährigen Tochter. Die durch die Selbstständigkeit gewonnene Flexibilität kann Wöber nun für die Betreuung seiner Tochter nutzen. „Ich kann mir meine Arbeitszeit so einrichten, dass ich meine Tochter in der Früh noch in die Schule bringen und sie dann am Nachmittag wieder abholen kann”, erzählt der Unternehmer, der damit einer von wenigen Vätern ist. „In der Früh sieht man öfter Väter, die ihre Kinder zur Schule bringen - am Nachmittag beim Abholen sind es fast ausschließlich die Mütter”, schildert Wöber seine Beobachtungen.

„Wenn die Kinder gut betreut sind, können sich die Eltern auf den Beruf konzentrieren.”

„Geld oder Zeit?”

„Das schlagende Argument ist meistens, dass Männer mehr verdienen als Frauen und die Kinderbetreuung deshalb am Ende den Frauen umgehängt wird”, schildert Wöber die Erfahrungen aus seinem Umkreis. Auf lange Sicht hinke dieses Argument aber - so Wöber. „Man verliert dadurch als Vater so viel wertvolle Zeit und Momente, die man nicht mehr aufholen kann”, erzählt er. Und: „Man muss sich bewusst gegen Geld und für Zeit entscheiden”, erzählt Wöber von seinen eigenen Erfahrungen als Angestellter, in der er eine Bildungskarenz sowie den Umstieg von Vollzeit auf Teilzeit gemacht hat, um mehr Zeit für seine Tochter zu haben.

„Keine Arbeit - kein Umsatz”

Die Entscheidung zwischen Geld und Zeit stellt sich für Wöber aber auch als Selbstständiger noch: „Wenn ich nicht arbeite, mache ich keinen Umsatz. Deshalb muss ich die Zeit, die ich mit meiner Tochter verbringe, zu einem anderen Zeitpunkt wieder,einarbeiten’.” Die mehr als 13 Wochen Ferien machen das noch einmal schwieriger: „Im Prinzip muss ich innerhalb von acht Monaten meinen Umsatz für das ganze Jahr erwirtschaften”, so Wöber. „Dann wird es auch mit der Flexibilität immer schwieriger. Ich kann dann nicht spontan Kundentermine absagen, weil ich meine Tochter z.B. früher abholen muss.” Umso hilfreicher ist es deshalb, sich mit anderen Eltern zu vernetzen, so Wöber. „Die Großeltern leben am anderen Ende von Wien. Bei Notfällen oder in den Ferien unterstützen sie uns natürlich, wo sie nur können aber ,zur Not’ funktioniert auf Dauer nicht”, erklärt Wöber, der zum Glück auf die Hilfe anderer Eltern setzen kann, die beim „Kinderabholen” einspringen, wenn es terminlich nicht anders möglich ist.

Gutes Netzwerk und neue „Vater-Role-Models” unerlässlich

Das Thema Kinderbetreuung ist auch für Valeria Foglar-Deinhardstein allzeit präsent. Die Mutter zweier Kindergartenkinder führt mit ihrem Mann, Bernhard Foglar-Deinhardstein und ihrer Geschäftspartnerin, Magdalena Liebl (Muttervon drei Kindern) Produktion und Großhandel  für Tierpflege- und Hygieneprodukte. „Bei uns übernimmt meistens mein Mann Abholen und Betreuung am Nachmittag”, sagt sie. Sie selbst kümmere sich in der noch jungen Firma um den Verkauf und nehme daher viele Termine wahr, auch an den Abenden. „Wir haben Glück, beide Großeltern sind in Wien und unterstützen uns”, ist sie froh über ein gutes privates Netzwerk und einen Mann, der die Vater-Rolle ganz neu auslegt und lebt. Flexibilität und gute Einteilung sei das Um und Auf, weiß auch Geschäftspartnerin, Magdalena Liebl: „Das ist nicht immer leicht. Mit Kindern muss man sein Leben umstellen, und es fehlt immer an Zeit”, sagt Liebl. Die Stunden, die man dem Nachwuchs widmet, gehen im Betrieb ab. „Entweder macht man dort Abstriche oder man teilt sich die Arbeit andersein, arbeitet am Wochenende oder abends.” Dennoch kennen Foglar-Deinhardstein und Liebl die Kinderbetreuungsfrage auch aus der Angestellten-Perspektive und betonen: „Selbstständige können da schon flexibler agieren.”

Erfahrungen als „Unternehmerkind”

Foglar-Deinhardstein ist auch selbst in einem Unternehmerhaushalt aufgewachsen. Ihre Eltern beschäftigten eine Betreuungsperson, die das Abholen von der Schule und die Obhut an den Nachmittagen übernahm. Sich eine „Nanny” leisten zu können, sei jedoch nicht die Realität der meisten Selbstständigen - auch nicht die ihre, betont Foglar-Deinhardstein. Aus ihrer Sicht müssten diese Dienstleistungen für Eltern leichter leistbar werden, etwa durch steuerliche Begünstigungen, „jedenfalls ohne dass es zu Lasten derer geht, die sie anbieten”, betont sie. Wünschen würde sie sich auch mehr Betreuungsplätze für Einjährige einen kleineren Betreuungsschlüssel und Grünflächen bei allen Kindergärten, sodass die Kleinen täglich raus ins Freie können.

Eine Sorge weniger

Auch Arbeitgeberbetriebe sind mit dem Thema  Kinderbetreuung konfrontiert, sobald sie Mitarbeiter ein zentraler Punkt im HR-Management, weiß Astrid Limberger, Personalmanagerin bei der Wiener Städtischen Versicherung. „Österreichweit haben 37 Prozent unserer Mitarbeiter Betreuungspflichten.” Ein guter Grund für das Unternehmen, sich intensiv damit auseinanderzusetzen, denn: „Wenn die Kinder gut betreut sind, haben die Eltern eine Sorge weniger und können sich bewusst auf ihre Karriere konzentrieren.” Neben flexiblen Arbeitsbedingungen bietet das Versicherungsunternehmen seinen Mitarbeitern in Wien bereits seit 1974 einen eigenen Betriebskindergarten an. 2021 wurde ein zweiter Standort eröffnet. Insgesamt können 200 Kinder betreut werden. „Ein qualitativ hochwertiges Betreuungsangebot für Kinder ist wichtig, damit die Eltern rasch wieder ins Unternehmen zurückkommen können”, sagt Limberger. Entsprechend begehrt seien die Betreuungsplätze. Für das Unternehmen mache sich die Investition bezahlt, betont sie: „Mehr als 90 Prozent der karenzierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kehren nach der Karenz wieder ins Unternehmen zurück.”

„Wenn tagsüber zu wenig Zeit bleibt, setze ich mich am Abend hin.”

Von der Karenz in die Selbstständigkeit

Stefanie Klausegger kehrte nach ihrer Karenz vor fünf Jahren nicht zu ihrem Arbeitgeber zurück, sondern entschied, sich selbstständig zu machen. „Ich war als Industriedesignerin angestellt und hatte auch mit 3D-Druck zu tun”, sagt die Unternehmerin. Heute produziert sie selbst-designten 3D-gedruckten Schmuck im Jugendstil-Stil und verkauft diesen in ihrem Geschäft, in der Zollergasse 28, sowie auf Messen und Märkten, bei Partnern und online.

Nachtschichten gehören dazu

Besonders herausfordernd sei die Situation für Selbstständige, die Kinder zu betreuen haben, im Handel oder in der Gastronomie, weiß Klausegger. „Ich habe das Glück, dass ich mir den Shop mit einer Modeboutique-Inhaberin teile. Das heißt, auch wenn ich um 16 Uhr weggehe, um zu Hause bei meinen Kindern zu sein, ist der Laden trotzdem bis 18 Uhr offen und meine Produkte werden weiter mitverkauft”, erklärt die Unternehmerin und zweifache Mutter. „Anders wäre es absolut nicht schaffbar.” Denn obwohl Wien über eine Dichte von mehr als 92 Prozent an Kinderbetreuungseinrichtungen verfügt, die mit einer Vollerwerbstätigkeit vereinbar sind, sind da noch die Samstage - „die umsatzstärksten Tage im Handel”, so Klausegger, die zur Fertigstellung von größeren Bestellungen auch die eine oder andere Nachtschicht einlegt: „Wenn tagsüber zu wenig Zeit bleibt, setze ich mich am Abend, wenn die Kinder schlafen, gemeinsam mit meinem Mann hin - dann wird der Esstisch zum Arbeitstisch.” „Schweizer Modell wäre leichter” Wie vielen anderen selbständigen aber auch unselbstständigen Eltern bereitet die lange Ferienzeit im Sommer auch Klausegger Kopfzerbrechen. „Neun Wochen am Stück sind wirklich jedes Mal eine Herausforderung. Das Schweizer Modell, bei dem ein Teil der Sommerferien in die Herbstferien verlegt wird, wäre etwas leichter”, schlägt Klausegger vor. Verbesserungsbedarf sieht sie auch bei der Kinderbetreuung im Sommer: „In den Volksschulen gibt es zumindest zu Ferienbeginn ein Betreuungsangebot. Optimal wäre es, wenn es das auch noch im Gymnasium - zumindest in der Unterstufe - gibt”, so Klausegger.

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© Quellen: Statistik Austria, Stadt Wien