Am Weg zur digitalen EU
Die Digitalisierung aller Wirtschafts- und Lebensbereiche verlangt nach vielen neuen, europaweiten Regulierungen. Derzeit ist besonders viel in Vorbereitung.

Es vergeht kein Tag, an dem in den Medien nicht über Digitalisierung berichtet wird. Worum es dabei genau geht, ergibt sich häufig erst bei genauerem Hinsehen. Einmal werden Produkte, Dienstleistungen oder Geschäftsmodelle angesprochen, dann geht es wieder um Prozesse und Kommunikation. Sehr oft ist auch von Daten und Netzwerken die Rede. Im Englischen spricht man von einem „Umbrella Term”, im Deutschen von einem Sammelbegriff. Auf EU-Ebene versucht man derzeit, mit einer umfassenden Agenda die vielfältigen Transformationsprozesse im Zuge der Digitalisierung zu bewältigen. Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, hat eine „Digitale Dekade” ausgerufen. Europa macht sich „fit für das digitale Zeitalter”. Dies nicht zuletzt mit einer Reihe von Gesetzesvorhaben, die teilweise bereits verabschiedet wurden oder knapp davorstehen. Mit diesen Gesetzen soll einerseits die Entwicklung einer transparenten Technologie im Dienste der Menschen und anderseits eine faire und wettbewerbsfähige Wirtschaft gewährsleistet werden. Inwiefern dies gelingt, wird die Zukunft zeigen. Was hingegen schon jetzt mit Sicherheit festgestellt werden kann, ist die Relevanz dieser Gesetze für die österreichische und europäische Wirtschaft.
Die Wirtschaftskammer in Brüssel
Jemand, der diese Entwicklungen genau beobachtet, ist Veronika Möller. Sie leitet die "EU Representation" der WKÖ in Brüssel, wo sie mit ihrem Team für die Interessen der österreichischen Unternehmen eintritt. Die Aufgaben der "EU Representation" sieht sie darin, die österreichischen Unternehmen und die Kammerorganisation rechtzeitig über relevante Vorhaben der EU zu informieren, in deren Sinne Positionen zu vertreten und Themen zu setzen, um innerhalb eines dichten Netzwerkes aus Verbänden und Stakeholdern auf den Gesetzgebungsprozess einzuwirken. „Die Digitalisierung bietet natürlich Chancen für die Wirtschaft. Es ist aber wichtig, schon auf EU–Ebene eine starke Stimme für unsere Unternehmen zu erheben”, sagt Möller und fügt an: „Was in Brüssel schiefgeht, lässt sich national nicht mehr geraderücken.” Eine starke Stimme braucht es tatsächlich, denn in Sachen Digitalisierung tut sich viel in der EU-Hauptstadt.
Gatekeeper, Wettbewerb und Risiko
So wird zum Beispiel mit dem Digital Markets Act (Richtlinie über digitale Märkte) eine Regulierung von Gatekeepern geschaffen und das Verhältnis zwischen den großen Plattformenund anderen Marktteilnehmern grundsätzlich neu bestimmt. Bisher war es aufgrund der Vormachtstellung einiger weniger großer Konzerne für neue innovative Start-ups schwierig, auf dem Markt der Online-Plattformen und -Dienstleister fußzufassen. Durch die Marktmacht Einzelner ist die Gefahr der Verzerrung des Binnenmarkts ohne Regelungen groß. Im Zuge der neuen Regelung werden fortan Tech-Unternehmen, die zentrale Plattformdienste anbieten und gewisse Größenkriterien erfüllen, als sogenannte Gatekeeper (Torwächter) kategorisiert. Mit der Richtlinie wird den Gatekeepern ein Rahmen vorgegeben, bei dessen Nichteinhaltung Geldbußen oder andere Maßnahmen drohen. Einen anderen Fokus legt der Digital Services Act (Richtlinie über digitale Dienste). Mit ihm bekommt die EU ein einheitliches Regelwerk für vermittelnde Online-Dienste. Durch die Festlegung klarer Verantwortlichkeiten und Sorgfaltspflichten für bestimmte Vermittlungsdienste möchte man damit ein sicheres und transparenteres Online-Umfeld schaffen, die Grundrechte verbessern, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit fördern sowie die Entwicklung kleinerer Plattformen, Klein- und Mittelunternehmen (KMU) und Start-ups erleichtern.
Grüne Vögel, ChatGPT und der risikobasierte Ansatz
Aktuell sorgt im Brüsseler Europaviertel aber etwas anderes für Gespräche und beschäftigt Veronika Möller und ihre Mitarbeiter. Es sind nicht die überraschend milden, sonnigen Tage, an denen man viele grüne Papageien in den Parks sehen und hören kann. Die grünen Vögel, deren Population nach Freilassung von ein paar Dutzend Exemplaren in den 1970er Jahren auf mehrere tausend angewachsen ist, erstaunen nur mehr Touristen. Diejenigen, die nicht zum Urlauben hier sind, sondern im Maschinenraum der EU sitzen, setzen sich mit anderen rasanten Entwicklungen auseinander - nämlich im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI). Deren Geschwindigkeit wird selbst von Tech-Experten skeptisch beäugt. Die Diskussionen zu ChatGPT und Generativer Künstlicher Intelligenz begleiten einen, schon vor zwei Jahren in Gang gesetzten, legislativen Prozess. An dessen Ende steht der Artificial Intelligence Act (Gesetz über Künstliche Intelligenz), der den Umgang mit KI in Forschung und Wirtschaft regeln soll. Möller erläutert die Ziele: „Mit dem Artificial Intelligence Act soll der Binnenmarkt durch verbindliche Regeln zu einem weltweiten Vorreiter für die Entwicklung sicherer, vertrauenswürdiger und innovativer KI-Systeme werden.” Die Regelung wird KI-Provider betreffen, die ihre Anwendungen in europäischen Ländern anbieten - egal ob diese in der EU oder außerhalb ansässig sind. Ein zentraler Baustein ist der risikobasierte Ansatz, nach dem KI-Systeme mit hohem Risiko einem strengeren Regelungsrahmen unterliegen sollen als Systeme mit einem niedrigeren Risiko. Aus wirtschaftlicher Perspektive kann der Artificial Intelligence Act einen guten Rechtsrahmen bilden, wenn es gelingt, eine innovationsfreundliche Verordnung zu schaffen und Überregulierung zu vermeiden.
Digitalisierung - Regeln in vielen Wirtschaftsbereichen
Wie stark die Digitalisierung alle Bereiche von Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt erfasst, lässt sich auch an den vielen anderen Gesetzen zeigen, mit denen die EU diese Entwicklungen adressiert. Diese reichen von der Gesundheitspolitik (European Health Data Space) über das Finanzwesen bis zu Sicherheitsfragen (Cybersecurity Shield). Sogar zum Thema Metaverse hat die Kommission bereits erste Schritte gesetzt, um „Instrumente zur Entwicklung offener, auf den Menschen ausgerichteter virtueller Welten” zu entwickeln.