Grüne Wende im "Reich der Mitte"
China setzt den Fokus auf den Ausbau erneuerbarer Energien. Wirtschaftsdelegierter Michael Berger über die grüne Transformation.

China galt lange Zeit als Umweltsünder Nummer eins. Nun setzt das Land massiv auf erneuerbare Energien. Warum die Trendwende?
Michael Berger: Das Thema ist hier sehr aktuell, denn China leidet bereits heute spürbar an den Auswirkungen des Klimawandels. Aktuell etwa in Form von sehr, sehr starken Regenfällen in Zentralchina – und sogar in Peking kommt es zu massiven Niederschlägen und Überschwemmungen. Im letzten Herbst ist es – aufgrund einer drastischen Kohleknappheit infolge von politischen Unstimmigkeiten mit Kohleerzeuger Australien – zudem zu einer veritablen Energiekrise gekommen. Dazu muss man wissen: Rund 60 Prozent des Stroms kommen in China nach wie vor aus Kohlekraftwerken. Man ist sich bewusst, dass hier etwas getan werden muss.
Welche Energiestrategie verfolgt das Land konkret?
Michael Berger: Der kürzlich vorgestellte Fünfjahresplan sieht vor, den nationalen Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch bis 2030 auf 40 Prozent zu erhöhen. Derzeit liegt er bei 29 Prozent. Um dieses Ziel zu erreichen, wird massiv investiert: In China sollen allein heuer 150 Gigawatt an installierter Leistung an erneuerbaren Energien hinzukommen. Nur als Vergleich: In Österreich sind insgesamt 2,5 Gigawatt an Solar- und 3,5 Gigawatt an Windenergie installiert.
Chinas Energiestrategie ist entscheidend für den globalen Klimaschutz, da das Land mit Abstand am meisten Treibhausgase ausstößt. Wann werden die Bemühungen fruchten?
Michael Berger: Laut Staatspräsident Xi Jinping soll der „Peak“ der Emissionen bis 2030 und Klimaneutralität bis 2060 erreicht sein. Bereits Mitte der 2010er- Jahre hatte der CO2-Ausstoß des Landes stagniert, woraufhin viele Fachleute bereits eine Trendwende erhofften. In den letzten Jahrzehnten galt aber Wachstum um jeden Preis – ohne jegliche Rücksicht auf die Umwelt. Das hat sich geändert.
Entstehen durch die grüne Transformation neue Geschäftsfelder für heimische Betriebe?
Michael Berger: Definitiv. Insbesondere internationale Technologien und Know-how im Bereich Wind- und Photovoltaikanlagen werden in China erforderlich sein. Um die Stromerzeugung aus Wind- und Solarkraftwerken bis 2025 zu verdoppeln, entstehen gigantische Offshore-Windprojekte etwa auf der Halbinsel Shandong sowie entlang des Jangtse-Flusses. Auch in der Wüste Gobi und anderen Wüstenregionen sind Jahrhundertprojekte in Planung. Außerdem ist die Entwicklung von Geothermie- und Gezeitenkraftwerken geplant.
China scheint von den Sanktionen gegen Russland zu profitieren. Wie positioniert sich das Land in der Frage des Krieges?
Michael Berger: Die hiesige Propaganda folgt stärker dem russischen Spin. Für die offizielle chinesische Doktrin ist es aber ein Spagat zwischen der offiziellen Strategie, sich nicht einzumischen, und der Verurteilung des Krieges. China wird sich aber auf keinen Fall den Sanktionen anschließen und liefert auch keine Waffen an Russland. Gleichzeitig wird Russland China künftig Öl und Gas im Volumen von etwa 100 Milliarden Euro liefern. Der Deal soll für die nächsten 25 Jahre gelten.
Zur umstrittenen Corona-Politik des Landes: Ist eine Abkehr der strikten Maßnahmen absehbar?
Michael Berger: Nein, davon ist im Moment keinesfalls auszugehen. Der Präsident hat erst vor kurzem bekräftigt, nicht von dieser Politik abgehen zu wollen, weil es für das Land die sicherste und wirtschaftlich günstigste Lösung sei. Mittlerweile ist die Kritik aber derart laut, dass die staatliche Zensur – etwa in den sozialen Medien – mit dem Löschen von Einträgen nicht mehr hinterher kommt.