Gold Plating: Nationaler Übereifer kostet extra
110.000 Gesetze und Verordnungen auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene regeln unseren Alltag bis ins Detail – und damit nicht genug: Oft werden strenge EU-Vorgaben noch übererfüllt. Dieses „Gold Plating“ wurde jetzt erstmals wissenschaftlich untersucht – mit dramatischen Ergebnissen.

Es klingt absurd: Aufgrund einer EU-Richtlinie für Großküchen wird der Inhaberin eines kleinen Bio-Ladens das Verwenden von Holzutensilien behördlich untersagt. Oder, ein paar Kilometer weiter – ebenfalls in Graz: Die Schlacke aus der Marienhütte – jahrelang im Straßenbau verwendet, wird plötzlich zum juristischen Streitfall.
Absurde Fälle wie dieser sind nicht die Ausnahme, sie sind Teil eines komplexen legistischen Regelwerks, das mitunter seltsame Blüten treibt. In Summe sind es 110.000 Gesetze und Verordnungen auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene, die es zu beachten gilt. Und so manche (nationale) Bestimmung ist noch strenger umgesetzt als unionsrechtlich gefordert. Diese „Übererfüllung“ von EU-Vorschriften – auch „Gold Plating“ genannt – macht nicht nur den Beamten, sondern auch den Unternehmen das Leben schwer, insbesondere im Wirtschafts- und Umweltrecht: Verfahren werden in die Länge gezogen, die Kosten explodieren.
Jetzt gibt es erstmals eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema: Im Rahmen eines Gemeinschaftsprojekts der WKO Steiermark in Kooperation mit der Uni Graz wurden kürzlich signifikante Rechtsbereiche ins juristische Visier genommen – von UVP-Verfahren bis hin zu Abfall-, Vergabe-, Wasser- und Industrieemissionsrecht. Die Ergebnisse wurden in einer Sonderpublikation der „Wirtschaftspolitischen Blätter“ publiziert. Fazit daraus: „Sämtliche untersuchten Bereiche sind national strenger umgesetzt als von der EU indiziert“, kritisiert WKO-Steiermark-Präsident Josef Herk. Die Untersuchung belege die Detailverliebtheit des nationalen Gesetzgebers und seiner Vollzugsbehörden. „Hier müssen wir dringend eine Trendumkehr einleiten“, fordert Herk.
„Insgesamt haben wir neun Themenkomplexe im Rahmen des Forschungsprojekts unter die Lupe genommen“, berichtet Projektleiterin Birgit Tockner vom Institut für Wirtschafts- und Standortentwicklung (IWS). Die Expertin hat selbst die Bestimmungen der UVP-Verfahren bis ins Detail analysiert. Alle zwölf zentralen Bereiche der Materie weisen „Gold Plating“ auf: So gibt es im EU-Recht beispielsweise keine Umweltanwaltschaft, die wie viele andere NGOs in solchen Verfahren Parteistellung haben. Die Folge davon sind vielfach längere und kostenintensivere Verfahren – man denke ans Murkraftwerk oder an die dritte Piste in Wien-Schwechat, die Investitionen am Standort Österreich hemmen.
Auch im Bereich der Industrieemissionen wurden viele Fälle von „Gold Plating“ aufgedeckt. Diese und noch mehr Beispiele werden in der 141 Seiten starken Publikation aufgelistet – wir widmen uns diesen im Rahmen einer Sonderserie, die kommende Ausgabe startet. Gemeinsam mit der WKÖ wurde darüber hinaus ein umfangreiches Reformpaket erarbeitet – mit 200 Fällen von „Gold Plating“, die zurückgenommen werden sollen.
Teure „Fleißaufgaben“ für die Wirtschaft
Ein Reformpaket mit 200 Gold-Plating-Rücknahmevorschlägen wurde mit der WKÖ geschnürt.
Vom Murkraftwerk bis zur dritten Piste in Wien-Schwechat, vom Umgang mit der Elektroschlacke der Marienhütte bis zur Übererfüllung der europäischen Hygienestandards im „Kochlöffel-Fall“ einer Grazer Bioladen-Betreibern. Die Liste der „Gold Plating“-Fälle in Österreich ist lang. Um gegenzusteuern, wurde mit der WKÖ ein umfangreiches Reformpaket geschnürt, das nun Minister Josef Moser übergeben wurde und u.a. folgende Erleichterungen vorsieht.
- Chemikalienrecht: Weltweit ist das EU-Chemikalienrecht das strengste seiner Art. Trotzdem hat Österreich noch zahlreiche Relikte aus Vor-EU-Zeiten. Entrümpelung ist nötig.
- Abfallwirtschaft: Unter dem Motto „Zettelwirtschaft verringern“ sollte die in Österreich überbordende Datensammlung über Abfälle auf die EU-Vorgaben fokussiert sein. Ein Abfallwirtschaftskonzept sollte nur dort verpflichtend sein, wo es EU-Vorgaben verlangen.
- Telekommunikationsgesetz: Die kostenlose Papierrechnung als Standard-Vorgabe ist EU-rechtlich nicht vorgesehen und auch nicht mehr zeitgemäß. Stattdessen sollte als Standard die elektronische Übermittlung vorgesehen werden.
- Güterbeförderungsgesetz. Um eine ausreichende Anzahl an Abstellplätzen in Unternehmensnähe zu garantieren, sieht das Güterbeförderungsgesetz den Nachweis von geeigneteten Abstellplätzen vor. Unionsrechtlich ist das nicht vorgesehen.
- Lohn- und Sozialdumping. Nach der EU-Richtlinie sorgen die Mitgliedstaaten für die Einhaltung der Mindestlohnsätze einschließlich der Überstundensätze. Das österreichische Gesetz sieht drakonische Strafen für Unterentlohnung und einen weiteren Entgeltbegriff vor.
