"Gast ändert bei jedem Urlaub seine Identität"
Der Tourismus hat unter der Pandemie besonders gelitten. Tourismusforscher Peter Zellmann weiß, welche Herausforderungen Betriebe aktuell meistern müssen, um langfristig Erfolg zu haben.

Warum und wie hat Corona den Tourismus und die Freizeitwirtschaft verändert?
Peter Zellmann: Büro oder Produktion ließen sich nicht so stark reglementieren wie der Alltags- und Freizeitbereich. Deshalb hatten die Restriktionen im Tourismus auch einen so starken Einbruch zur Folge. Freizeitalternativen im Alltag sind eher zu finden und zu organisieren. Es ist aber nicht möglich, auf Urlaub zu fahren, wenn dieser Sektor komplett still steht.
Wie haben sich die Motive für Reisen, Sportaktivitäten, den Besuch im Gasthaus gewandelt?
Zellmann: Die Pandemie hat ein Freizeitverhalten verstärkt, das ohnedies im Gange war. Outdoor, Naturverbundenheit, Freiheit, Überlegungen von Nachhaltigkeit – all das gab es schon vor Corona, wurde nun aber beschleunigt. Man könnte sagen, Corona hat hier als Turbo gewirkt. Das wird sich auch wieder ein wenig zurückentwickeln. Auslandsreisen, Mittelmeeraufenthalte werden – wenn es Corona zulässt – wieder zunehmen, auch zu Lasten des Booms, den wir 2021 mit Urlaub in Österreich verzeichnet haben.
Werden die Veränderungen dauerhaft sein?
Zellmann: Urlauber haben ein Kurzzeitgedächtnis. Es wird nicht so sein, dass die Menschen keine Flugreisen und Kreuzfahrten mehr machen und nur mehr ökologisch sanft unterwegs sind. Doch was in den vergangenen Jahren – unabhängig von Corona – auffallend war, ist der Trend zu mehreren aufeinanderfolgenden Kurzurlauben. Jeder Urlaub hat dabei ein anderes Thema. Somit ändert sich von Urlaub zu Urlaub auch die Identität des Gastes. Mal ist die Software wichtig, die Betreuung, die Pflege – etwa beim Wellnessurlaub. Die Themen, welche die Kurzurlaube bestimmen, werden also immer weiter zunehmen.
Wie können sich Betriebe auf diese Veränderungen einstellen und langfristig sogar davon profitieren?
Zellmann: Dadurch, dass jeder Urlaub einen anderen Inhalt hat, fällt die Zuordnung zu Zielgruppen immer schwerer. Deshalb müssen sich die Betriebe den Erlebnisgruppen zuwenden. Und diese sind weder geschlechts- noch altersgebunden. Es geht darum, nicht mehr den Menschen in eine Zielgruppe einzuteilen, sondern sein Urlaubsverhalten. Diese Entwicklungen ziehen einen Paradigmenwechsel in der Angebots- und Programmgestaltung nach sich. Darauf müssen die Touristiker in Zukunft noch stärker achten als bisher.
Könnten der Konflikt in der Ukraine und die damit verbundenen Unsicherheiten und finanziellen Sorgen den Aufschwung wieder bremsen?
Zellmann: Noch ist es zu früh für wissenschaftlich fundierte Prognosen. Doch was klar ersichtlich ist: Zum einen gibt es einen großen Nachholbedarf. Die Menschen wollen wieder reisen, die Koffer sind gedanklich schon gepackt. Zum anderen sind die Sorgen durch Inflation und Preisexplosionen natürlich groß, was das Urlaubsbudget betrifft. Hier gibt es zwischen Wunsch und Wirklichkeit oft eine große Kluft. Was sich abzeichnet, ist, dass der Trend zum Urlaub daheim bleiben wird.
Wie können Unternehmen darauf reagieren?
Zellmann: Es geht darum, einen Mittelweg zwischen Euphorie und Pessimismus zu finden. Es geht darum, seine eigene Situation realistisch einzuschätzen, sich Strategien zurechtzulegen und diese konsequent zu verfolgen. Hotels rate ich dazu, den Gästen bei Stornos entgegenzukommen und Umbuchungen oder Gutscheine anzubieten. Der Gastronomie rate ich von empfindlichen Teuerungen ab.
Peter Zellmann leitet das Institut für Freizeit- und Tourismusforschung in Wien. Darüber hinaus ist er Autor zahlreicher Publikationen.