"Europa wird an Wohlstand verlieren"
Der renommierte Russland-Experte Gerhard Mangott zeichnet ein düsteres Bild von der Zukunft Europas. Denn ein Ende des Ukraine-Kriegs hält er für nicht absehbar.

Herr Professor, angesichts der hohen Inflation: Können wir uns denn die anhaltenden Sanktionen gegenüber Russland wirtschaftlich noch leisten?
Oft wird behauptet, der Grund für die hohe Inflation sei der Ukraine-Krieg – und damit Kriegsverursacher Russland. Das ist nicht richtig. Wir hatten bereits vor der Invasion Inflationstrends. Die verhängten Sanktionen treiben die Inflation jetzt noch zusätzlich weiter nach oben. Es kostet Geld, die Ukraine zu unterstützen und Russland zu bestrafen. Ich vermisse hier die Ehrlichkeit auf westlicher Regierungsseite, zu sagen: Das geht nicht gratis. Auch der Wiederaufbau der Ukraine und die permanente Finanzierung des Staatshaushalts kosten Geld.
Orten Sie in diesem Zusammenhang Furcht auf europäischer Seite, dass die Akzeptanz der Sanktionen abnimmt?
Wie immer bei militärischen Konflikten stellt sich eine gewisse Kriegsmüdigkeit ein. Die Menschen wollen nicht mehr damit behelligt werden, wenden sich anderen Dingen zu, die stärker unter den Nägeln brennen. Wie eben etwa der Inflation. Die Konsequenzen der Sanktionen werden die Stimmung zugunsten der Ukraine weiter deutlich abschwächen.
Sind denn dann weitere Sanktionen überhaupt noch denkbar?
Je schmerzhafter die Sanktionen, desto größer wird der Widerstand werden. Das ist eine natürliche Reaktion. Daher glaube ich, dass das siebte Paket noch lange dauern wird. Denn es gibt sichtbare Brüche im Westen, was die Haltung zum Krieg betrifft – nicht nur was die Sanktionen anbelangt. Europa trennt auch die Frage: Was soll die Ukraine militärisch überhaupt erreichen?
Zur Gegenseite: Wie steht es um die russische Volksseele? Wie nimmt man den Krieg in Russland wahr?
Es ist lediglich eine Minderheit, die gegen den Krieg ist – und davon sind es nur wenige, die sich öffentlich kritisch äußern. Das ist vor allem die besser ausgebildete Mittelschicht, die über alternative Medien die Wahrheit erfährt. Viele von diesen Menschen haben Russland auch bereits verlasssen. Denn angesichts der massiven Sanktionen sehen sie keine Chance auf Wohlstand in Russland in der Zukunft. Der Großteil der Bevölkerung steht hinter diesem Krieg, der in Russland nicht Krieg heißen darf.
Gibt es Anleihen in der Geschichte für mögliche Lösungen?
Für geschichtliche Parallelen müssen wir relativ weit zurückblicken. Erst mit der Charta der Vereineten Nationen im Jahr 1945 sind derartige Angriffe sukzessive verschwunden. Das Starten von Militäreinsätzen zur Eroberung von Territorien war bis dahin völkerrechtlich legitimiert. Das ist schon eine Art Rückwärtsentwicklung der internationalen und kollektiven Sicherheit.
Eine Einigung zwischen Russland und der Ukraine halten Sie für ausgeschlossen?
Im Augenblick sehe ich keine Verhandlungslösungen. Denn Die Verhandlungspositionen sind derart weit auseinander, wie sie seit Beginn des Krieges noch nie waren. Auch für Vermittlungsmissionen sehe ich im Moment keine reele Chance.
Am 27. Juni sprechen Sie in der WKO Steiermark – gemeinsam mit anderen Experten – über die Zukunft Europas. Wie wird diese aussehen?
Europa wird ärmer werden, die Wohlstandsverluste werden sich fortsetzen, insbesondere wenn man die relativen Wohlstandsgewinne in Asien betrachtet. Es wird viel Geld in die Streitkräfte gehen, das für andere Zwecke nicht zur Verfügung steht. Von der finnischen Ostgrenze bis zu jener an der Moldau wird zwar kein neuer eiserner Vorhang entstehen, aber die Truppenkonzentration entlang dieser Trennlinie wird sehr hoch bleiben. Solange Putin die Macht behält, werden die Beziehungen zwischen der EU und Russland eiseskalt bleiben.
Krieg, Corona, Brexit & Co.: Täuscht der Eindruck, dass wir in einer Spirale von Negativ-Phänomenen hängen?
Diese Entwicklungen werden sich fortsetzen: Migrations- und Hungerkrisen werden sich verschärfen, Trump – oder eine Person wie er – könnte bereits 2024 als Präsident der Vereinigten Staaten zurückkehren. Wir müssen uns insgesamt auf schwerere Zeiten einstellen, als wir sie in der Vergangenheit erlebt haben.
Verzeihen Sie, aber das Gespräch mit Ihnen schafft wenig Zuversicht.
Ich bin irgendwie die Kassandra, welche die schlechte Nachricht überbringt. Aber es ist nun mal so, dass die nähere Zukunft aus meiner Sicht nicht so rosig sein wird.
Zur Person: Gerhard Mangott lehrt und forscht an der Universität Innsbruck, ist Autor zahlreicher Bücher und gilt als Russland-Experte.
"Fachkräftemangel, Pandemie und Krieg": Darüber diskutieren am 27. Juni (17 Uhr) Gerhard Mangott, ams-Vorstand Johannes Kopf, Ökonom Stefan Bruckbauer, Zukunftsforscher Matthias Horx und Klimaexpertin Ilona M. Otto im Europasaal der der WKO Steiermark.