Dicke Wolken über der Brexit-Wirtschaft
Der Brexit hat den Briten nicht das gebracht, was Premier Johnson versprochen hat. Pandemie und Ukraine-Krieg trafen ein angeschlagenes Land.

Schmiergeldzahlungen in den eigenen Reihen und die „Partygate“-Affäre – der britische Premierminister Boris Johnson stolpert von einem Skandal in den nächsten. Die Verluste seiner Partei bei den kürzlich abgehaltenen Wahlen waren durchaus vorhersehbar. „Die Konservativen haben die Kommunalwahlen zwar verloren, aber Labour hat nicht ausreichend zugelegt, um eine politische Kehrtwende zu signalisieren. Gewinner waren vor allem Liberaldemokraten und Grüne, die aber im Mehrheitswahlsystem der Briten national kaum eine Rolle spielen“, analysiert Christian Kesberg, Wirtschaftsdelegierter in London, die Situation. Auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen habe der Ausgang der Regionalwahlen in Nordirland sowie der Kommunalwahlen allerdings kaum Einfluss. Er bestätige nur die lähmende, aber längst „eingepreiste“ Zersplitterung der Politlandschaft und die bekannten Brandherde in Nordirland.
Die Wirtschaft erholt sich nur langsam
Aktuell erholt sich das Vereinigte Königreich nur langsam von der Schockwirkung der Pandemie. „Nach einem mit minus 9,7 Prozent im europäischen Vergleich massiven Einbruch der Wirtschaftsleistung im Jahr 2020 wuchs die britische Wirtschaft 2021 wieder um 7,5 Prozent, bilanzierte damit aber immer noch knapp unter dem Vorkrisenniveau“, so Kesberg. Doch schon der Abgang aus der EU hat der fünftgrößten Volkswirtschaft der Welt einiges an Kraft gekostet, die jetzt fehlt. „Man geht davon aus, dass der Brexit das BIP langfristig um vier Prozent nach unten drückt und weder neue Handelsabkommen noch Deregulierung wesentliche Auswirkungen auf diese Prognose haben werden“, berichtet Kesberg.
Neben den rückläufigen Ausfuhren seien es vor allem Rückgänge beim Zufluss von Auslandsinvestitionen sowie fehlende Fachkräfte, die die Wettbewerbsfähigkeit der Briten nachhaltig beschädigen würden. Und nun kommen noch die wirtschaftlichen Auswirkungen des Ukraine-Kriegs hinzu: Steigende Inflation, die Unterbrechung der Versorgungsketten, der massive Anstieg der Energie- und Rohstoffpreise und geplanten Steuererhöhungen im Inland drücken auf die Bremse. Der Brexit hat auch die britisch-österreichischen Handelsbeziehungen auf die Probe gestellt. „Obwohl sich das Geschäft in weiten Teilen erholt, ist man von einer Normalisierung weit entfernt“, so Kesberg. Hohe Kosten für Zollverfahren, der Wegfall steuerlicher Vereinfachungen für Versandhandel oder Dreiecksgeschäfte sowie Einschränkungen bei der Entsendung zu Montageleistungen würden für Probleme sorgen. „Vor allem kleine und mittlere österreichische Unternehmen, die nur im kleinen Umfang ins Vereinigte Königreich liefern, leiden darunter. Einige wenige Unternehmen haben sich zurückgezogen, aber viele haben sich der Herausforderung gestellt und aus dem Brexit-Hürdenlauf auch für die Expansion in Drittmärkte gelernt“, so Kesberg.
Zahlen & Fakten
- 67,5 Millionen Einwohner leben im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland auf einer Fläche von insgesamt 243.610 km2.
- 597 Millionen Euro ist der Wert der Waren, die aus der Steiermark ins Vereinigte Königreich im 1. Halbjahr 2021exportiert wurden.
- 131 Millionen Euro ist der Wert der im 1. Halbjahr 2021 aus UK in die Steiermark importierten Waren, das ist ein Minus von 27,4 %.