"Die aktuellen Preise sind für Betriebe fatal"
E-Control-Vorstand Wolfgang Urbantschitsch über Versorgungssicherheit, die brisante Lage am Energiemarkt und die Gas-Abhängigkeit von Russland

Kein anderes Thema beschäftigt die Wirtschaft aktuell mehr als die rasant gestiegenen Energiepreise. Können Sie die Sorgen der Unternehmer nachvollziehen?
Wolfgang Urbantschitsch: Absolut. Die Vervielfachung der Energiepreise ist für Betriebe auch kurzfristig gesehen ökonomisch furchtbar, ja, fatal. Hinzu kommt, dass derzeit keine Planbarkeit besteht, da sich die Lage am Energiemarkt durch den Krieg in der Ukraine permanent weiter zuspitzt.
Sie sitzen bei der E-Control an den „Schalthebeln“ für Strom und Gas im Land. Wie sicher ist die Energieversorgung?
Ubantschitsch: Sie ist insgesamt für Strom und – Stand heute – bis dato auch für Gas ausgezeichnet. Bei Gas sind im Übrigen die Speicher der Jahreszeit entsprechend gefüllt und Russland pumpt nach wie vor weiter Gas ins Land. Dennoch wurde uns allen durch diesen Krieg deutlich vor Augen geführt, wie groß die Abhängigkeit von fossiler Energie ist. Bei Gas ist diese ex-trem hoch – und 80 Prozent davon kommen aus Russland.
Man hat bei Gas auf einen Anbieter gesetzt. Die Konsequenzen daraus sind bereits massiv und drohen bei einem Gasstopp oder einem Embargo verheerend zu sein…
Urbantschitsch: Hier hat sich Österreich, wie auch Deutschland und andere Länder Europas, in eine große Abhängigkeit begeben. Aber man muss sich auch bewusst sein, dass das günstige Gas aus Russland wichtig für den Wohlstand in unserem Land war und ist. Über Jahrzehnte hinweg sind die vereinbarten Mengen aus Russland immer gekommen – selbst als die Sowjetunion zerfallen ist. Deshalb hat niemand mit der Möglichkeit eines Ausfalls aller Gasmengen aus Russland gerechnet.
Nicht vorstellbar war bislang auch die Energielenkung. Nun ist die Frühwarnstufe in Kraft – bei energieintensiven Betrieben steigt die Angst…
Urbantschitsch: Die Frühwarnstufe ist der Formalakt zu dem, was wir seit Wochen tun: Die Situation genau zu beobachten und die Szenarien durchzurechnen. Zwar ist es möglich, die Mengen anderer Gasexporteure, die nach Europa liefern, zu steigern. Aber man muss realistisch bleiben: Es ist nicht möglich, binnen kürzester Zeit das russische Gas zur Gänze zu kompensieren.
Was passiert, wenn es doch zur Alarmstufe kommt?
Ubantschitsch: Bei 1,3 Millionen Gaskunden entfallen rund 19 Prozent des Verbrauchs auf Haushalte, der Rest auf Industrie und Gewerbe. Die Großabnehmer ziehen mehr als 50 Prozent des Gasbedarfs nach sich. Die Versorgung der kritischen Infrastruktur, der Haushalte sowie der lebensnotwendigen Produktion haben im Energielenkungsfall Priorität. Gleichzeitig erfolgt dort, wo es möglich ist, eine Substitution von Gas durch andere Energieträger und – sofern notwendig – in einem ersten Schritt die Beschränkung des Gasbezuges von Großverbrauchern.
Viele Betriebe versuchen Alternativen umzusetzen. Dem stehen aber massive Hürden, etwa bei UVP-Verfahren zu Photovoltaik, entgegen…
Urbantschitsch: Die Verfahren ziehen sich eindeutig viel zu lange hin, Behördenentscheidungen müssen deutlich rascher gefällt werden.
Zurück zum Gas. Was wurde hier bis dato verabsäumt?
Urbantschitsch: Im vergangenen Jahr waren die Speicher viel zu wenig gefüllt. Das liegt daran, dass die Großhandelspreise nach dem Winter 2020/2021 nicht gesunken sind. Allerdings gab es auch kundenseitig keine Bereitschaft, eine „Zusatzversicherung“ durch eingespeichertes Gas abzuschließen.
Ist die nun erstmals vom Nationalrat beschlossene staatliche Gasreserve eine ebensolche Zusatzversicherung?
Urbantschitsch: Genau. Österreich hat damit das Risiko für alle im Land minimiert. Mit dieser Reserve wird die Menge eines gesamten Jännerbedarfs – Haushalte und Großkunden – zusätzlich eingelagert. Über diese 12,5 Terrawattstunden hat nur der Staat Verfügungsgewalt.
Bleiben wir beim Staat, dem größten Profiteur dieser Teue-rungswelle: Um wie viel ist das Steuer- und Abgabenvolumen hier gestiegen und welche Maßnahmen gibt es, diese Preisrallye einzudämmen?
Urbantschitsch: Wie viel mehr durch gestiegene Energiepreise eingenommen wurde, kann ich nicht beziffern. Was die Preisrallye betrifft, so hat Österreich rasch, wo es im Rahmen des EU-Rechts möglich ist, einiges beschlossen, etwa, was die Abgaben auf Erdgas und Elektrizität betrifft.
Stichwort Elektrizität: Wie erklären Sie als Steirer den steirischen Firmen die hierzulande höheren Netzentgelte?
Urbantschitsch: Die Höhe der Netzentgelte hängt mit der Struktur eines Landes und dem damit verbundenen Mehraufwand im Aufbau und in der Instandhaltung der Infrastruktur zusammen.
Deutschland will in „zwei Wintern“ raus aus russischem Gas sein…
Urbantschtisch: Ich halte das für extrem ambitioniert. Jedenfalls dann, wenn der Verbrauch von Erdgas nicht gleichzeitig massiv sinkt.
Zur Person:
Wolfgang Urbantschitsch hat Rechtswissenschaft studiert und leitete von 2001 bis 2016 die Rechtsabteilung der E-Control. Seit 2016 ist der Steirer Mitglied des Vorstands der E-Control. Infos: https://www.e-control.at