26.577 Euro beträgt die durchschnittliche Jahresbruttorente in Österreich. In Deutschland kommt der Standard-Rentner auf nur 17.026 Euro.
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Nach der Pensionierung ist vor dem Unruhestand

Nach der Pensionierung noch einmal beruflich durchstarten – so lautet der Wunsch von immer mehr Senioren. Gerade im Hinblick auf den Fachkräftemangel könnte sich dieser Trend positiv auf die Gesellschaft auswirken.

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Aktualisiert am 13.03.2023

Wenn ein Wort die vergangenen Wirtschaftsjahre geprägt hat, dann war es der Fachkräftemangel. Zwar hat sich die Zahl der steirischen Lehranfänger im Jahr 2021 um 9,8 Prozent erhöht, doch von einer Entlastung bzw. Verbesserung kann noch nicht wirklich die Rede sein. Nahezu jede Branche kämpft um qualifiziertes Personal, doch viele Arbeitsplätze bleiben über Monate unbesetzt – mit schwerwiegenden Folgen für die Betriebe. 

Dass qualifizierte Zuwanderung und die Aufwertung der Lehre entscheidende Schlüsselfaktoren zur Bekämpfung des Fachkräftemangels sind, ist bereits in den Köpfen der Wirtschaftstreibenden angekommen. Dass aber auch noch eine andere, sehr effektive Lösung auf dem Tisch liegt, ist den Wenigsten bewusst – und zwar der Einsatz von bereits pensionierten (ehemaligen) Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. 

Pension ist nicht nur Paradies

Was bereits während der Coronapandemie (notgedrungen) mit der Rückholung von bereits pensionierten Krankenpflegern, Ärzten und medizinischem Personal in die Wege geleitet wurde, könnte sich tatsächlich als zukunftsweisende Methode zur Reduktion des Fachkräftemangels herausstellen. Denn: Rund 40 Prozent der Angestellten, die kurz vor der Pension stehen, würden laut einer Umfrage von „Seniors4success“ gerne weiterhin im Betrieb tätig sein, sofern die Rahmenbedingungen stimmen. „Dank der medizinischen Versorgung werden wir immer älter. Viele, die mit 65 in Pension gehen, sind noch fit und wollen ihre restlichen 30, 40 Jahre sinnvoll nutzen und ein produktiver Teil der Gesellschaft bleiben“, so Richard Kaan, der nach seiner 40-jährigen Tätigkeit als selbständiger Unternehmer plötzlich mit dem Pensionsbescheid in der Hand selbst vor die Frage gestellt wurde, wie er sein restliches Leben gestalten möchte. „Natürlich ist es für viele auch sehr schön und entspannend, wenn der ganze Druck abfällt und man auf Reisen gehen, stundenlang im Kaffehaus sitzen und seinen Alltag komplett neu gestalten kann. Aber erfahrungsgemäß kommt bei den meisten bald der Hunger auf neue Herausforderungen und eine Aufgabe im Leben zurück“, so Kaan, der im Mai sein zweites Buch zu diesem Thema veröffentlicht. 

Während vor allem bei Frauen außerdem Altersarmut eine große Rolle spielt, ist bei den Männern der Verlust von sozialen Kontakten durch die Arbeit nicht zu unterschätzen. „Viele Menschen vereinsamen in der Pension. Auch das kann ein Grund sein, warum viele wieder gerne einer Tätigkeit nachgehen würden – sie wollen gesehen werden“, so Kaan.

AVL als Vorreiter in Österreich

Der Trend, nach der Pensionierung noch einmal neue berufliche Wege zu gehen, ist in anderen Ländern bereits im Alltag angekommen. „In den USA werden beispielsweise Senioren bei McDonald's oder Walmart angestellt und mit speziellen Tätigkeiten, die ihrem Alter und Erfahrungen entsprechen, betraut“, weiß Kaan. In Österreich steckt die Idee der „Senioren-Mitarbeiter“ noch in den Kinderschuhen, allerdings gibt es bereits erste Unternehmen, die auf die Expertise von bereits pensionierten Mitarbeitern zurückgreifen: Die AVL List GmbH beispielsweise kann bei Bedarf auf einen Pool von rund 150 ehemaligen Mitarbeitern zugreifen, die für einzelne Projekte, spezielle Entscheidungsfragen oder Expertenmeinungen herangezogen werden. „Es wird eher selten der Fall sein, dass aus dem Betrieb scheidende Mitarbeiter weiterhin Vollzeit 40 Stunden arbeiten wollen. Oft ist es ihnen auch körperlich nicht mehr möglich, weiterhin im selben Job tätig zu sein“, betont der Buchautor. 

Umso wichtiger ist es daher, die richtigen Positionen für ältere Mitarbeiter zu finden. Ein ehemaliger Bauarbeiter wird mit 67 Jahren nicht mehr Vollzeit auf der Baustelle arbeiten können – allerdings könnte er geringfügig in einem Baumarkt aushelfen und Kunden aufgrund seiner Erfahrungswerte professionell beraten. „Bei Senioren-Mitarbeitern geht es vor allem darum, das vorhandene Know-how bestmöglich nutzen und an jüngere Kollegen weitergeben zu können“, so Kaan, und erklärt weiter: „Die Unterstellung, dass ältere Mitarbeiter den Jüngeren den Platz wegnehmen würden, ist Blödsinn – man kann deren Aufgaben nicht vergleichen. Statt Konkurrenz-Gedanken sollte man die Vorteile von generationsübergreifenden Teams in den Vordergrund stellen, angefangen bei Mentorentätigkeiten bis hin zu den sozialen Benefits, die ältere Mitarbeiter mit sich bringen.“ 

Vorbereitung ist wichtig 

Damit der Schritt vom Berufsalltag in den „Unruhestand“ reibungslos funktioniert, empfiehlt Kaan, rechtzeitig einen entsprechenden Übergang (zusammen mit den Vorgesetzten) zu planen. Denn was die Finanz- bzw. rechtliche Grundlage bei Senioren-Mitarbeitern betrifft, gibt es in Österreich noch ein paar Hürden zu bewältigen – zum Beispiel die Kosten für Sozialversicherung und Lohn- bzw. Einkommensteuer. „Man sollte Pensionisten unbedingt die Chance geben, möglichst unbesteuert zur Pension dazuverdienen zu dürfen. Ein Freibetrag von beispielsweise 10.000 bis 15.000 Euro pro Jahr wäre ein guter Anfang“, so Kaan, der seit 2015 regelmäßig Vorträge über die „Generation Plus“ hält. 

Am 15. Mai 2022 findet die offizielle Buchpräsentation von Richard Kaans zweitem Buch „Ich arbeite nicht mehr – jetzt bin ich tätig“ statt. Sein erstes Werk zu diesem Thema „Ich muss fast nix und darf fast alles – beschwingt altern“ erschien im Vorjahr.
© Joel Kernasenko Am 15. Mai 2022 findet die offizielle Buchpräsentation von Richard Kaans zweitem Buch „Ich arbeite nicht mehr – jetzt bin ich tätig“ statt. Sein erstes Werk zu diesem Thema „Ich muss fast nix und darf fast alles – beschwingt altern“ erschien im Vorjahr.