Österreich als Opfer seines eigenen Erfolges
Die beiden renommierten Ökonomen Christian Helmenstein und Christoph M. Schneider im Interview über die Inflation und ihre Auswirkungen auf den Standort.

Die Inflation lag in Österreich im Mai bei 8,7 Prozent. Viele Beobachter sprechen von einer historischen Dynamik – liegen sie richtig?
Helmenstein: Wenn man sich auf die Nachkriegszeit bezieht, trifft dieses subjektive Gefühl auch objektiv zu. Denn die Werte während der zweiten Ölpreiskrise vor 40 Jahren wurden noch übertroffen. Zurückzuführen ist das aus meiner Sicht auf ein Zusammenwirken von nachfrageseitigen und angebotsseitigen Elementen. Schon zum Zeitpunkt der russischen Invasion in der Ukraine hatten wir rund fünf Prozent Inflation – sie ist also nicht ausschließlich kriegsbedingt. Vielmehr war der Geldmantel in der jüngeren Vergangenheit so weit geschnitten, dass Preisüberwälzungsspielräume entstanden sind. Diese haben sich zunächst noch nicht materialisiert – der weite Geldmantel ist vielmehr erst zum Tragen gekommen, als im Gefolge von Covid Produktionskapazitäten nicht mehr zur Verfügung standen, die Nachfrage aber hoch gehalten wurde. Damit haben sich eben jene nachfragebedingten Preisüberwälzungsspielräume aufgetan. Dazu kam noch der Energiepreis-Schock.
Im EU-Vergleich ist Österreich sogar Ausreißer nach oben.
Helmenstein: Zum Teil sind wir da, im Vergleich zu Deutschland etwa, Opfer unseres eigenen Erfolges. In den Jahren 2021 und 2022 gab es zusammen fast zehn Prozent reales Wirtschaftswachstum – im selben Zeitraum hatte Deutschland nur etwas mehr als die Hälfte dieses Wachstums. Eine höhere Nachfrage, die sich auch in einem größeren Output niederschlägt, geht typischerweise mit höheren Preissteigerungsdynamiken einher. Die großzügigen Unterstützungen für private Haushalte und Unternehmen haben zu einer hohen Kaufkraft geführt und die Inflation angetrieben. Die höchsten Partikularbeiträge zur Inflationsdynamik beobachten wir aktuell aus Kategorien wie Gastronomie, Hotellerie oder Handel mit Nahrungsmitteln. Diese zurückzuführen, ist die erste große Herausforderung, vor der wir stehen. Die zweite sind hohe Lohnabschlüsse – daraus könnten Mehrrundeneffekte erwachsen. Auch diese werden sich preislich niederschlagen.

Sie sprechen die Herausforderungen an. Aber welche Handlungsoptionen sehen Sie?
Schneider: Im internationalen Vergleich hat man in Europa geldpolitisch sehr großzügig agiert – jetzt aber deutlich später reagiert als etwa der amerikanische Wirtschaftsraum. Aktuell ist die Geldmenge sehr hoch – das lässt die Inflation auf einem gewissen Niveau verharren. Deswegen ist es essenziell, wie zuletzt auf europäischer Ebene, die Leitzinsen anzuheben. Solche Maßnahmen haben aber selten eine sofortige Wirkung. Wichtig ist auch: Die Liquidität der Unternehmen muss, wie während der Coronazeit, gesichert werden.
Helmenstein: Ansetzen kann man in der Wettbewerbspolitik: Keine Preiskontrollen, sondern Angebotserweiterung – etwa durch systematische Ansiedlung weiterer Ketten, zum Beispiel im Einzelhandel. Denn eine Angebotserweiterung wirkt normalerweise preisstabilisierend oder sogar -senkend. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Preistransparenz. Dabei muss man allerdings vorsichtig sein – es müssen wirklich gleichartige Produkte verglichen werden. Und es gibt noch mehr konkrete Interventionsmöglichkeiten: Die öffentliche Hand sollte einen kompletten Gebühren- und Abgabenstopp verhängen und sie, wo möglich, sogar senken. Ein anderes Thema sind Mieten. Hier braucht es eine Angebotserweiterung, um die Mietpreisdynamik zu verringern. In Österreich befinden sich viele Wohnungen in öffentlichem Eigentum – hier könnte man intervenieren, das hätte einen unmittelbar dämpfenden Effekt.

Also doch eine Mietpreisbremse?
Helmenstein: Da haben wir Vorbehalte. Das wäre eine ungebührliche Intervention ins Privateigentum und hätte die Investitionsfähigkeit der Eigentümer unterminiert – das würde lange nachwirken. Stichwort grüner Strukturwandel.
Schneider: Da muss ich einhaken, denn Fakt ist auch: Dass in einer Zeit, in der die Leitzinsen ansteigen und die Kredite teurer werden, die administrativen Konditionen für gewisse Kredite angehoben werden, hat Nachwirkungen: Kapital wird teurer gemacht und die Inflation angekurbelt. Wird zu wenig gebaut, kommt es zu einem Mangel – dann steigen die Mieten.
Helmenstein: Wahrscheinlich werden wir in den nächsten Jahren eine paradoxe Situation erleben: fallende Preise bei Bestandsimmobilien und steigende Mieten. Die KIM-Verordnung – die Investitionen regulatorisch schwieriger macht –, eine Knappheit an Grundstücken, gestiegene Zinskosten sowie eine womöglich schwächere Einkommensentwicklung werden dazu führen, dass der Preis bei Bestandsimmobilien real um etwa 30 Prozent zurückgehen wird. Weil es durch all die genannten Faktoren schwieriger wird, Eigenheime neu zu errichten, führt das bei wachsender Bevölkerung zu einer Knappheit an Mietangeboten. Und was knapp ist, wird teurer. Irgendwann sind die Mieten dann so weit gestiegen, dass es trotz höherer Kosten wieder interessant wird, mehr zu bauen. Das wird aber wohl noch mehrere Jahre dauern.

Ein gutes Stichwort, um in die Zukunft zu blicken. Wie geht es mit der Inflation weiter?
Schneider: Wir schätzen, dass sie mittelfristig hartnäckig relativ hoch bleiben wird. Die Österreichische Nationalbank und die Europäische Zentralbank gehen davon aus, dass wir in zwei Jahren wieder bei einer Inflation von zwei Prozent sein werden. Damit rechne ich nicht. Hohe Lohnabschlüsse bei einer negativen Produktivitätsentwicklung würden Öl ins Feuer gießen. Weltwirtschaftlich sehen wir aktuell auch keinen breiten Aufschwung. Wenn ein solcher kommt und die Inflation immer noch hoch ist, wird es zu Nachfrageeffekten kommen – und die Inflation durch Lieferengpässe und Mängelerscheinungen auf gewissen Märkten angetrieben werden. Bei fossilen Energieträgern werden wir wohl nicht mehr auf das Preisniveau vor Covid zurückkehren, im Dienstleistungssektor dürfte die Inflation verharren – aufgrund regulatorischer Auflagen, aber auch durch schwachen Wettbewerb und geringe Produktivitätssteigerungen. Bei der Digitalisierung etwa hat Österreich im KMU-Bereich Aufholpotenzial.
Was spricht bei all diesen Aussichten für den steirischen Standort?
Helmenstein: Die Innovationsdynamik. Wir haben viel Licht, vereinzelt aber auch Schatten – da muss nachjustiert werden. Zum Beispiel im Bereich der Weltraumtechnologien – hier haben wir Kompetenz im Bundesland, die wir nicht auf den Boden bringen, weil es keinen starken Heimmarkt gibt. Da ist die EU gefragt. Große Sorgen bereiten mir auch die Abgabenbelastung und das Energiekostenniveau.
Schneider: Eine Lanze brechen muss man für die Bildungsinstitutionen. Und die Erfolgs-DNA der Menschen. Es braucht Leuchttürme und Leitfiguren – und die hat die Steiermark.