Eine zerbombte Wohnung in der Ukraine. Man sieht von außen in die Küche, weil die Wand weggesprengt wurde.
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Jahrestag des Grauens

Vor einem Jahr begann der russische Krieg in der Ukraine. Abseits der Frontlinien ist es auch ein Kampf um milliardenschwere Hilfsprogramme und Sanktionen.

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Aktualisiert am 13.03.2023

Auch die Katastrophe kann Routine werden. „Wir haben jede Woche ein Jour fixe mit unseren Kollegen in der Ukraine“, erzählt Klaus Scheitegel, Generaldirektor der Grazer Wechselseitigen Versicherung (GRAWE). Seit 1998 ist die GRAWE in der Ukraine geschäftlich vertreten, vor dem Krieg mit 14 Büros und zuletzt 200 Beschäftigten. Die beiden ostukrainischen Büros sind mittlerweile vollständig zerstört, acht Mitarbeiter im (freiwilligen) Kriegseinsatz, einige andere ins Ausland geflüchtet. Das Headquarter in Kiew ist aber weiterhin geöffnet. „Nur bei Raketenangriffen arbeiten die Kollegen mit ihrem Laptop aus dem Bunker“, zeigt sich Scheitegel von der Einsatzbereitschaft beeindruckt.

Als der Krieg vor einem Jahr begann, wurden umgehend die in der Corona-Pandemie nachgeschärften und erprobten Krisenpläne aktiviert. Computersysteme mussten vom Netz genommen werden, da noch vor den ersten Raketen Cyberangriffe massiv zunahmen, vor allem aber stand die Sicherheit der Mitarbeiter im Fokus. „Unsere Kollegen aus Ungarn und Rumänien sind sofort an die ukrainische Grenze gefahren und haben Frauen und Kinder aufgenommen“, erinnert sich Scheitegel. Zehn Familien werden weiterhin in Graz betreut, während in deren Heimat die Kämpfe an Schärfe wieder zunehmen.

67 Milliarden von EU

Zwölf Monate nach Kriegsbeginn zeichnet sich noch keine friedliche Lösung ab. Während im Hintergrund bereits an längerfristigen Wiederaufbauprogrammen gearbeitet wird, stehen aktuell akute Hilfsaktionen im Vordergrund. Die Bilanz ein Jahr nach Beginn des russischen Einmarsches am 24. Februar: Die EU hat bislang rund 67 Milliarden Euro an finanzieller, humanitärer und militärischer Hilfe geleistet. Bis zu 750 Milliarden Euro würden allerdings für den Wiederaufbau notwendig sein, rechnete zuletzt die ukrainische Regierung vor. Gleichzeitig ist die Wirtschaftsleistung des Landes allein im vergangenen Jahr um mehr als 30 Prozent eingebrochen. Internationaler Währungsfonds, Weltbank und eine multinationale Geberplattform sollen dem Land aus der Krise helfen. Zudem wurde der Ukraine eine EU-Beitrittsperspektive in Aussicht gestellt, die auch immer heftiger eingefordert, aber parallel von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mittlerweile sanft relativiert wird.

Russland verkauft Gold

Auf der anderen Seite baut der Westen seine Sanktionskulisse gegenüber Russland immer weiter aus. Mit diesen Reisebeschränkungen und Handelshindernissen soll Wladimir Putin in die Knie und zum Abzug aus der Ukraine gezwungen werden. Mittlerweile leidet die russische Wirtschaft zwar unter einem Minus, es fällt mit 2,5 bis 3,5 Prozent aber deutlich geringer aus als erwartet. Schuld daran waren und sind zum einen die in die Höhe geschossenen Energiepreise, dank denen auch die Staatseinnahmen Russlands weiterhin florieren. Zum anderen hat Moskau zum Füllen seiner Budgetlöcher zuletzt auf seine Gold- und Währungsreserven zurückgegriffen. So sind 3,6 Tonnen Gold und chinesische Yuan im Gegenwert von 309 Millionen Euro verkauft worden.

Außerdem hat man schnell Umwege gefunden, um die Sanktionen zu umgehen. So haben sich laut einer Untersuchung der Yale-Universität zwar 830 Firmen aus Russland zurückgezogen oder liefern nicht mehr dorthin. Durch die Umleitung von Finanzierungs- und Warenströmen über Drittstaaten und sogenannte Parallelimporte ist es aber zu keinen systemgefährdenden Lücken gekommen. Im Gegenteil. 

Im vergangenen Jahr wurden russischen Angaben zufolge Waren im Wert von 18 Milliarden Euro unter anderem über zentralasiatische Staaten nach Russland importiert. Allein in den ersten sieben Monaten nach Kriegsbeginn sollen elektronische Komponenten im Wert von mindestens 2,4 Milliarden Euro ins Land gekommen sein.

Die GRAWE unterhält indes keine Geschäftsbeziehungen mit Russland. Und auch in der Ukraine beschränkt man sich auf normale Versicherungsleistungen. Es gilt ein weltweiter Kriegsausschluss. Scheitegel: „Kein Versicherer würde solche Schäden überleben.“

Mehr Infos dazu finden Sie online unter wko.at/ukraine



Ukraine: Was Unternehmen wissen müssen

Nach Einschätzung der Wirtschaftsdelegierten in Kiew, Gabriele Haselsberger, ist der Großteil der österreichischen Firmen in der Ukraine – wenn auch mit großen Einschränkungen – weiterhin aktiv. Eine genaue Anzahl zu nennen, sei derzeit nicht möglich. Vor dem Krieg waren heimische Betriebe mit rund 200 Niederlassungen vertreten, wobei sich der Großteil in der West- und Zentralukraine befindet. Trotz anhaltender Kampfhandlungen findet bereits ein Wiederaufbau statt. Das Interesse österreichischer Unternehmen, sich daran zu beteiligen, ist groß, die Bandbreite der gefragten Bereiche reicht vom Bausektor über Maschinen und Abwassermanagement bis zu allgemeiner Infrastruktur. So werden schon jetzt Wohnbauten repariert, die Gesundheitsversorgung und Brücken wiederhergestellt sowie die Energieversorgung am Laufen gehalten. Gleichzeitig werden Wiederaufbaupläne erarbeitet, um bei Kriegsende rasch beginnen zu können.




Russland: Was Unternehmen wissen müssen

Bis zum Jahrestag des Kriegsbeginns will die EU ein zehntes Sanktionspaket geschnürt haben. EU-Büger, Unternehmen, die nach dem EU-Recht gegründet wurden, aber auch Unternehmen, die in der EU tätig sind, haben diese Sanktionen zu befolgen. Die Strafen bei Nichteinhaltung können erheblich sein. Das Außenwirtschaftsgesetz ahndet Embargo-Verstöße mit hohen Geldstrafen, in schweren Fällen sogar mit Haftstrafen von bis zu drei Jahren. Tochterunternehmen europäischer Firmen, die in Russland registriert sind, sind von dieser Regelung allerdings nicht betroffen.

Vor Kriegsbeginn waren rund 650 österreichische Firmen in Russland mit eigenen Niederlassungen, Tochtergesellschaften oder Repräsentanzbüros vertreten. Schätzungen (es gibt keine Meldepflicht) gehen davon aus, dass sich 20 bis 30 Prozent zurückziehen. Schließungen sind komplex, da Russland rechtliche Hürden für einen Rückzug aus dem russischen Markt erlassen hat.



Chronologie des Konflikts

  • Februar 2014: Russische Truppen besetzen die ukrainische Schwarzmeerhalbinsel Krim, später rufen Separatisten die Volksrepubliken Donezk und Luhansk aus. Der Westen reagiert mit ersten Wirtschaftssanktionen.
  • Mai 2019: Wolodymyr Selenskyj wird als Präsident der Ukraine angelobt. Zur selben Zeit werden in den von moskautreuen Separatisten kontrollierten Teilen der Donbass-Region erste russische Pässe ausgegeben. Zwei Jahre später zieht Russland Truppen im Grenzgebiet zur Ostukraine zusammen und droht mit einem militärischen Eingreifen.
  • 24. Februar 2022: Die russische Armee beginnt flächendeckende Angriffe auf die Ukraine. Der Vormarsch gerät nach ersten Gebietsgewinnen aber schnell ins Stocken. Massive Kämpfe um Europas größtes Atomkraftwerk nahe Saporischschja und der wochenlange Versuch der zahlenmäßig überlegenen Russen, Kiew einzunehmen, bleiben erfolglos.  Beim Abzug offenbaren sich Kriegsverbrechen an Zivilisten wie jene in Butscha.  
  • Februar 2023: Kurz vor dem Jahrestag des Kriegsausbruchs verstärkt Russland seine Angriffe wieder. Selenskyjs Rufe nach härteren Sanktionen gegenüber Russland und mehr Waffenlieferungen aus dem Westen an sein Land sorgen in der EU für anhaltende Diskussionen.