Betriebe werden zur "Schule des Lebens"
Auf welche „Skills“ es ankommt, warum Betriebe die Familie ablösen und wie man dem Fachkräftemangel begegnet, verrät EU-Jugendbotschafter Ali Mahlodji im Interview.

Die Arbeitswelt ist mehr denn je im Wandel. Worin liegen denn nun die „Skills“ der Zukunft?
Ali Mahlodji: Kreativität, Empathie, vernetztes Denken – Dinge, die zutiefst menschlich sind. Diese sozialen Kompetenzen sind die Basis für jeden Job der Zukunft. Wir haben nach wie vor – trotz des größten Wohlstands – ein eklatantes Defizit an sozialen Kompetenzen im Bereich der Zusammenarbeit.
Soziale Kompetenz sticht also künftig technische Kompetenz aus?
Ali Mahlodji: Selbst jeder und jede mit technischen Kompetenzen, die ohne Zweifel verdammt wichtig sind, muss künftig in der Lage sein, sich in komplexe Projekte einzubringen. Das setzt voraus, sich in andere Menschen hineinzufühlen. Heißt: Man muss in der Lage sein, seine technische Kompetenz so zu verpacken, dass sie für andere eine Lösung darstellt. Nur über technische Kompetenz zu verfügen und keine soziale Kompetenz zu haben, funktioniert nicht mehr.
Wie müssen sich denn die Unternehmen nun im Hinblick auf die nun auf den Arbeitsmarkt drängenden Generationen anpassen?
Ali Mahlodji: Die jungen Menschen streben nach Würde, Wertschätzung und Sinn. Unternehmen, die nur so tun, als würden sie sinnstiftend agieren, ziehen zwar viele junge Mitarbeiter an, verlieren sie aber auch schnell. Das ist teurer, als gleich niemanden anzustellen. Das hat zur Folge, dass sich viele Unternehmen tatsächlich gerade hinterfragen, sich gänzlich neu aufstellen. Die Denkweise der jungen Leute treibt den Arbeitsmarkt vor sich her – und führt etwa dazu, dass sich Unternehmen ökologischer, nachhaltiger und vor allem sinnstiftender ausrichten. Davon profitieren wir alle.
Trägt diese klaffende Lücke zwischen Wirtschaft und den neuen Generationen zum Fachkräftemangel bei?
Ali Mahlodji: Ich denke, dass die Gesellschaft einen großen Fehler gemacht hat, als sie vor vielen Dekaden den Jugendlichen einzureden begonnen hat, dass nur die Matura oder nur das Studium den eigenen Wert in der Gesellschaft hebt. Heute wissen wir, dass das komplett falsch war. Junge Menschen, die eine Ausbildung machen, sind besser als jeder Bachelor-Absolvent auf die Zukunft vorbereitet.
Wie kann dieses Bild geradegerückt werden?
Ali Mahlodji: Wenn es heißt, dass eine Ausbildung nichts wert sei, dann braucht es sehr viele Beispiele, um das zu widerlegen. Deshalb ist die Berufs-EM EuroSkills auch ein derart wichtiges Leuchtturm- und ein Vorreiterprojekt. Da das Event emotional berührt, hinterlässt es nachhaltige und positive Eindrücke.
Welche Maßnahmen braucht es darüber hinaus?
Ali Mahlodji: Die Politik muss Maßnahmen schnüren und junge Menschen schon sehr früh in der Schule auf eine berufliche Ausbildung vorbereiten und für die vielen Möglichkeiten sensibilisieren.
Wie müssen Unternehmen reagieren?
Ali Mahlodji: Wer heute gute Fachkräfte haben möchte, muss auch junge Menschen aufnehmen, die vor zehn Jahren dem Qualitätsanspruch nicht genügt hätten. Es ist erforderlich, dass Unternehmen junge Menschen in einer Art „Schule des Lebens“ alles Mögliche beibringen. Durchhalten, dranbleiben, geduldig sein, an sich selbst arbeiten – das hat man früher in der Familie gelernt. Das gibt es heute nicht mehr. Diese Rolle müssen nun Unternehmen übernehmen.
Welche operativen Maßnahmen schlagen Sie vor?
Ali Mahlodji: Sehr, sehr früh in die regionalen Schulen gehen, um dort Vorträge zu halten oder den Lehrern Unterrichtsmaterial zur Verfügung zu stellen. Wenn ein Tag der offenen Tür stattfindet, nicht irgendjemanden hinschicken, sondern jene Mitarbeiter, die am am begeistertsten vom Unternehmen erzählen. Nur so können positive Emotionen auf die Schüler überschwappen.