Soldatin vor zerstörtem Gebäude
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"Es wird einen langen Atem brauchen"

Der Krieg in der Ukraine sorgt für hohe menschliche Verluste und massive wirtschaftliche Schäden. Aber es gibt zarte Zeichen für die Zeit nach der Zerstörung.

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Aktualisiert am 05.08.2023

Die App, die in Echtzeit vor potenziellen Luftangriffen auf Ziele in der Ukraine warnt, hat Franz-Stefan Gady noch immer auf seinem Handy installiert. Ein bedrückendes „Souvenir“ von seinem jüngsten Besuch im Kriegsgebiet. Zehn bis dreißig Minuten blieben im Fall einer Alarmierung Zeit, um sich in einem Bunker in Sicherheit zu bringen, erzählt der gebürtige Steirer und international gefragte Politikberater und Militärexperte bei einer Diskussionsveranstaltung Anfang vergangener Woche  in der Wirtschaftskammer in Graz.

Eine Expertenrunde unter der Moderation von WK-Direktor Karl-Heinz Dernoscheg ging dabei der Frage nach Veränderungen in der europäischen Sicherheitsstruktur und den wirtschaftlichen Auswirkungen des Ukraine-Kriegs nach.

Michael Otter, Josef Herk, Franz-Stefan Gady, Barbara Stelzl-Marx, Vasyl Khymynets, Friedrich Möstl, Herbert Ritter und Karl Heinz Dernoscheg
© Foto Fischer Hochkarätige Diskussionsrunde: Michael Otter, Josef Herk, Franz-Stefan Gady, Barbara Stelzl-Marx, Vasyl Khymynets, Friedrich Möstl, Herbert Ritter und Karl Heinz Dernoscheg


Spuren der Verwüstung

15 Monate nach Beginn haben die Kampfhandlungen tiefe Spuren hinterlassen. „30 Prozent unserer Wirtschaft sind zerstört“, rechnet Ukraines Botschafter Vasyl Khymynets vor. Tatsächlich ist das Bruttoinlandsprodukt 2022 um ein Drittel eingebrochen. Ein Trend, der sich im ersten Quartal des heurigen Jahres fortsetzt. Nicht ganz so dramatisch wirkt sich der Konflikt auf die österreichischen Unternehmen, die in der Ukraine aktiv sind, aus. Von den 2.000 heimischen Firmen, die Geschäftsbeziehungen mit der Ukraine pflegen, sind 200 mit eigenen Niederlassungen vertreten. „50 Prozent davon arbeiten aktuell ohne Einschränkungen, 40 Prozent mit einem eingeschränkten Betrieb“, berichtet Michael Otter, Leiter der Außenwirtschaft Austria.

Hohe Resilienz

Zahlen, die die hohe Resilienz der Unternehmen und ihrer Mitarbeiter zeigen. Friedrich Möstl, Honorarkonsul für die Ukraine in der Steiermark, bestätigt dieses Bild: „Kein einziges steirisches Unternehmen hat sich seit Kriegsbeginn aus der Ukraine zurückgezogen. Als größte Herausforderung werden weniger logistische Probleme als die Sicherheit der Mitarbeiter und vor allem im Westen Finanzierungsmöglichkeiten für den Wiederaufbau gemeldet.“ - Erste Blicke in eine Zukunft nach dem Krieg, während vor allem im Osten und Südosten des Landes die Kämpfe mit unverminderter Härte und hohen Verlusten weitergehen. „Es ist längst ein Krieg der Reservisten, der Lehrer, Tischler und Bauern geworden“, analysiert Gady: „Die besten Einheiten sind auf beiden Seiten in den ersten Wochen zerstört worden, damit wird es zum statischen Abnützungskrieg.“ „Es wird noch einen langen Atem brauchen“, vermutet Möstl.

Putin hat nicht unbedingt Angst vor der Nato, aber vor der Demokratie. 

Umso intensiver drängt Khymynets auf eine Fortsetzung der Waffenlieferungen aus dem Wes­ten. Man könne nicht eine Abrüs­tung verlangen, während Russ­land aufrüste. „Wenn Putin nicht gestoppt wird, wird er weitergehen“, prognostiziert der Diplomat, der vom russischen Staatschef ein politisch-psychologisches Profil zeichnet: „Putin hat nicht unbedingt Angst vor der Nato, aber vor der Demokratie.“ Daher habe er auf die Demonstrationen für mehr Demokratie auf Kiews zentralem Maidan-Platz 2014 umgehend mit der Besetzung der Krim reagiert.

Der Angriff am 24. Februar sei die Fortsetzung dieses Krieges gewesen. „Der Westen hätte damals vehementer reagieren müssen“, schlussfolgert die Historikerin Barbara Stelzl-Marx aus dieser Entwicklung. Die Leiterin des Grazer Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung blickt mit entsprechendem Unbehagen in die Zukunft: „Aktuell werden Traumata neu geschrieben, die weit über den Zeitpunkt hinaus wirken, an dem die Waffen schweigen.“

Rückkehr zur Normalität

Möstl verweist neben dem aktuellen Bedarf an Hilfsgütern (Müll-, Rettungsfahrzeuge, Lkw) vor allem auch auf die Hürden für nach Österreich geflüchtete Ukrainer. „Mehr als 50 Prozent der vorwiegend Frauen sind Akademiker, sie dürfen hier bei uns aber nicht arbeiten“, drängt er auf einfachere und schnellere Zulassungsverfahen. Österreich könne diese Arbeitskräfte gut brauchen. Apropos Rückkehr zur Normalität: Ende Juni wird es in London eine internationale Konferenz für den Wiederaufbau in der Ukraine geben. Zudem kündigt Khymynets für Herbst ein bilaterales Wirtschaftsforum für österreichische Firmen an

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