"Die Politik gaukelt uns Luftschlösser vor"
AT&S-Aufsichtsratsvorsitzender und Ex-Finanzminister Hannes Androsch über ideologisch getriebene Energiepolitik, selbstverschuldete Verwundbarkeit und warum die nächsten Jahre schwierig werden.

Die AT&S investiert in Leoben 500 Millionen Euro – trotz globaler Krisenstimmung…
Hannes Androsch: Wer aus Angst zu wenig investiert, der geht den falschen Weg. Deshalb sind wir bereits Ende der 1990er-Jahre ins Ausland gegangen, haben stets mit Blick auf die Zukunft investiert und auf Innovationen fokussiert. Doch dieser unternehmerische Weitblick zeichnet nicht nur uns, sondern viele Betriebe in der Steiermark aus. Was Beschäftigung und Wertschöpfung sichert. In unserem Fall bedeutet das: Wir sind mit 1000 Leuten gestartet, jetzt zählen wir global 13.000 Mitarbeiter und bis 2026 werden wir bei 30.000 stehen. Mein Dank für diese Leistung gebührt Willibald Dörflinger, CEO Andreas Gerstenmayer und der ganzen Mannschaft.
Von den guten zu den schlechten Nachrichten: Die Energiepreise explodieren. Hätte es mehr Voraussicht gebraucht?
Androsch: Ja. Unsere große Abhängigkeit von ausländischen Energielieferungen bringt uns durch den Ukraine-Krieg in eine prekäre Situation. Doch diese Lage haben wir uns selbst zuzuschreiben, weil es an Voraussicht gemangelt hat.
Wo hat die Politik versagt?
Androsch: Es wurde der Kraftwerks- und der Leitungsausbau verhindert und die Photovoltaik mit Bürokratie erschlagen. Zwentendorf, Hainburg, Kaprun und viele Wasserkraftwerke wurden von jenen blockiert, die behaupten, die Umwelt zu schützen: Dafür importieren wir Atomstrom aus Temelin und hängen am russischen Gashahn. Und durch die Zonentrennung bezahlen wir für Strom auch noch mehr als in Deutschland.
An der Energiepolitik muss also nachgebessert werden…
Androsch: Wo nachbessern? Es gibt gar keine Energiepolitik. Wir haben nur Ankündigungen, die ohnehin nicht umgesetzt werden. Und würden sie umgesetzt, würden sie nicht ausreichen. Die Regierung gaukelt uns Luftschlösser vor – das betrifft die Wirtschaft, die Betriebe, die Haushalte, die Mobilität. Uns allen ist schwerer Schaden durch diese Versäumnisse zugefügt worden.
Was muss jetzt geschehen?
Androsch: Wir brauchen eine zukunftsorientierte gesamtheitliche Wirtschaftspolitik, eine Strategie zur Energiesicherung und als Grundlage eine gesamthafte Zusammenarbeit. Dazu wird angesichts der Wohlstandsverschiebungen nötig sein, den Gürtel enger zu schnallen, die Ärmeln aufzukrempeln und gemeinsam zuzupacken, um die drohenden Wohlstandsverluste durch Bildung, Innovation und Investitionen so gering wie möglich zu halten.
Wo orten Sie hier die politischen Stolpersteine?
Androsch: In den 70ern waren wir zweimal mit einem Energiepreisschock konfrontiert, bei einer Inflation von zehn Prozent. Wir konnten das mit einem, mit den Sozialpartnern abgestimmten, Gesamtpaket bewältigen. Dieses war keineswegs populär – Stichwort: Zweites Abgabenänderungsgesetz –, hat sich aber als richtig erwiesen und uns 1979 die größte absolute Mehrheit gebracht. Wenn man aber populistisch motiviert von einem Tag auf den anderen punktuell immer nur irgendwelche Alibi-Maßnahmen ankündigt, nur um in die Zeitung zu kommen, wird man weder das eine noch das andere erreichen.
Sie haben den Ukraine-Krieg angesprochen. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation?
Androsch: Der Angriff Putins auf die Ukraine ist grundlos, mutwillig und brutal. Und es ist nicht abzusehen, wann diese Tragödie zu einem Ende kommt. Das heißt in der Schlussfolgerung, dass wir alle in Europa vor zumindest drei bis vier sehr schweren Jahren stehen – vorausgesetzt, es passiert nicht noch Schlimmeres.
Was meinen Sie damit?
Androsch: Dass der Konflikt im Einsatz von Nuklearwaffen oder einem Übergriff Putins auf Moldawien, dem Baltikum oder Polen eskaliert. Wir sollten uns alle vor Augen halten, dass diese entsetzliche Entwicklung durchaus die Gefahr eines dritten Weltkriegs in sich birgt.