"Die Online-Revolution ist ausgeblieben"
Das schlechte Konsumklima setzt nicht nur den stationären Händlern zu. Auch der Höhenflug des Online-Handels ist nach Ansicht der Handelsforscher Christoph Teller und Ernst Gittenberger zu Ende.

Die Energiepreise explodieren, die Inflation ist zweistellig. Wie stark wirken sich diese extrem schlechten Rahmenbedingungen auf den heimischen Einzelhandel aus?
Teller: Die Lage ist schwierig, aber nicht hoffnungslos. Die Preissteigerungen sind in den Köpfen der Kund:innen angekommen. Es kommt zu einer signifikanten Kaufzurückhaltung. Unsere Erhebung im September hat ergeben, dass 30% der Konsument:innen weniger Einzelhandelswaren kaufen wollen. Fast 70% achten beim Einkauf verstärkt auf Aktionen, was im Hinblick auf die Deckungsbeiträge der Händler:innen problematisch ist. 64% greifen auf billigere Alternativen zurück. Die Diskonter und die Eigenmarken haben Hochkonjunktur.Sind die Umsätze der Einzelhändler:innen gegenüber dem Vorjahr gesunken?
Gittenberger: Nein, wir hatten in den ersten drei Quartalen 2022 österreichweit einen Zuwachs von 7,8%. Es gibt aber kein preisbereinigtes reales Wachstum mehr, die Steigerung ist rein preisinduziert. Die Händler:innen verkaufen weniger, aber notgedrungen zu höheren Preisen. Das große Problem ist, dass die Kostensteigerungen bei den Vorstufen sowie bei Mieten, Energie, Logistik etc. nicht zur Gänze an die Konsument:innen weitergegeben werden können. Im Einzelhandel treffen stark gestiegene Kosten auf sehr geringe Margen. Das führt zu Problemen, unabhängig davon, ob die Umsätze steigen oder nicht.
Muss man befürchten, dass die Konsumzurückhaltung auf das Weihnachtsgeschäft durchschlägt?
Gittenberger: Das Weihnachtsgeschäft ist generell sehr krisenresistent. Selbst in den Pandemie-Jahren sind die Weihnachtsumsätze – wenn auch nur leicht – gestiegen. Die jetzige Krise ist aber eine andere. Auf der einen Seite schenken wir gerne, auf der anderen Seite gibt es rationale Sparzwänge. Wenn die Miete sowie die Strom- und Treibstoffkosten das Monatsgehalt verschlingen, muss man auch bei den Weihnachtsgeschenken sparen. Wir sehen aber in unseren Langzeitstudien, dass sich das Konsumklima etwas verbessert. Die Besserung ist aber noch nicht so stark, dass wir eine euphorische Prognose für das Weihnachtsgeschäft abgeben können.
Die Corona-Pandemie und die Lockdowns haben dazu geführt, dass der Online-Handel in Österreich 2020 um 17% zugelegt hat. Hält dieser Boom noch an?
Gittenberger: Wir haben damals schon prognostiziert, dass 2020 ein Ausnahmejahr für den heimischen Online-Handel war. Im Vorjahr wurde nur mehr ein sehr geringes Umsatzwachstum erzielt, heuer gingen die Umsätze in den ersten drei Quartalen sogar zurück. Sie bewegen sich zwar auf einem deutlich höheren Niveau als 2019, die Online-Revolution ist aber ausgeblieben.
Woran liegt das?
Teller: In Österreich gehen nach wie vor acht von zehn Euro in den stationären Handel. Das liegt nicht an der fehlenden Attraktivität der Webshops, sondern daran, dass der stationäre Handel stark und qualitativ hochwertig ist. In anderen Ländern hat sich der Online-Handel weitaus dynamischer entwickelt. Dort verschwindet die Unterscheidung zwischen stationär und online, die in Österreich noch in den Köpfen ist, immer mehr.
Die Prognosen der Wirtschaftsforscher sind nicht allzu rosig. Was kommt 2023 auf den Handel zu?
Gittenberger: 2023 wird eine weiterhin hohe Inflation auf ein sehr geringes Wirtschaftswachstum treffen. Somit droht eine Stagflation, die im schlimmsten Fall mit einer Rezession einhergeht, die hoffentlich nicht lange andauern wird. Für den Handel sehen die Prognosen etwas besser aus als für die Gesamtwirtschaft. Die entscheidende Frage ist aber, in welchen Bereichen tatsächlich gespart wird. Es wird sich erst herausstellen, ob sich das schlechte Konsumklima eher auf den Freizeitbereich oder auf den Handel auswirkt.
Wie können die Händler trotz der extrem schwierigen Rahmenbedingungen bestehen?
Teller: Wenn man es so drastisch ausdrücken möchte, entscheidet die Kundenloyalität über Leben und Tod. Jeder gute Händler weiß, dass die Beziehungen zu den Kund:innen gepflegt werden müssen. Wer eine loyale Stammklientel hat, ist krisenresistenter als jemand, der sich nur um Laufkundschaft bemüht und von der Frequenz abhängig ist. Die „Aktionitis“ ist dagegen nur sehr bedingt die richtige Antwort auf die Krise. Übermäßige Preisnachlässe verringern den Deckungsbeitrag und wirken sich mittelfristig negativ auf die Preiswahrnehmung aus. Im Extremfall erwarten Kund:innen nur mehr Rabattaktionen, der Normalpreis wird als überteuert wahrgenommen. Solche Verkaufsförderungsmaßnahmen können ein effektiver Kaufstimulus sein. Wenn sie zu oft eingesetzt werden, sind sie aber gefährlich.
Die Aussichten sind insgesamt wenig erfreulich. Gibt es dennoch so etwas wie einen Silberstreif am Horizont?
Teller: In Summe ist der österreichische Handel gut aufgestellt. Er hat die schweren Monate der Corona-Pandemie überstanden und er wird auch die aktuelle Krise überwinden. Auch wenn das Konsumklima schlecht ist, hat es jeder Händler in der Hand, durch das Warenangebot, durch den Service und durch den persönlichen Einsatz vor Ort die Stimmung zu verbessern. Er hat den größten Einfluss auf die Kunden, auf ihre Einstellungen, Emotionen und letztlich auch auf ihr Kaufverhalten. Das darf man bei all den trüben Aussichten nie vergessen.