Newsletter Abteilung Rechtspolitik | August 2022

Alle Beiträge

Lesedauer: 55 Minuten

Aktualisiert am 13.03.2023

Inhaltsübersicht

Öffentliches Recht und Wettbewerb

Zivil-, Unternehmens- und Gesellschaftsrecht

Gewerberecht

Verkehrsrecht

Publikationen

Veranstaltung


Öffentliches Recht und Wettbewerb


ID Austria

Die ID Austria stellt die Weiterentwicklung bzw. Ablöse der Handy-Signatur (Bürgerkarte) dar. 

Im Rahmen der geplanten Umstellung bleiben alle bestehenden Funktionen der Handy-Signatur weiterhin erhalten: 

  • qualifizierte elektronische Signatur (elektronische Unterschrift iSd Signatur- und Vertrauensdienstegesetzes)
  • Login für E-Government (elektronischer Nachweis der Identität des Anwenders)
  • Durchführung digitaler Amtswege wie insbesondere die Verwendung des elektronischen Postfachs (elektronische Zustellung) 

Zusätzlich wird der Anwendungsbereich der Handy-Signatur erweitert, insbesondere soll die ID Austria eine Ausweisfunktion bekommen (elektronischer Ausweis). Dazu soll im Herbst 2022 eine Digitale Ausweisplattform eingerichtet werden. Erster geplanter Anwendungsfall für die Ausweisfunktion ist der Digitale Führerschein. 

Die ID Austria bzw. der E-ID (iSd E-GovG) befindet sich seit ca. 1 Jahr in der Pilotphase. Diese Pilotphase soll voraussichtlich im Herbst 2022 enden (Umstellung auf den Echtbetrieb). Mit Ende des Parallelbetriebs von ID Austria und Handy-Signatur muss auf die ID Austria (Basis oder Vollfunktion) umgestellt werden, um die Funktionen der ursprünglichen Handy-Signatur weiterhin nutzen zu können. In der App “Digitales Amt” besteht die Möglichkeit für Handy-Signatur Nutzer, über einen Online-Prozess auf die ID Austria umzustellen. 

Die Registrierung des E-ID und der Umstieg von einer bereits bestehenden Handy-Signatur auf den E-ID wird in der Verordnung des Bundesministers für Inneres über die Registrierung und Verwendung eines Elektronischen Identitätsnachweises (E-ID-Verordnung) geregelt (BGBl. II Nr. 181/2022).

Die Neu-Registrierung des E-ID erfolgt grundsätzlich durch persönliches Erscheinen bei der Passbehörde (oder einer ermächtigten Gemeinde, Landespolizeidirektion, vgl. § 4a E-GovG). Für all jene Personen, die bereits eine Handy-Signatur besitzen, regelt die Verordnung einen „vereinfachten Prozess für den Umstieg“ (vgl. § 6 E-ID-VO): Nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten ist ein Umstieg auf 

  • „ID Austria Basis“ ohne behördliche Registrierung möglich,
  • „ID Austria Vollumfang“ ohne behördliche Registrierung nur dann möglich, wenn die Handy-Signatur durch eine Behörde ausgestellt wurde (dh oberstes Organ des Bundes oder der Länder, Bürgermeister, Bezirksverwaltungsbehörde oder Finanzamt, auch FinanzOnline). 

ID Austria mit Basisfunktion 

„Basisfunktion“ bedeutet, dass die heutigen Funktionen der Handy-Signatur bis zum Ablauf des Handy-Signatur-Zertifikats weiter genutzt werden können. Die ID Austria bietet in der Pilotphase noch denselben Funktionsumfang wie die Handy-Signatur. Die neuen ID Austria Funktionen (wie z.B. die Ausweisfunktion am Smartphone) können mit der „Basisfunktion“ nicht genutzt werden. Dafür benötigt man die ID Austria mit vollem Funktionsumfang. 

Im derzeit laufenden Pilotbetrieb kann die Umstellung von der Handy-Signatur auf ID Austria Basis auch online im Zuge der Anmeldung auf oesterreich.gv.at, oder in der App „Digitales Amt“ durchgeführt werden. Dafür ist kein persönlicher Termin bei der Registrierungsbehörde erforderlich. Die Aufwertung der Handy-Signatur auf die ID Austria mit Basisfunktion wird empfohlen, da die Handy-Signatur im Laufe des Jahres von der ID Austria abgelöst wird.  

ID Austria mit vollem Funktionsumfang  

Die neuen Funktionen können nur mit einer vollwertigen ID Austria verwendet werden (Ausweisfunktion am Smartphone/digitaler Führerschein, EU-weite Anerkennung etc.)  

Um die ID Austria mit vollem Funktionsumfang zu nutzen, ist grundsätzlich eine behördliche Identitätsfeststellung notwendig (persönliches Aufsuchen einer Registrierungsbehörde). Auch hier gibt es jedoch die Möglichkeit eines vereinfachten Umstiegs: Eine behördlich aktivierte Handy-Signatur (z.B. durch Aktivierung bei einem Amt oder über FinanzOnline) oder eine behördlich aktivierte ID Austria mit Basisfunktion kann man im Zuge eines Online-Prozesses in der App „Digitales Amt“ auf die ID Austria mit vollem Funktionsumfang umstellen. Der Gang zur Behörde entfällt in diesem Fall (weil die Identität der Person bereits behördlich bestätigt wurde).

Mag. Timna Kronawetter


Digital Markets Act im Parlament angenommen

Auf Initiative der Kommission und nach Einigung von Rat und Parlament wurde das Gesetz über digitale Märkte durch den europäischen Gesetzgeber beschlossen, das auf eine gerechtere und stärker wettbewerbsorientierte Gestaltung des digitalen Sektors abzielt. Zuletzt hat das Parlament am 5. Juli 2022 das europäische Digitalisierungspaket (bestehend aus dem DMA und den DAS) formal angenommen. Durch letzte, abschließende sprachliche Überarbeitung soll der Text in naher Zukunft fertiggestellt und veröffentlicht werden. Nachdem das Gesetz in Kraft getreten ist, soll es 6 Monate später angewendet werden können. 

Im Gesetz über digitale Märkte sind klare Regeln für große Online-Plattformen vorgegeben. Damit soll sichergestellt werden, dass große Online-Plattformen, die bezüglich einer großen Zahl von Nutzern als „Gatekeeper“ fungieren, ihre Position nicht missbrauchen, um anderen Unternehmen den Zugang zu diesen Nutzern zu versperren. 

Was sind Gatekeeper? 

Eine Plattform gilt als Gatekeeper, wenn sie in den vergangenen drei Geschäftsjahren in der Europäischen Union einen Jahresumsatz von mindestens 7,5 Mrd. € erzielt hat oder ihr Börsenwert mindestens 75 Mrd. € beträgt und sie monatlich mehr als 45 Millionen in der Union niedergelassene oder aufhältige Endnutzer bzw. mehr als 10 000 in der Union niedergelassene gewerbliche Nutzer hatte. 

Außerdem muss die Plattform in mindestens drei Mitgliedstaaten einen oder mehrere zentrale Plattformdienste betreiben. Zu diesen zentralen Plattformdiensten gehören Marktplätze und Stores für Software-Anwendungen, Suchmaschinen, soziale Netzwerke, Cloud-Dienste, Werbedienste, Sprachassistenzdienste und Browser. 

Damit die Vorschriften der Verordnung verhältnismäßig sind, werden KMU nur in Ausnahmefällen als Gatekeeper eingestuft. Um sicherzustellen, dass diese Verpflichtungen zunehmend zur Anwendung kommen, wurde auch die Kategorie des „neu entstehenden Gatekeepers“ vorgesehen, sodass die Kommission bestimmte Verpflichtungen auch Unternehmen auferlegen kann, deren Wettbewerbsposition zwar bereits nachgewiesen, aber noch nicht von Dauer ist. 

In einem Designationsverfahren werden die zu regulierenden Gatekeeper vorab bestimmt. Wenn eine Plattform gute Gründe gegen ihre Einstufung als Gatekeeper vorbringen kann, hat sie die Möglichkeit, die Einstufung im Rahmen eines besonderen Verfahrens, das der Kommission die Überprüfung der vorgebrachten Gründe ermöglicht, anzufechten. 

Was ist Inhalt der Verhaltensregulierung? 

Für die Gatekeeper gilt insbesondere, dass sie sicherstellen, dass die Nutzer berechtigt sind, Dienste der zentralen Plattform zu ähnlichen Bedingungen abzubestellen wie zu abonnieren, die Software für die wichtigsten Programme (z.B. Browsersoftware) bei der Installation des Betriebssystems nicht standardmäßig vorschreiben, die Interoperabilität der Basisfunktionen ihrer Instant-Messaging-Dienste sicherstellen, Anwendungsentwicklern gleichberechtigten Zugang zu den Hilfsfunktionen von Smartphones (z.B. NFC-Chips) einräumen, Verkäufern Zugang zu ihren Marketing- oder Werbeleistungsdaten auf der Plattform geben, die Europäische Kommission über von ihnen durchgeführte Übernahmen und Fusionen unterrichten. 

Sie werden nicht mehr in der Lage sein, die eigenen Produkte oder Dienste gegenüber jenen anderer Marktteilnehmer durch Ranking besser zu positionieren (Bevorzugung des eigenen Unternehmens),

die im Zuge der Bereitstellung eines Dienstes erhobenen personenbezogenen Daten für die Zwecke einer anderen Bereitstellung wiederzuverwenden, unlautere Bedingungen für gewerbliche Nutzer einzuführen, bestimmte Software-Anwendungen vorzuinstallieren, Anwendungsentwickler zur Verwendung bestimmter Dienste (z.B. eines Zahlungssystems oder Identitätsanbieters) zu verpflichten, damit diese in Stores für Software-Anwendungen verlinkt werden. 

Welche spezifischen Sanktionen gibt es bei Verstößen?

Wenn ein Gatekeeper gegen die gesetzlichen Vorschriften verstößt, droht ihm eine Geldbuße von bis zu 10 % seines weltweiten Gesamtumsatzes. Im Wiederholungsfall kann eine Geldbuße von bis zu 20 % seines weltweiten Gesamtumsatzes verhängt werden. 

Wenn ein Gatekeeper systematisch, das heißt mindestens dreimal in acht Jahren, gegen die DMA-Vorschriften verstößt, kann die Europäische Kommission eine Marktuntersuchung einleiten und erforderlichenfalls verhaltensbezogene oder strukturelle Abhilfemaßnahmen verhängen. 

Um sicherzustellen, dass die Gatekeeper nicht gegen die DMA-Vorschriften verstoßen, sind in der Verordnung auch Bestimmungen gegen die Umgehung der Vorschriften vorgesehen. 

Welche Behörde vollzieht den DMA? 

Im Interesse eines hohen Maßes an Harmonisierung im Binnenmarkt darf die Verordnung nur durch die Europäische Kommission durchgesetzt werden. Die Kommission kann beschließen, einen Dialog über die Regulierungsmaßnahmen aufzunehmen, um sich zu vergewissern, dass die Gatekeeper die von ihnen einzuhaltenden Vorschriften genau verstehen, und um gegebenenfalls deren Anwendung zu präzisieren. Zur effektiven Vollziehung der neuen Bestimmungen plant die Kommission eine eigene organisatorische Einheit zu errichten und diese nicht nur mit bestehendem Personal aus der für die Ausarbeitung des DMA zuständigen Generaldirektion zu beschicken; sie plant zusätzliche 100 Planstellen für diesen Zweck bis 2024 vorzusehen. 

Zur Unterstützung der Kommission und um ihr die Arbeit zu erleichtern, werden ein beratender Ausschuss und eine hochrangige Gruppe eingesetzt. Die Mitgliedstaaten können die nationalen Wettbewerbsbehörden ermächtigen, Ermittlungen wegen möglicher Zuwiderhandlungen einzuleiten und ihre Erkenntnisse der Europäischen Kommission zu übermitteln. 

Die Europäische Kommission verfügt zudem über eine breite Zuständigkeit zur Erlassung delegierter Rechtsakte, welche die Durchführung bestimmter Festlegungen regeln sollen. 

Dr. Theodor Taurer


MoRUG II – Änderung im PrAG 

Im Rahmen der Umsetzung der europäischen Modernisierungsrichtlinie (siehe dazu auch unten die weiteren Artikel) wurde auch im Rahmen des MoRUG II das Preisauszeichnungsgesetz geändert. Richtlinie (EU) 2019/2161 sieht in ihrem Art. 2 die Einfügung eines neuen Artikel 6a in die Preisangabenrichtlinie (RL 98/6/EG) vor, wonach bei Bekanntmachung einer Preisermäßigung durch den Händler auch der vorherige Preis anzugeben ist, der einen bestimmten Zeitraum angewendet worden ist. 

Der österreichische Gesetzgeber setzt nunmehr die neuen europäischen Vorschriften in § 9a PrAG um, in dem festgelegt wird, dass bei Sachgütern, wenn Preisermäßigungen in Beträgen oder in Prozenten bekannt gegeben werden, die Unternehmen auch den vorherigen niedrigsten Preis anzugeben haben, der zumindest einmal innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen vor der Anwendung der Preisermäßigung in denselben Vertriebskanal verlangt worden ist. Dadurch soll eine Täuschung der Kunden über ein vermeintlich günstiges Angebot vermieden werden, indem ein Unternehmen kurz vor einem Aktionszeitraum seine Preise zuerst anhebt, um sie dann werbewirksam wieder scheinbar abzusenken.  

Eigene Regelungen gibt es für schrittweise anstrengende Preisermäßigungen, Produkte die weniger als 30 Tage am Markt sind sowie verderbliche Sachgüter oder Sachgüter mit kurzer Haltbarkeit. Zwar wurde die Strafandrohung des Preisauszeichnungsgesetzes gemäß § 15 unverändert belassen; jedoch wurde in § 16 Abs. 3 eine umfassende Mitwirkungspflicht der Unternehmer zur Unterstützung der beauftragten Kontrollorgane eingeführt. 

Es bleibt festzuhalten, dass die Irreführung von Kunden bei der Durchführung von Marketingmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Preis auch bisher im Rahmen des UWG verfolgbar war; dies wird auch ausdrücklich in den Leitlinien der Kommission zur Auslegung und Anwendung der Richtlinie UGP festgehalten (ABl C526/2021; S.1 ff, Kapitel 1.2.5). Neu ist daher vor allem der 30 Tage-Beobachtungszeitraum und die verwaltungsbehördliche Vollziehung möglicher wettbewerbswidriger Maßnahmen. 

Die Änderungen des Preisauszeichnungsgesetzes finden sich in Art 2 des MoRUG II. zum BGBl

Dr. Theodor Taurer


Überarbeitung der EU-Regeln für den vertikalen Vertrieb abgeschlossen 

Bereits am 10. Mai hat die Europäische Kommission (EK) die neue Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen (VO (EU) 2022/720) veröffentlicht, sowie neue Leitlinien beschlossen, wobei das neue Regelwerk mit 1. Juni 2022 in Kraft getreten ist. Am 28. Juni 2022 wurde dann auch die endgültige deutsche Version der Leitlinien für vertikale Beschränkungen (C (2022) 4238 final) der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.  

Das bestehende System der Schirmgruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen wurde damit bis zum 31. Mai 2034 verlängert und in wesentlichen Punkten ergänzt. Nach wie vor gewähren die Regeln der GVO den Unternehmen einen „sicheren Hafen“, wenn sie sich an die Freistellungsbedingungen der Verordnung halten. Die vertikalen Vereinbarungen sind dann mit Art. 101 Abs. 3 AEUV vereinbar. 

Die wichtigsten Änderungen betreffen folgende Bereiche: 

  • Einschränkung des Schutzbereichs der GVO im Zusammenhang mit dem zweigleisigen Vertrieb (der Lieferant liefert sowohl ein Netzwerk von Wiederverkäufern als auch Endkunden direkt) einerseits und der Vereinbarung weiter Paritätsverpflichtungen andererseits. In diesen Situationen muss zukünftig immer im Einzelfall geprüft werden.
  • Erweiterung des Schutzbereichs der GVO im aktiven Verkauf und bezüglich bestimmter Praktiken im online Verkauf (gespaltene Großhandelspreise; unterschiedliche Selektivkriterien im online und offline Handel). Solche Beschränkungen sind künftig im Rahmen der GVO freigestellt.

Die Kommission hat sich bereits um Überarbeitung bemüht, die Bestimmungen klarer zu fassen und zu vereinfachen, um sie auch für Nichtjuristen verständlicher zu gestalten. Darüber hinaus wurden die Vorschriften in Bezug auf die Prüfung von online-Beschränkungen, vertikalen Vereinbarungen in der Plattformwirtschaft und Vereinbarungen, mit denen Nachhaltigkeitsziele verfolgt werden, aktualisiert. Darüber hinaus wurden die neuen Leitlinien um ausführliche Erläuterungen, unter anderem im Bereich des selektiven Vertriebs, Alleinvertriebsvereinbarungen und Handelsvertreterverträge ergänzt. 

Dr. Theodor Taurer


Zivil-, Unternehmens- und Gesellschaftsrecht


MoRUG I - Änderung des FAGG und KSchG   

Die parlamentarische Beschlussfassungen zum MoRUG I - ebenso wie jene des MoRUG II (siehe dazu unten) - wurden noch vor der Sommerpause abgeschlossen.  Dieses „Modernisierungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz“ dient der Umsetzung eines Teils der Modernisierungs-Richtlinie ((EU) 2019/2161 und beinhaltet Änderungen des FAGG und KSchG, die – zumal die Umsetzungsfrist schon seit längerem abgelaufen ist - am Tag nach der ebenfalls bereits erfolgten Kundmachung im BGBl in Kraft getreten sind. 

Die Änderungen im FAGG umfassen ua spezifische Informationspflichten für auf Online-Marktplätzen geschlossene Verträge (zB Informationen über die Hauptparameter und deren Gewichtung bei den Rankings; über die Verbraucher- oder Unternehmereigenschaft des Anbieters; ob der Vertrag mit dem Marktplatz oder einem Dritten geschlossen wird; bei Weiterkauf von Tickets für Veranstaltungen über den Originalpreis des Veranstalters). Für bestimmte Fallkonstellationen bei unerbetenen Besuchen in der Wohnung oder auf Ausflugsfahrten gelten künftig bestimmte Ausnahmen vom Rücktrittsrecht nicht. Entsprechend den Vorgaben der Richtlinie können unter bestimmten Umständen Geldstrafen bis zu 4 % des Jahresumsatzes oder bis zu 2 Mio Euro verhängt werden. Dies gilt dann, wenn weitverbreitete Verstöße oder Verstöße mit EU-Dimension im Rahmen von Durchsetzungsmaßnahmen nach der Verbraucherbehördenkooperations-VO (VO(EU)2017/2394) sanktioniert würden.
zum BGBL

Mag. Huberta Maitz-Straßnig


MoRUG II - UWG 

Das MoRUG II BGBl. I Nr. 110/2022 (ebenfalls am Tag nach seiner Verlautbarung im BGBl in Kraft getreten) schafft im UWG neue Tatbestände: Ausdrücklich als irreführende Geschäftspraktik wird normiert, wenn Waren als identisch mit jenen in anderen Mitgliedstaaten vermarktet werden, obwohl diese sich in ihrer Zusammensetzung oder ihren Merkmalen wesentlich voneinander unterscheiden und keine sachliche Rechtfertigung vorliegt (sog „Dual Quality“).  

Die „Schwarze Liste“ im Anhang wird um folgende Verbote erweitert: 

  • Wenn Suchergebnisse – aufgrund von Zahlungen - höher gereiht werden, ohne dass dies eindeutig offengelegt wird.
  • Wiederverkauf von Eintrittskarten für Veranstaltungen an Verbraucher, wenn der Unternehmer diese Karten unter Verwendung automatisierter Verfahren erworben hat, die dazu dienen, Beschränkungen in Bezug auf die Zahl der von einer Person zu erwerbenden Eintrittskarten oder andere für den Verkauf der Eintrittskarten geltende Regeln zu umgehen.
  • Die Behauptung, dass Bewertungen eines Produkts von Verbrauchern stammen, die das Produkt tatsächlich verwendet oder erworben haben, ohne dass angemessene und verhältnismäßige Schritte unternommen wurden, um zu prüfen, ob die Bewertungen wirklich von solchen Verbrauchern stammen.
  • Die Beauftragung von oder die Abgabe von gefälschten Bewertungen oder Empfehlungen von Verbrauchern, sowie die falsche Darstellung von Verbraucherbewertungen oder Empfehlungen in sozialen Medien zu Zwecken der Verkaufsförderung. 

Das MoRUG II schafft im UWG zusätzliche Informationspflichten: 

  • Wird Verbrauchern die Möglichkeit geboten auf einer Website mit Stichworten nach Produkten zu suchen, die von verschiedenen Unternehmern oder Verbrauchern angeboten werden, so sind die Hauptparameter für das Ranking des Suchergebnisses wesentliche Informationen, die unmittelbar und leicht zugänglich abrufbar sein müssen.
  • Werden Verbraucherbewertungen von Produkten zugänglich gemacht, gelten Informationen darüber, ob und wie der Unternehmer sicherstellt, dass die veröffentlichten Bewertungen von Verbrauchern stammen, die die Produkte tatsächlich verwendet oder erworben haben, als ebenso wesentlich und sind anzugeben. 

Durch das MoRUG II wird der Schadenersatz nach UWG neu geregelt: Ganz allgemein wird der immaterielle Schadenersatz auf Verletzung von Geschäftsgeheimnissen beschränkt; dies entspricht der unionsrechtlichen Vorgabe.

  • Verbraucher erhalten dann den positiven Schaden, wenn sie durch unlautere Geschäftspraktik, insb durch eine aggressive oder irreführende Geschäftspraktik oder einen Verstoß gegen die schwarze Liste im Anhang zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst werden, die sie andernfalls nicht getroffen hätten. Sie erhalten jedoch keinen Schaden bei einer sonstigen unlauteren Handlung iSd § 1 Abs 1 Z 1 UWG. Dies ist insb bzgl des Rechtsbruchs wesentlich, betrifft aber auch Ausbeutung, Behinderung, und/oder Kundenfang.
  • Unternehmer erhalten Schadenersatz und den entgangenen Gewinn bei einer unlauteren Geschäftspraktik oder einer sonstigen unlauteren Handlung. 

Dieser Bestimmung kommt insb vor dem Hintergrund der anstehenden Umsetzung der VerbandsklagenRL (EU) 2020/1828 eine besondere Bedeutung zu, weil damit zu rechnen ist, dass eine Vielzahl von Verbrauchern selbst kleine Schäden geltend machen werden.  

Außerdem werden für weitverbreitete Verstöße und weitverbreitete Verstöße mit Unions-Dimension Strafbestimmungen erlassen, wobei der Rahmen für die Geldstrafe von bis zu 4 % des im vorausgegangenen Geschäftsjahr entsprechenden Jahresumsatzes beträgt. 

Dr. Christian Handig


Öko Wandel-Richtlinie 

Die Europäische Kommission hat eine RL „zur Änderung der Richtlinien 2005/29/EG und 2011/83/EU hinsichtlich der Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel durch besseren Schutz gegen unlautere Praktiken und bessere Informationen“ (COM[2022] 143) vorgeschlagen. Sie soll damit die RL gegen unlautere Geschäftspraktiken (UGPRL) und die VerbraucherrechteRL (VRRL) ändern, die gerade durch die ModernisierungsRL geändert wurden. 

Aus Sicht der Kommission gehört der Vorschlag zu den Initiativen der neuen Verbraucheragenda (COM[2020] 696) und des Aktionsplans für die Kreislaufwirtschaft (COM[2020] 98) und ist eine Folgemaßnahme des europäischen Grünen Deals (COM[2019] 640). Er soll der Stärkung der Position von Verbrauchern und einer nachhaltigen Produktpolitik dienen. Dies soll durch die bessere Beteiligung der Verbraucher an der Kreislaufwirtschaft erreicht werden, insb durch die Bereitstellung besserer Informationen für Verbraucher über die Haltbarkeit und Reparierbarkeit bestimmter Produkte vor Vertragsschluss und durch die Verbesserung des Schutzes der Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken, die nachhaltige Käufe verhindern. 

Konkret ist in der UGPRL zB vorgesehen, dass

  • „ökologische und soziale Auswirkungen“ zu den wesentlichen Merkmalen von Produkten zählen sollen, weshalb falsche Angaben eine irreführende Geschäftspraktik darstellen sollen.
  • Umweltaussagen zu einem Produkt unzulässig sein sollen, wenn sie sich tatsächlich nur auf einen bestimmten Aspekt des Produkts beziehen.
  • Behauptungen, wonach eine Ware eine gewisse Haltbarkeit hat, unzulässig sein sollen, so dies nicht der Fall ist. 

Dabei werden etliche neue Begriffe (zB Arte von „Umweltaussage“, „Nachhaltigkeitssiegel“, „Zertifizierungssystem“ und „Haltbarkeit“) definiert.

In der VRRL soll das Ziel erreicht werden indem zB

  • bei energiebetriebenen Waren, bei welchen der Hersteller keine Informationen über das Bestehen einer gewerblichen Haltbarkeitsgarantie für die gesamte Ware mit einer Laufzeit von mehr als zwei Jahren bereitgestellt hat, auf diesen Umstand hingewiesen werden soll.
  • bei Waren auf deren Reparaturkennzahl oder – falls eine solche nicht besteht - vom Hersteller bereitgestellte Informationen über die Verfügbarkeit von Ersatzteilen, einschließlich des Bestellverfahrens, und über die Verfügbarkeit von Benutzerhandbüchern und Reparaturanleitungen, hingewiesen werden soll.
  • bei digitalen Inhalten und Dienstleistungen und Waren mit digitalen Elementen der Mindestzeitraum, in dem der Anbieter Software-Aktualisierungen bereitstellt, ausgewiesen werden soll.

Position WKÖ: Kritisch zu sehen ist, dass Informationspflichten und Sanktionen geschaffen werden sollen, aufgrund von rechtlichen Vorgaben in anderen Materien (zB die Reform der ÖkodesignRL 2009/125/EG und die Reparaturkennzahl). Als Folge dieses frühen Stadiums ist in vielen Fällen nicht klar, wie neue Begriffe zu verstehen sind, da deren Kontext fehlt. Dieser verfrühte Rechtsakt würde ein Maß an Rechtsunsicherheit erzeugen, welches das gewöhnliche Maß an Rechtsunsicherheit, das mit jeder neuen Regelung verbunden ist, deutlich übersteigt. Dies wäre für alle betroffenen Marktteilnehmer negativ. Für die unterworfenen Unternehmen wäre dies auch noch zusätzlich mit Aufwand - für sie - nicht vorhersehbaren Sanktionen verbunden. Die Ausdehnung der Informationspflichten über Garantien, die insb. auch eine „Negativinformation“ umfassen soll, wenn der Hersteller keine Information über eine mehr als 2-jährige Haltbarkeitsgarantie bereitgestellt hat, würde wohl auch für Verbraucher eher nur Verwirrung schaffen. 

Im Übrigen sind viele Begriffe unscharf, weshalb allfällige Auswirkungen kaum eingeschätzt werden können. So könnte bei Abgabe einer Garantieerklärung schon das vorzeitige Gebrechen eines Produkts eine unlautere Geschäftspraktik darstellen, zumal schon eine einmalige Handlung vom EuGH als unlautere Geschäftspraktik angesehen wurde (vgl EuGH C‑388/13, UPC Magyarország, Tenor 1). 

Im Bereich der UGPRL soll die „schwarze Liste“ um zehn einschlägige Tatbestände (zB zu Umweltaussagen, geplanter Obsoleszenz und Haltbarkeit) erweitert werden, die in der Mehrzahl aufgrund zahlreicher Unwägbarkeiten für ein per-se Verbot ungeeignet sind.  Ausführliche WKÖ-Stellungnahme 

Dr. Christian Handig


Konsultation „Nachhaltiger Konsum von Waren – Förderung von Reparatur und Wiederverwendung“   

Eine von der Kommission durchgeführte öffentliche Konsultation Nachhaltiger Konsum von Gütern – Förderung von Reparatur und Wiederverwendung könnte den Auftakt für eine neuerliche Diskussion zur Änderung der Warenkauf-Richtlinie (RL (EU) 2019/771) darstellen, die erst vor kurzem mit dem Gewährleistungsrichtlinien-Umsetzungsgesetz (GRUG) umgesetzt wurde. Die Überlegungen gehen zB dahin, bei Mängeln den Vorrang der Reparatur im Verhältnis zum Austausch zu forcieren, wobei unterschiedliche Maßnahmen unter dem Titel „right to repair“ angedacht werden (zB Vorrang für Reparatur, wenn diese gleich viele Kosten verursacht, wie der Austausch; Verlängerung der Gewährleistungsfrist, wenn Verbraucher sich für die Reparatur entscheidet etc). Zur Diskussion gestellt ist aber auch ein Anspruch auf Reparatur außerhalb des Gewährleistungsrechts (zB nach Ablauf der Gewährleistungsfrist oder bei Selbstbeschädigung der Ware). 

Die Zielsetzung, nachhaltigen Konsum, nachhaltige Produkte und eine längere Nutzung fördern zu wollen, ist anzuerkennen. Die Unternehmen haben sich aber erst vor wenigen Monaten auf ein neues Gewährleistungsrecht einstellen müssen. Neuerliche gesetzgeberische Maßnahmen im Bereich der gesetzlichen Garantie durch Änderung der Warenkauf-RL oder durch einen eigenen Rechtsakt sind daher nicht sinnvoll. Auch kann eine Verlängerung der Produktlebensdauer (ua durch Verbesserung der Reparierbarkeit) nicht mit einem horizontalen Instrument wie der Warenkauf-RL erreicht werden, sondern nur durch produktspezifische (Design-)Anforderungen. Diesbezüglich wurden auf Basis der Ökodesign-RL bereits produktspezifische Regelung geschaffen und weitere sind auf dem Weg.  

Statt gesetzlicher Eingriffe bei der Gewährleistung stehen andere Mittel zur Verfügung, wie etwa bewusstseinsbildende Maßnahmen für eine „Kultur der Reparatur“, zumal laut einer Studie 1/3 der Produkte von Verbrauchern entsorgt, obwohl diese noch voll funktionstüchtig sind. Auch eine Verbesserung des Wissens über die bestehende gesetzliche Gewährleistung (69 % der österr. Verbraucher wussten lt EU-weiter Umfrage nicht, dass die Gewährleistungsfrist 2 Jahre beträgt; EU-Schnitt: 59 %) und Initiativen zur Förderung von Reparaturen durch Anreize in finanzieller Form statt gesetzlichem Zwang (zB Reparaturbonus) sind Maßnahmen, um Reparaturen zu forcieren und sollten daher primär im Fokus stehen. Unsere ausführliche Rückmeldung zu dieser Konsultation (PDF)

Mag. Huberta Maitz-Straßnig


Verbraucherkredite: Allgemeine Ausrichtung des Rates für eine neue Richtlinie 

Nach rund einjährigen Verhandlungen auf Arbeitsgruppenebene haben sich die Mitgliedstaaten Anfang Juni 2022 auf eine „Allgemeine Ausrichtung“ geeinigt (Rat „Wettbewerbsfähigkeit“ - Consilium). Diese legt nun die Position des Rates zu einer Neuregelung der Verbraucherkredite fest. Welche Haltung das Europäische Parlament einnehmen wird, steht noch nicht fest. Eine Positionierung wird aber in absehbarer Zeit erfolgen, sodass im Herbst die Trilogverhandlungen zwischen EP, Rat und Kommission zu erwarten sind.  

Der Ende Juni 2021 vor der Kommission vorgelegte Vorschlag soll die geltende Verbraucherkredit-Richtlinie aus 2008 ersetzen, die in Österreich durch das Verbraucherkreditgesetz (VkrG) umgesetzt wurde. Die Regelungen betreffen klassische Kreditverträge (soweit sie nicht hypothekarisch besichert sind), aber z.B. auch Ratenzahlungsgeschäfte, Zahlungsaufschübe und andere Finanzierungshilfen. In der Allgemeinen Ausrichtung sind einige sinnvolle Änderungen vorgenommen, so etwa beim Anwendungsbereich (ua hinsichtlich Leasingverträge) oder zB auch hinsichtlich der im Kommissionsvorschlag vorgesehenen, besonders gravierenden regulatorischen Eingriffe in Form von Preisobergrenzen. 

Mag. Huberta Maitz-Straßnig


Whistleblowing (Hinweisgeberschutz) 

Der Bundesminister für Arbeit (nunmehr Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft) hat am 3.6.2022 seinen Entwurf eines HinweisgeberInnenschutzgesetzes (HSchG) veröffentlicht. 

Aus diesem Anlass darf ein kurzer, keineswegs abschließender Überblick über diesen Entwurf gegeben werden: Mit diesem Gesetz wird die Whistleblowing-Richtlinie der Europäischen Union umgesetzt, die den Schutz von Hinweisgebern vorsieht, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden. Ziel dieser Richtlinie ist es, dass EU‑weit gemeinsame Mindeststandards zur Gewährleistung eines wirksamen Hinweisgeberschutzes in Rechtsakten und Politikbereichen gelten, in denen die Notwendigkeit besteht, die Rechtsdurchsetzung zu verbessern, eine unzureichende Meldung von Verstößen durch Hinweisgeber die Rechtsdurchsetzung wesentlich beeinträchtigt und Verstöße gegen das Unionsrecht das öffentliche Interesse ernsthaft schädigen können. 

Das HSchG verpflichtet bestimmte Unternehmen (und juristische Personen des öffentlichen Rechts) zur Einrichtung interner Meldekanäle, damit Hinweisgeber vertraulich innerhalb dieses Unternehmens Verstöße melden können. Darüber hinaus haben auch Behörden entsprechende Kanäle einzurichten (externe Meldekanäle). In Ausnahmefällen kann der Hinweisgeber mit dem Hinweis auch direkt an die Öffentlichkeit (Offenlegung) gehen. Hinweisgeber werden durch das HSchG besonders geschützt.  

Dem HSchG liegt das Konzept zugrunde, die Bestimmungen vorerst auf die von der Richtlinie zwingend vorgegebenen Inhalte zu beschränken. Damit sollen die Belastungen, die für kleinere und mittlere Unternehmen mit den neuartigen Einrichtungen zur Ermöglichung des Whistleblowings verbunden sind, gering gehalten werden. 

Anzumerken ist, dass aus Sicht der Abteilung für Rechtspolitik manche Bestimmungen der Richtlinie und daraus folgend des Gesetzesentwurfs unklar sind, was – insoweit diese Unklarheiten im Gesetzgebungsprozess nicht einigermaßen bereinigt werden – zu Belastungen für die betroffenen Unternehmen führen kann. 

Persönlicher Geltungsbereich 

Grundregel ist, dass die Richtlinie für Hinweisgeber gilt, die den Hinweis im beruflichen Kontext abgeben und die wirtschaftlich von dem betroffenen Rechtsträger direkt oder indirekt abhängig sind. 

Wer im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit von einer Rechtsverletzung Kenntnis erlangt und diese durch einen Hinweis aufdeckt, soll zum Kreis geschützter Hinweisgeber gehören, weil als Folge des Hinweises wirtschaftliche Nachteile für die berufliche Tätigkeit zu befürchten sind. 

Geschützt sind vor allem Arbeitnehmer und Bedienstete (inkl. Teilzeitbeschäftigte und Leiharbeitskräfte), Selbständige (inkl. freie Dienstnehmer), Anteilseigner und Personen, die dem Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan eines Unternehmens angehören, bezahlte oder unbezahlte Praktikanten, Volontäre, Personen, die unter Aufsicht und Leitung von Auftragnehmern, Subunternehmern und Lieferanten arbeiten. Geschützt sind auch Personen, deren Arbeitsverhältnis noch nicht begonnen hat, und Personen, deren Arbeitsverhältnis beendet wurde. Insoweit wird davon ausgegangen, dass der Hinweis die Qualität eines Insiderwissens aufweist. 

Begründet wird dieser Schutz damit, dass diese Personen von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit Gebrauch machen. Dass diese Grundrechte nicht schrankenlos gelten (rezent EGMR 16.2.2021, 23922/19, Gawlik/Fürstentum Liechtenstein, s. auch Öner, ecolex 2021, 1083) und zudem auch ein Grundrecht auf Wahrung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen gegeben ist, verschweigt die Richtlinie. Aus welchem Motiv heraus der Hinweisgeber tätig wird, ist unbeachtlich. 

Unklar ist, ob zum geschützten Personenkreis auch die Auftraggeber und deren Arbeitnehmer zählen. In aller Regel sind Auftraggeber nicht vergleichbar wirtschaftlich vom Auftragnehmer abhängig. 

Sachlicher Geltungsbereich 

Das HSchG gilt in näher bestimmten Bereichen für Hinweise auf Rechtsverletzungen in Unternehmen und bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts mit zumindest 50 Arbeitnehmern (Grundregel). 

Ohne Rücksicht auf die Anzahl der Arbeitnehmer gilt das HSchG im Bereich der Vorschriften, die in den Teilen I. B und II des Anhangs der Whistleblowing-Richtlinie aufgezählt sind (Ausnahme hins. Arbeitnehmeranzahl). 

Das sind Vorschriften zu Finanzdienstleistungen, Finanzprodukte und Finanzmärkte sowie Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, zur Sicherheit in der Zivilluftfahrt, Seeschifffahrt und von Offshore-Erdöl- und Erdgasaktivitäten. Dies könnte eine Reihe kleinere Unternehmen treffen. Denn diese Unternehmen wären ungeachtet ihrer Arbeitnehmeranzahl verpflichtet, interne Meldekanäle einzurichten und zu betreiben.  

Davon abgesehen gilt das HSchG für die Hinweisgebung zur Verletzung von Vorschriften in einem der folgenden Bereiche: 

  • Öffentliches Auftragswesen,
  • Finanzdienstleistungen, Finanzprodukte und Finanzmärkte sowie Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung,
  • Produktsicherheit und -konformität,
  • Verkehrssicherheit,
  • Umweltschutz,
  • Strahlenschutz und kerntechnische Sicherheit,
  • Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit, Tiergesundheit und Tierschutz,
  • öffentliche Gesundheit,
  • Verbraucherschutz,
  • Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten sowie Sicherheit von Netz- und Informationssystemen,
  • Verhinderung und Ahndung von Korruptionsdelikten (§§ 302 bis 309 StGB). 

Das Gesetz gilt auch für Verletzungen bestimmter weiterer EU‑Vorschriften.  

Von Kritikern dieses Katalogs wird eingewandt, dass der potenzielle Hinweisgeber juristischer Laie ist und daher nicht im Ungewissen darüber gelassen werden darf, ob sein Hinweis in den sachlichen Anwendungsbereich fällt. Es sei daher geboten, den sachlichen Anwendungsbereich massiv auszuweiten. 

Dem ist entgegenzuhalten, dass der Hinweisgeber geschützt ist, wenn er u.a. im Zeitpunkt der Information hinreichend gute Gründe dafür annehmen konnte, dass der von ihm gegebene Hinweis in den Geltungsbereich des HSchG fällt. Eine Ausweitung des sachlichen Geltungsbereichs ist daher nicht gerechtfertigt und würde gold plating darstellen. Zudem bleibt es einem Unternehmen unbenommen, im Rahmen seines internen Meldesystems auch die Meldung anderer Verstöße zuzulassen. 

Das HSchG gilt nicht für bestimmte Bereiche, wie etwa die Verschwiegenheitspflichten der gesetzlich geregelten Gesundheitsberufe.  

Verhältnis zu bestehenden Systemen 

Spezielle Bestimmungen enthält das HSchG zu Systemen, die aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen (etwa BWG oder BiBuG) bereits einzurichten waren. Das HSchG gilt im Verhältnis zu den dort verwiesenen Rechtsakten nur subsidiär, allerdings ist der Wortlaut des HSchG in diesem Punkt einigermaßen unklar. 

Begriffsbestimmungen 

Das HSchG enthält eine Reihe von Definitionen, die mitunter ein wenig unklar sind.

Als interne Stelle wird etwa jene definiert, die innerhalb eines Unternehmens oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts Hinweise entgegennimmt, überprüft sowie im Hinblick auf Folgemaßnahmen oder sonst weiter behandelt. Das ist mit Blick auf die Richtlinie überschießend, weil nach dieser die interne Stelle lediglich für die Entgegennahme der Meldung zuständig ist, aber keineswegs zwingend auch für die Ergreifung von Folgemaßnahmen. 

Wesentlich für das HSchG ist u.a. die Differenzierung zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts und Rechtsträgern des Privatrechts. Entgegen allgemeiner gefestigter Rechtsauffassung werden als juristische Personen des öffentlichen Rechts nach dem HSchG auch juristische Personen des privaten Rechts verstanden, an denen u.a. der Bund alleine oder gemeinsam mit anderen Gebietskörperschaften direkt oder indirekt 50 % des Stamm-, Grund- oder Eigenkapitals hält. 

Unter den Begriff „Unternehmen“ fallen nicht nur gewinnorientiert, gewerblich, wirtschaftlich etc. tätige Unternehmen, sondern auch juristische Personen wie Vereine und gemeinnützige Organisationen. Allerdings ist in diesen Definitionsansätzen vieles unklar und sollte im weiteren Gesetzgebungsprozess eingehend überarbeitet werden. 

Schutzwürdigkeit von Hinweisgebern 

Voraussetzung dafür, dass ein Hinweisgeber sich auf die institutionellen Vorkehrungen und den spezifischen Rechtsschutz nach dem HSchG berufen kann sind kumulativ: 

  • Dem Hinweisgeber liegt eine Information vor, die nach allgemeiner Erfahrung Richtigkeit für sich beanspruchen kann.
  • Die Information stellt einen Sachverhalt fest, der als solcher, wenn er tatsächlich vorliegt, nach allgemeiner Erfahrung und mit durchschnittlichem Allgemeinwissen, das juristische Kenntnisse nicht notwendig einschließt, den Verdacht einer Rechtsverletzung nahelegt.
  • Der Hinweisgeber ist subjektiv von der Richtigkeit der Information und der Verwirklichung des Sachverhalts überzeugt.
  • Der Hinweisgeber kann bei ungefährer Kenntnis der Vorschriften des HSchG annehmen, dass er zu den Personen gehört, die in den persönlichen Geltungsbereich des § 2 Abs. 1 und 2 fallen und dass die vermutete Rechtsverletzung in einen der Rechtsbereiche des § 3 Abs. 3 HSchG fällt. 

Hinweisgeber, die schutzwürdig sind, haften nicht für tatsächliche oder rechtliche Folgen eines berechtigten Hinweises. Erlangt der Hinweisgeber allerdings die Information dadurch, dass er selbst kriminell agiert (z.B. Einbruch in ein gesichertes Computersystem), ist er nicht schutzwürdig. 

Vertraulichkeit, Verschwiegenheitspflicht und Schutz der Identität 

Wesentlicher Inhalt des HSchG ist der Schutz der Identität der an der Hinweisgebung beteiligten oder von ihm betroffenen Personen und der Schutz ihrer personenbezogenen Daten. Der Schutz der Vertraulichkeit ist strafbewehrt. 

Datenschutz & Dokumentation 

Das HSchG enthält umfangreiche Datenschutzbestimmungen sowie Dokumentationspflichten inkl. der Pflicht der Bestätigung des Eingangs eines schriftlichen Hinweises. 

Information 

Betroffene Unternehmen und juristische Personen des öffentlichen Rechts haben sicherzustellen, dass Personen einen einfachen Zugang zu klaren Informationen über die Möglichkeit und das Verfahren der Hinweisgebung an die interne Stelle und (!) an externe Stellen erhalten. 

Interne Stellen 

Unternehmen und juristische Personen des öffentlichen Rechts mit zumindest 50 Arbeitnehmern sowie Unternehmen und juristische Personen des öffentlichen Rechts in bestimmten Bereichen (Finanzdienstleistungen …) sind verpflichtet, die Hinweisgebung intern in einer Weise zu ermöglichen, die Hinweisgeber dazu anregt, Hinweise der internen Stelle gegenüber einer externen Stelle bevorzugt zu geben.  

Das HSchG geht vom Grundgedanken aus, dass es durchaus im Interesse der Organisationen selbst liegt, die internen Stellen so attraktiv zu gestalten, dass sich Hinweisgeber in erster Linie an die interne Stelle wenden und nicht an einen externen Meldekanal: Erstens bringt es für die Organisation Vorteile, wenn ihr die Möglichkeit belassen bleibt, sich um rechtskonforme Vorgänge selbst zu bemühen. Zweitens sind interne Hinweise oft gerade Anzeichen einer Verbundenheit mit dem Funktionieren der Organisation insgesamt und der Bereitschaft, diese konstruktiv mitzugestalten. Und drittens können Hinweise auf Rechtsverletzungen eine negative Bekanntheit der Organisation in der Öffentlichkeit zur Folge haben, wenn sie unmittelbar einer externen Stelle gegeben werden. Darüber hinaus kann durch ein rechtzeitiges Handeln der Organisation unter Umständen eine Straffreiheit erreicht werden (z.B. durch Selbstanzeige). 

In der Literatur werden verschiedene Ansätze aufgezeigt, wie ein solches System attraktiv gestaltet werden kann. Ein besonderer Fokus liegt darin, dass dem System von potenziellen Hinweisgebern ein besonderes Vertrauen entgegengebracht wird. Der Meldeweg sollte möglichst leicht und verständlich sowie unter Wahrung der Identität des Hinweisgebers ausgestaltet sein. Die Verwendung eines digitalen Systems wird zunehmend als besonders vorteilhaft angesehen. 

Die Verpflichtung zur Einrichtung eines internen Meldekanals ist eine der wesentlichen für Unternehmen, die aus dem gegenständlichen Gesetz resultieren. Diese Pflicht betrifft zunächst (nach einer Legisvakanz von sechs Monaten ab Kundmachung des Gesetzes) Unternehmen mit zumindest 250 Arbeitnehmern (0,4 % aller öst. Unternehmen), ab 18. Dezember 2023 auch jene mit zumindest 50 Arbeitnehmern (2 % aller öst. Unternehmen). 

Die Berechnung der Anzahl der Arbeitnehmer erfolgt nach Köpfen. In Unternehmen mit wechselnder, insbesondere mit saisonal schwankender Anzahl der Beschäftigten soll die Mindestanzahl aufgrund der durchschnittlichen Anzahl der Beschäftigten während jener drei Monate des vorangegangenen Kalenderjahres ermittelt werden, in denen der höchste Beschäftigtenstand gegeben war. Begründet wird diese mit dem Verweis auf Regelungen, die in der Vergangenheit in verschiedenen landarbeitsrechtlichen Vorschriften zur Anwendung kamen (vgl. z. B. § 75a Abs. 2a der früheren Niederösterreichischen Landarbeitsordnung). Für Saisonbetriebe ist dies aus Unternehmersicht nicht gerechtfertigt. Dass es auch andere Methoden gibt, zeigt etwa § 15h Mutterschutzgesetz (Zeller Kommentar) (Durchschnitt des letzten Jahres). 

Die internen Stellen haben bestimmten Mindestanforderungen zu entsprechen und bestimmte Verfahren einhalten.  Unklar ist, ob anonymen Hinweisen nachzugehen ist. Unternehmen können jeweils die Aufgaben der internen Stelle auf eine gemeinsame Stelle übertragen. Mit den Aufgaben der internen Stelle können auch Dritte beauftragt werden. Damit ist sichergestellt, dass z.B. auch eine Konzernmutter zentral ein solches System für den Konzern in seiner Gesamtheit einrichten kann. 

Die Verpflichtung zur Einrichtung interner Meldekanäle ist nicht direkt sanktionsbewehrt. Fehlen diese jedoch, kann ein Hinweisgeber direkt einen externen Meldekanal verwenden, was nicht unbedingt den Interessen des betroffenen Unternehmens entspricht.  

Nach den Materialien wird davon ausgegangen, dass sich aus der Verpflichtung zur Einrichtung interner Meldestellen jährliche Mehrkosten von ca. 5.000 Euro (Sach- und Personalkosten) ergeben. Im Hinblick auf die veröffentlichten Berechnungen zur deutschen Umsetzung wird dieser Betrag als zu niedrig angesetzt angesehen. 

Hinweisgeber sollen Hinweise in erster Linie internen Stellen geben („soft law“ – sanktionslos). Einer externen Stelle sollen Hinweise vorzugsweise in Fällen gegeben werden, in denen die Behandlung des Hinweises im internen Hinweisgebersystem nicht möglich, nicht zweckentsprechend oder nicht zumutbar ist oder sich als erfolglos oder aussichtslos erwiesen hat. 

Externe Stellen 

Externe Stellen sind insb. die Finanzmarktaufsichtsbehörde, die Geldwäschemeldestelle aufgrund des Bundeskriminalamt-Gesetzes, die Abschlußprüferaufsichtsbehörde, die Bundeswettbewerbsbehörde, die Bilanzbuchhaltungsbehörde und die Volksanwaltschaft. 

Ansonsten ist das Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung die externe Stelle für alle Hinweise auf Rechtsverletzungen bundesrechtlicher Vorschriften. Auch externe Meldestellen haben bestimmte Voraussetzungen und Verfahren zu erfüllen. 

Schutz vor Vergeltungsmaßnahmen 

Das HSchG enthält einen deklarativen Katalog jener Maßnahmen, die in Vergeltung eines berechtigten Hinweises erfolgt und rechtsunwirksam sind; u.a.: 

  • Suspendierung, Kündigung oder vergleichbare Maßnahmen
  • Nichtverlängerung oder vorzeitige Beendigung eines befristeten Arbeitsvertrags
  • vorzeitige Kündigung oder Aufhebung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen
  • Herabstufung oder Versagung einer Beförderung
  • Aufgabenverlagerung, Änderung des Arbeitsortes, Minderung des Entgelts, Änderung der Arbeitszeit
  • Versagung der Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen
  • negative Leistungsbeurteilung oder Ausstellung eines schlechten Dienstzeugnisses 

Die Person, die für eine der folgenden Maßnahmen als Vergeltung für einen berechtigten Hinweis verantwortlich ist, ist zur Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes, zum Ersatz des Vermögensschadens sowie zu einer Entschädigung für die erlittene persönliche Beeinträchtigung verpflichtet. 

Insgesamt zeigt sich, dass der Entwurf sich sehr eng an der Richtlinie orientiert. Wesentlich für Unternehmen ist eine Rechtsklarheit hinsichtlich ihrer Pflichten. Diesbezüglich wird im weiteren Gesetzgebungsprozess noch zu arbeiten sein. 

Dr. Artur Schuschnigg


Einheitspatent und Einheitliches Patentgericht – was Anmelder und Patentinhaber bereits jetzt wissen müssen 

Ein Europäisches Patent bildet im gegenwärtigen System des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) nach seiner Erteilung ein “Bündel” nationaler Rechte. Jedes Patent in diesem Bündel existiert als individuelles, nationales Patent in dem vom Anmelder gewählten Vertragsstaat („Validierung“). Erneuerungsgebühren müssen in jedem Staat gesondert entrichtet werden – in unterschiedlichen Höhen. Diese nationalen Rechte unterliegen auch der jeweiligen Gerichtsbarkeit der gewählten Länder. Wer beispielsweise ein Europäisches Patent, das in Frankreich, Deutschland und Italien gilt, für nichtig erklären lassen möchte, muss in jedem Staat das zuständige Gericht anrufen um das Nichtigkeitsverfahren dort zu betreiben.  

Im Gegensatz dazu hat das Einheitspatent – wie der Name schon sagt – einen „einheitlichen” Effekt in allen teilnehmenden Mitgliedsstaaten (MS). Es existiert als einziges unteilbares Patent, das alle MS gemeinsam abdeckt – wie eine Unionsmarke oder ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Für das Einheitspatent gibt es eine einzige Erneuerungsgebühr und ein Verwaltungssystem: Rechtsübergänge, Lizenzen und andere Rechte müssen nicht mehr für jedes Land einzeln in den nationalen Patentregistern eingetragen werden; eine einmalige Eintragung im Register für den einheitlichen Patentschutz, das zentral vom Europäischen Patentamt (EPA) verwaltet wird, genügt.   

Das Einheitspatent wird in allen EU-MS gelten – außer in Spanien und Kroatien, die sich von diesem System abgemeldet haben. Griechenland, Irland, Rumänien sowie Tschechien, die Slowakei, Ungarn und Zypern beabsichtigen, dem Einheitspatent in Zukunft beizutreten; Polen ist noch unentschlossen. Alle anderen EU-MS (17) beteiligen sich.  

Nach dem aktuell erwarteten Zeitplan könnten die ersten Einheitspatente bereits Ende dieses Jahres oder in den ersten Monaten des Jahres 2023 erteilt werden. 

Das Verfahren ist recht einfach: Bevor ein Einheitspatent beim Europäischen Patentamt in München registriert werden kann, muss der Anmelder beim EPA eine europäische Patentanmeldung nach dem EPÜ einreichen. Innerhalb eines Monats nach Veröffentlichung der Erteilung kann der nunmehrige Patentinhaber einen Antrag auf einheitliche Wirkung stellen, um ein Einheitspatent zu erhalten.

Zum System des Einheitspatents gehört auch das in Europa neu geschaffene Einheitliche Patengericht (EPG). Die erste Instanz besteht aus einer Zentralkammer in München und Paris sowie mehreren lokalen bzw. regionalen Kammern in verschiedenen MS (auch Österreich hat eine lokale Kammer mit Sitz beim Österreichischen Patentamt). Das Berufungsgericht befindet sich in Luxemburg. Die Zuständigkeit des EPG umfasst grundsätzlich alle Einheitspatente und Europäischen Patente; seine Rechtsprechung gilt gleichzeitig in allen teilnehmenden MS.  

Für EPÜ-Patente besteht allerdings eine 7-jährige Übergangsfrist (die für weitere 7 Jahre verlängert werden kann), in der der Patentinhaber für das jeweilige Bündelpatent ein „opt-out“ erklären kann, mit der er es der Zuständigkeit des EPG entzieht. Damit verbleiben Verfahren zu Europäischen Patenten wie bisher bei den nationalen Gerichten. Für Einheitspatente hingegen ist kein opt-out möglich – sie bleiben unter der Jurisdiktion des EPG. 

Optiert der Patentinhaber nicht hinaus, unterfällt das Europäische Patent während der Übergangsfrist der Rechtsprechung sowohl nationaler Gerichte als auch des EPG (“dual system”); diesbezüglich besteht also für Verfahren ein Wahlrecht. Bevor das EPG seine Tätigkeit aufnimmt, wird es eine sogenannte “sunrise period” von bis zu vier Monaten geben, in der Patentinhaber opt-out-Erklärungen für Europäische Patente abgeben können. Da ein opt-out für ein bestimmtes Europäisches Patent nicht mehr möglich ist, wenn bereits eine diesbezügliche Klage beim EPG eingereicht worden ist, erlaubt die „sunrise period“ Patentinhabern, ihr Europäisches Patent der Zuständigkeit des EPG zu entziehen, bevor es möglich ist, beim EPG eine Klage einzureichen.   

Aber Achtung! Patentinhaber sind gut beraten, in Betracht gezogene Opt-out-Erklärungen zu überprüfen - eine „Massenflucht“ vor dem EPG scheint derzeit nicht gerechtfertigt. Durch den opt-out kann ein Inhaber zwar das Risiko, sein Bündelpatent durch eine zentrale Nichtigkeitsklage mit einem Schlag in allen gewählten Ländern zu verlieren, vermeiden – allerdings verliert er damit auch die Möglichkeit, sein Patentrecht bei Verletzung zentral durchzusetzen.  

Für alle nach der Übergangsfrist von 7 bis 14 Jahren erteilten Bündelpatente wird das EPG dann ausschließlich zuständig sein, d.h. ein opt-out ist nicht mehr möglich. 

Damit ergeben sich für Erfinder und innovative Unternehmen folgende Überlegungen, die JETZT zu machen sind:

  • Eine Strategie für bestehende Europäische Patente – für welche soll eine opt-out-Erklärung abgegeben werden – das hängt auch zusammen mit Markt- und Konkurrentenbeobachtung;
  • Eine Strategie für anhängige Europäische Patentverfahren – welche sollen „traditionell in einzelnen Vertragsstaaten validiert“ werden und welchen soll eine „einheitliche Wirkung“ gegeben werden? 

Ein “Patentrezept” gibt es nicht; es muss von Fall zu Fall entschieden werden!  

Mag. Gabriele Benedikter 


EU-Verordnungsvorschlag über den Schutz geografischer Angaben für handwerkliche und industrielle Erzeugnisse („non-agri-GIs“) 

Die Europäische Kommission (EK) hat einen Verordnungsvorschlag für den Schutz geistigen Eigentums an handwerklichen und industriellen Produkten veröffentlicht.  

Im derzeitigen Unionsrecht sind geografische Angaben für landwirtschaftliche Produkte, Lebensmittel und Weine geschützt. Mit dem vorliegenden Entwurf beabsichtigt die EK – da die unterschiedlichen nationalen Schutzsysteme der Mitgliedstaaten (MS) eine Harmonisierung erforderlich machen - ein ergänzendes Schutzsystem zu schaffen, das auf ein hohes Maß an Schutz geistigen Eigentums, eine bessere Information der Verbraucher und eine Ankurbelung der wirtschaftlichen Erholung der Regionen abzielen soll. Das neue System soll dasselbe Schutzniveau wie die geltenden geografischen Angaben bieten, jedoch die Andersartigkeit handwerklicher und industrieller Produkte berücksichtigen („non-agri-GIs“).  

Bestehende EU-Vorschriften (EU-Gewährleistungsmarke, EU-Kollektivmarke) waren nicht praktikabel, da sie keine Zertifizierung der Qualität eines Erzeugnisses aufgrund seiner geografischen Herkunft ermöglichen. Nach Abwägung aller legistischer Optionen entschied sich die EK für eine eigenständige EU-Verordnung, die einen sui-generis-Schutz für handwerkliche und industrielle Erzeugnisse bieten soll. Die Intentionen der EK sind, dass der Entwurf sehr flexibel sein soll, um eine möglichst hohe Kosten-Nutzen-Rentabilität zu erreichen.  

Der Vorschlag sieht ein vollständig digitalisiertes EU-Antrags- und Eintragungsverfahren vor, das vom EUIPO (EU-Amt für geistiges Eigentum) verwaltet wird. Es soll einheitliche Regeln für die Eintragung sowohl auf nationaler als auch auf Unionsebene geben. Der Vorschlag bestimmt die Anforderungen an den Anmelder, legt den Inhalt der Anmeldeunterlagen fest und definiert die Rolle des Registers.  

Der Entwurf enthält folgende Hauptpunkte:

  • Der Anwendungsbereich beschränkt sich auf handwerkliche und industrielle Erzeugnisse [Zolltarif der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87];
  • Die Definitionen (Art 3) sind angepasst an andere GI-Systeme (am 31.3.2022 wurde der VO-Vorschlag zu geografischen Angaben für Lebensmittel angenommen) – das System soll so einheitlich wie möglich gehalten werden;    
  • Art 5 regelt die Anforderungen an die geografischen Angaben:

Herkunft des Produkts aus einem bestimmten Ort, einer bestimmten Region, einem bestimmten Land; Qualität, Ansehen und Eigenschaften sind im Wesentlichen auf die geografische Herkunft zurückzuführen und mindestens einer der Produktionsschritte findet im geografischen Gebiet statt;

  • 2-phasiges Registrierungsverfahren:
  • Nationale Phase: Antrag der Erzeugergemeinschaft bei der zuständigen nationalen Behörde – Prüfung – nationales Einspruchsverfahren – Entscheidung der MS
  • EU-Phase: Unionsantrag der MS beim EUIPO und Prüfung durch das EUIPO – weltweites Einspruchsverfahren – finale Entscheidung über die Registrierung – Veröffentlichung im Unionsregister;
  • Die MS können Gebühren einheben; das EUIPO verlangt keine Gebühren;
  • Schutz der non-agri GIs vor missbräuchlicher Nutzung, Nachahmung, falschen oder irreführenden Angaben (Art 35);
  • Kontrolle (Art 48-50): Überprüfung der Einhaltung der Vorschriften entweder durch Dritte (kompetente Behörde oder akkreditierte Produktzertifizierungsstelle) oder durch den Erzeuger selbst (self-declaration, alle 3 Jahre zu erneuern, Stichprobenkontrollen durch zuständige Behörden). 

Weitere Informationen über geografische Angaben für handwerkliche und industrielle Produkte finden Sie unter den nachfolgenden Links:

Nach einer ersten Einschätzung ist vor dem Hintergrund der seit nunmehr fast 30 Jahren geltenden EU-Verordnung zum Schutz geografischer Angaben für Lebensmittel („agri-GIs“) der Ansatz, diesen Schutz auch auf bestimmte Nicht-Lebensmittel auszudehnen, grundsätzlich zu begrüßen.   

Wichtig in diesem Stadium erscheint uns vor allem

  • die sachgerechte Synchronisation des Entwurfs mit den Bestimmungen der EU-Verordnung zu den agri-GIs;
  • die Identifizierung von Schwachpunkten in der Praxis bei der Anwendung der VO für agri-GIs und diesbezügliche Verbesserungen in der neuen EU-VO;
  • die Handhabbarkeit der neuen Bestimmungen hinsichtlich Einfachheit und Kostengünstigkeit, um Vorteile für Unternehmer in kleineren Ländern zu bieten.  

Mag. Gabriele Benedikter


Neue Regeln für die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen: vorläufige politische Einigung über CSRD 

Die Europäische Kommission hat am 21. April 2021 ihren Vorschlag für eine Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (Corporate Sustainability Reporting Directive) veröffentlicht, der die bestehenden Berichtspflichten der NFRD (Non Financial Reporting Directive, NFI-RL 2014/95/EU) abändert. Am 21.Juni 2022 haben sich der Rat und das Europäische Parlament im Trilog Verfahren auf einen Text geeinigt. Die Europäische Union möchte mit dieser Richtlinie ihre Vorreiterrolle bei der Festlegung nachhaltiger Standards bestätigen. Die Harmonisierung der Nachhaltigkeitsdaten wird durch die Festlegung von Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung ermöglicht, die von der Europäischen Kommission nach fachlicher Beratung durch die Europäische Beratergruppe für Rechnungslegung (EFRAG) und mehrere europäische Agenturen im Wege eines delegierten Rechtsakts angenommen werden.  

Aus Sicht der Wirtschaft gilt es besonders zu beachten, dass die parallellaufenden legistische Initiativen (insb. im Zusammenhang mit Sustainable Finance und Corporate Sustainability Due Diligence) verstärkt aufeinander abgestimmt werden (sog. „Streamlining“). Das Ziel muss ein kohärenter effizienter Regelungskomplex sein, der Unternehmer insgesamt so wenig wie möglich belastet.  

Was sind die neuen Regeln? 

Mit der CSRD wird die bestehende Richtlinie über die nichtfinanzielle Berichterstattung von 2014 geändert. Sie führt detailliertere Berichtspflichten ein und legt fest, dass große Unternehmen über Nachhaltigkeitsthemen wie Umweltrechte, soziale Rechte, Menschenrechte und Governance-Faktoren berichten müssen. Die CSRD führt auch eine Prüfungspflicht für die Nachhaltigkeitsberichterstattung ein und verbessert die Zugänglichkeit der Informationen, indem sie deren Veröffentlichung in einem digitalen und maschinenlesbaren Format im Lagebericht vorschreibt. 

Anwendungsbereich 

Die EU-Vorschriften gelten für alle großen Unternehmen (mit mehr als 250 Beschäftigten und einem Umsatz von 40 Millionen Euro) und für alle an geregelten Märkten notierten Unternehmen. Diese Unternehmen sind auch für die Bewertung der Informationen auf der Ebene ihrer Tochtergesellschaften verantwortlich. Für Unternehmen, die bereits von der zuvor geltenden NFRD betroffen sind, ist die Anwendung ab 2024 vorgesehen; für Unternehmen, die derzeit nicht unter die Berichtspflichten fallen ab 2025.  

Die Vorschriften gelten auch für börsennotierte KMU, wobei ihre besonderen Merkmale berücksichtigt werden. Während eines Übergangszeitraums soll für KMU ein Opt-out möglich sein, was bedeutet, dass sie voraussichtlich bis 2028 von der Anwendung der Richtlinie ausgenommen sind (die finale Textversion ist noch nicht veröffentlicht). 

Für nicht-europäische Unternehmen soll die Pflicht zur Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts für alle Unternehmen gelten, die in der EU einen Nettoumsatz von 150 Millionen Euro erzielen und mindestens eine Tochtergesellschaft oder Niederlassung in der EU haben.  

Prüfung 

Die Berichterstattung muss von einem akkreditierten unabhängigen Prüfer oder Zertifizierer geprüft werden. Um sicherzustellen, dass die Unternehmen die Berichterstattungsvorschriften einhalten, muss ein unabhängiger Prüfer oder Zertifizierer gewährleisten, dass die Nachhaltigkeitsinformationen den von der EU angenommenen Standards entsprechen. Die Berichterstattung außereuropäischer Unternehmen muss ebenfalls zertifiziert werden, entweder durch einen europäischen Prüfer oder durch einen in einem Drittland ansässigen Prüfer. 

Standards 

Die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG), die die Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) entwirft, hat bereits eine erste Reihe von Standards veröffentlicht. Im Juni 2023 sollen die generellen Standards für die Berichterstattung verabschiedet werden, ein Jahr später die Standards für Hochrisiko-Branchen.  

Zurzeit führt die EFRAG eine öffentliche Konsultation in den Mitgliedstaaten durch. Am 29.4.2022 stellte die EFRAG ihr vorgeschlagenes öffentliches Konsultationspaket einschließlich des ersten Satz von Entwürfen (Exposure Drafts) vor

Die dreizehn Entwürfe entsprechen dem ersten Satz von Standards, die gemäß dem CSRD-Vorschlag erforderlich sind. Sie sollen der Europäischen Kommission bis November 2022 übergeben werden. Das Begutachtungsverfahren zu den ersten Standardentwürfen ist derzeit noch im Gange und es kann bis Anfang August Feedback dazu abgegeben werden.  

Nächste Schritte 

Die EU-Gesetzgeber müssen ihre Einigung vor ihrer Veröffentlichung im EU-Amtsblatt förmlich genehmigen. Erst dann steht der offizielle Text zur Verfügung.

Die Richtlinie tritt 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung in Kraft, und die Bestimmungen müssen nach 18 Monaten in das nationale Recht der Mitgliedstaaten übernommen werden. Die Vorgängerregelung (NFRD) ist derzeit primär im NaDiVeG (Nachhaltigkeits- und Diversitätsverbesserungsgesetz) umgesetzt. Entsprechende Anpassungen müssen dort vom österreichischen Gesetzgeber vorgenommen werden.  

Zusammenfassung: Wichtigste Änderungen der bestehenden Rechtslage 

Im Vergleich zur NFRD gibt es folgende wichtige Neuerungen:

  • Ausweitung des Anwendungsbereichs der Berichtspflichten
  • Spezifizierung der Informationen über die berichtet werden soll
  • Berichterstattung nach verbindlichen EU-Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung
  • Verpflichtende Prüfung der Berichte
  • Veröffentlichung in einem digitalen und maschinenlesbaren Format als Teil des Lageberichts 

Mag. Laura Sanjath


Data Governance Act in Kraft 

Die europäische Kommission hat im November 2020 Vorschlag für einen Data-Governance Act (DGA) veröffentlicht, in dem einheitliche rechtliche Rahmenbedingungen für Data Governance festgelegt werden. Im November 2021 einigten sich die Verhandlungsführer von Rat und Parlament vorläufig. Nun wurde Ende Mai 2022 formal abgestimmt und die Verordnung über europäische Daten-Governance (Daten-Governance-Rechtsakt) kundgemacht. Die neuen Regeln werden 15 Monate nach Inkrafttreten der Verordnung am 24.9.2023 anwendbar. 

Der DGA ist ein sektorübergreifendes Instrument, das darauf abzielt, mehr Daten verfügbar zu machen, indem es die Weiterverwendung von öffentlich/geheim gehaltenen, geschützten Daten regelt, die gemeinsame Nutzung von Daten durch die Regulierung neuartiger Datenvermittler fördert und die gemeinsame Nutzung von Daten zu altruistischen Zwecken unterstützt.  

Wiederverwendung von Daten aus dem öffentlichen Sektor 

Der DGA regelt die kommerzielle Weiternutzung von Daten des öffentlichen Sektors, die aufgrund des Datenschutzes, geistiger Eigentumsrechte bzw. Geschäftsgeheimnissen vor dem Zugriff Dritter eigentlich geschützt sind. Die Bestimmungen begründen kein Recht auf Weiterverwendung solcher Daten, sondern sehen eine Reihe harmonisierter Bedingungen vor, unter denen die Weiterverwendung solcher Daten erlaubt werden kann. Grundlegende Rechte auf Datenschutz, Privatsphäre und Eigentum bleiben unberührt.  

Er ergänzt die Richtlinie über offene Daten (PSI-RL). Der DGA betrifft Daten, die nicht in den Anwendungsbereich dieser PSI-RL fallen. Die PSI-RL regelt die Weiterverwendung von öffentlich/verfügbaren Informationen des öffentlichen Sektors. Der öffentliche Sektor verfügt jedoch auch über große Mengen geschützter Daten (z. B. personenbezogene Daten und vertrauliche Geschäftsdaten), die nicht als offene Daten weiterverwendet werden können, aber im Rahmen spezifischer EU- oder nationaler Rechtsvorschriften weiterverwendet werden könnten. Aus solchen Daten kann eine Fülle von Wissen gewonnen werden, ohne dass ihr geschützter Charakter beeinträchtigt wird. Zu den Daten, auf die das Gesetz abzielt, gehören zum Beispiel GPS-Daten oder Daten aus dem Gesundheitswesen, die, wenn sie produktiv genutzt werden, zur Verbesserung der Qualität von Dienstleistungen beitragen könnten. Der DGA sieht Regeln und Schutzmaßnahmen vor, um eine solche Weiterverwendung zu erleichtern, wann immer dies nach anderen Rechtsvorschriften möglich ist. 

Sowohl personenbezogene als auch nicht-personenbezogene Daten fallen in den Anwendungsbereich der DGA, und wo immer personenbezogene Daten betroffen sind, gilt die allgemeine Datenschutzverordnung (DSGVO). Zusätzlich zur DSGVO werden eingebaute Schutzmaßnahmen das Vertrauen in die gemeinsame Nutzung und Wiederverwendung von Daten erhöhen, was eine Voraussetzung dafür ist, dass mehr Daten auf dem Markt verfügbar sind. 

Exklusivvereinbarungen über die Weiterverwendung von Daten des öffentlichen Sektors sind möglich, wenn sie gerechtfertigt und für die Erbringung einer Dienstleistung von allgemeinem Interesse erforderlich sind. Um fairen Wettbewerb zu sichern, sollen neue Verträge zur exklusiven Nutzung von Daten zwischen Behörden und Unternehmen auf ein Jahr begrenzt werden, bestehende auf zweieinhalb Jahre. 

Datenvermittlungsdienste 

Außerdem enthält der Rechtsakt Ausübungsregeln für sogenannte Datenvermittlungsdienste, die zwischen Einzelpersonen bzw. Unternehmen und Datennutzern vermitteln sollen und für Organisationen, die „gespendete“ Daten „zum Wohl der Allgemeinheit“ sammeln wollen.

Es soll ein alternatives Modell zu den Datenverarbeitungspraktiken der Big-Tech-Plattformen geboten werden, die ein hohes Maß an Marktmacht haben, weil sie große Datenmengen kontrollieren. 

Um das Vertrauen in die gemeinsame Nutzung von Daten zu stärken, schlägt dieser neue Ansatz ein Modell vor, das auf der Neutralität und Transparenz von Datenmittlern beruht und gleichzeitig Einzelpersonen und Unternehmen die Kontrolle über ihre Daten gibt. 

Datenvermittlungsdienste müssen in einem Register aufgeführt werden, um Kunden zu ermöglichen sicherzugehen, dass die Dienstleister vertrauenswürdig sind. Sie sollen außerdem nicht selbst Daten für eigene Zwecke auswerten dürfen, um sicherzustellen, dass sie neutrale Marktplätze darstellen und diese Dienste nicht mit weiteren Angeboten verknüpfen, um Lock-in-Effekte zu vermeiden. 

Datenaltruismus 

Der DGA zielt auch darauf ab, günstige Bedingungen für den "Datenaltruismus" zu schaffen, d.h. Einzelpersonen oder Unternehmen zu ermutigen, freiwillig personenbezogene Daten zu spenden, um dem allgemeinen Interesse - etwa für medizinische Forschungsprojekte - zu dienen. Einrichtungen, die Daten für Ziele von allgemeinem Interesse sammeln wollen, können beantragen, in ein nationales EU-weit anerkanntes Register anerkannter Organisationen für Datenaltruismus aufgenommen zu werden. Um als Daten-Altruismus-Organisation anerkannt zu werden, muss ein bestimmtes Regelwerk eingehalten werden. 

Ein gemeinsames europäisches Einwilligungsformular für Daten-Altruismus soll die Erhebung von Daten in den Mitgliedstaaten in einem einheitlichen Format ermöglichen und sicherstellen, dass diejenigen, die ihre Daten weitergeben, ihre Einwilligung problemlos erteilen und widerrufen können. 

European Data Innovation Board (Europäische Dateninnovationsrat) 

Es wird eine formale Expertengruppe - der „Europäische Dateninnovationsrat“ - eingesetzt, die die Entwicklung bewährter Verfahren durch die Behörden der Mitgliedstaaten erleichtern soll. Er soll die Europäische Kommission bei der Verbesserung der Interoperabilität von Datenvermittlungsdiensten und der Herausgabe von Leitlinien zur Erleichterung der Entwicklung von Datenräumen beraten und unterstützen. 

Drittlandszugriffe und Transfers von nicht-personenbezogenen Daten 

Der DGA schafft für Daten des öffentlichen Sektors, für Datenvermittlungsdienste und für datenaltruistische Organisationen Schutzmaßnahmen gegen die unrechtmäßige internationale Übermittlung von oder den staatlichen Zugriff auf nicht-personenbezogene Daten. Für personenbezogene Daten gibt es in der EU bereits ähnliche Schutzmaßnahmen im Rahmen der DSGVO. 

Vergleichbar mit der DSGVO kann die Kommission Angemessenheitsbeschlüsse erlassen, in denen erklärt wird, dass bestimmte Nicht-EU-Länder angemessene Garantien für die Verwendung von aus der EU übermittelten, nicht personenbezogenen Daten bieten und Mustervertragsklauseln verabschieden, um öffentliche Stellen und Weiterverwender bei der Übermittlung nicht personenbezogener Daten, die unter den DGA fallen, in Drittländer zu unterstützen. 

Abgrenzung zum Data Act 

Der Data Act ist nach dem Data Governance Act die zweite große Gesetzgebungsinitiative, die als Folgemaßnahme zur europäischen Datenstrategie vom Februar 2020 ergriffen wird, um die EU an die Spitze der datengesteuerten Wirtschaft zu bringen.  

Im Februar 2022 hat die Europäische Kommission den Vorschlag für eine Verordnung unter dem Titel Datengesetz und geänderte Vorschriften über den rechtlichen Schutz von Datenbanken (Data Act) veröffentlicht, die eine faire Regelung über die Verteilung des Mehrwerts aus der Nutzung von Daten zwischen Unternehmen, Verbrauchern und rechenschaftspflichtigen öffentlichen Stellen schaffen soll. Ziel der Kommission ist den Zugang zu Daten und deren Nutzung – B2B, B2C und B2G – zu erleichtern. Der Verordnungsvorschlag enthält horizontale Regeln für die Bereitstellung von Daten.  

Der Vorschlag zum Data Act soll den bereits verabschiedeten DGA ergänzen. Beide Gesetze befassen sich mit der gemeinsamen Nutzung von Daten: 

  • Der Data Governance Act konzentriert sich auf die Schaffung eines Rechtsrahmens, von Verfahren und Strukturen zur Förderung der gemeinsamen Nutzung von Daten.
  • Der Data Act konzentriert sich mehr darauf, klarzustellen, wer unter welchen Bedingungen einen Mehrwert aus Daten schaffen kann. 

Zusammen sollen diese Initiativen das wirtschaftliche und gesellschaftliche Potenzial von Daten und Technologien im Einklang mit den Vorschriften und Werten der EU freisetzen. Sie sollen einen Binnenmarkt schaffen, der einen ungehinderten Datenfluss in der EU und zwischen den Wirtschaftszweigen ermöglicht. 

Mag. Laura Sanjath


Novelle des ÜbernahmeG: Rechtsmittelverfahren und Creeping-in 

Die Übernahmegesetz-Novelle 2022 (1526 d.B.) wurde durch die EuGH-Entscheidung, Adler Real Estate and Others (C-546/18) angestoßen. Der EuGH sprach aus, dass Entscheidungen der Übernahmekommission der vollumfänglichen (d.h. alle relevanten Sach- und Rechtsfragen) Überprüfung durch ein Gericht unterliegen müssen. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof genügt diesen Anforderungen nicht, weil Tatsachenfragen nicht überprüft werden können. 

Um die österreichische Rechtslage in Einklang mit Unionsrecht zu bringen, muss Österreich Änderungen im Rechtsmittelzug vornehmen. Der Novellierungs-Entwurf sieht vor, dass vor dem Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof ein Rechtsmittel an das Oberlandesgericht Wien „eingeschoben wird“, in dessen Rahmen die Überprüfung der Tatsachenfeststellungen möglich ist.  

Zusätzlich zu dem auf das Unionsrecht zurückgehenden Änderungsbedarf sollen auch die übernahmerechtlichen Regelungen zum Creeping-in (= der weitere Ausbau einer bereits kontrollierenden Beteiligung) liberalisiert und damit praxistauglicher gestaltet werden. In diesem Sinn soll es ab einem Hinzuerwerb von drei (statt zwei) Prozentpunkten zu einer Angebotspflicht kommen. Es soll sich auch die Berechnung ändern, indem die vorangehenden Veräußerungen von Aktien berücksichtigt werden und das Kalenderjahr maßgeblich ist (statt revolvierender Zeitraum von zwölf Monaten). Zusätzlich definiert der Entwurf auch zwei Tatbestände, in denen statt einer Angebotspflicht eine Anzeigepflicht an die Übernahmekommission bestehen soll. 

Zum Stand des Vorhabens: Das parlamentarische Verfahren ist abgeschlossen (siehe Parlaments-Info). 

Dr. Agnes Balthasar-Wach


Gewerberecht


GewO-Novelle zu den Gewerbelegitimationen in Begutachtung 

Einige Berufsgruppen (wie Handelsagenten, Fremdenführer, Berufsdetektive) haben verpflichtend bei ihrer Tätigkeit einen sogenannten „Berufsausweis“ mitzuführen. Dieser wurde mit der GewO 1973 als „Papierausweis“ eingeführt. Seit 1973 hat sich an den Ausweisen nichts verändert. Es ist seit langem ein großer Wunsch der betroffenen Branchen, dass ihre Berufsausweise von „Papier“ auf Scheckkarte umgestellt werden. Im Moment befindet sich eine Gewerbeordnungsnovelle in Begutachtung, die für alle (auch zukünftigen) Berufsausweise eine eigene zentrale Regelung vorsieht. Alle Berufsausweise sollen nur mehr in Form von Scheckkarten ausgestellt werden. 

Wir begrüßen es sehr, dass nun endlich ein langjähriger Wunsch der betroffenen Berufe umgesetzt werden soll. Es ist darüber erfreulich, dass für die Ausstellung der neuen Ausweise keine weiteren Kosten für die Gewerbetreibenden entstehen sollen.  

Dr. Carmen Simon-Klimbacher


Betonung der Qualifikation durch eintragbare Titel 

Die schon bestehende, erfolgreiche Regelung zur Führung und Eintragung des Meistertitels schafft die Möglichkeit, die durch die erfolgreiche Ablegung der Meisterprüfung erworbene gewerbliche Qualifikation als Titel vor dem Namen zu führen. Ebenfalls kann durch die Eintragung dieses Meistertitels diese Qualifikation auch in öffentlichen Dokumenten sichtbar gemacht und damit unterstrichen werden. 

Daher fordert die Wirtschaftskammer Österreich zur weiteren Stärkung der öffentlichen Wahrnehmung der hohen Qualifikation von handwerksähnlichen und anderen gewerblichen Tätigkeiten und Dienstleistungen eine gesetzliche Regelung in der Gewerbeordnung 1994 und im Bilanzbuchhaltungsgesetz 2014, dass solche Gewerbetreibende, die eine staatliche Befähigungsprüfung auf angemessenem NQR-Niveau erfolgreich abgelegt haben, ebenfalls berechtigt sein sollen, einen entsprechenden Titel vor/bzw. nach ihrem Namen in Kurzform oder in vollem Wortlaut zu führen und dessen Eintragung gleich einem akademischen Grad in amtlichen Urkunden verlangen können. 

Mag. Erhard Pollauf


Überarbeitung der EU-Bauprodukteverordnung (BPV) – Stärkung des Binnenmarktes 

Die Europäische Kommission hat Ende März 2022 nach langer Diskussion den schon mehrmals angekündigten Entwurf für eine Überarbeitung der EU-Bauprodukteverordnung veröffentlicht. 

Dieser Vorschlag zielt darauf ab, den Binnenmarkt für Bauprodukte zu stärken und die europäischen Nachhaltigkeits- und Klimaziele auch in der baulichen Umwelt zu verwirklichen. Die Überarbeitung der seit 2011 geltenden Vorschriften soll einen harmonisierten Rahmen für die Bewertung der Umwelt- und Klimaleistung von Bauprodukten schaffen. Durch neue Produktanforderungen soll sichergestellt werden, dass Design und Herstellung von Bauprodukten auf dem neuesten Stand der Technik beruhen, um sie haltbarer zu machen und sie leichter reparieren und recyceln zu können.  

Die neuen Vorschriften sollen auch den Normungsorganisationen die Ausarbeitung einheitlicher europäischer Normen erleichtern. Zur Verringerung des Verwaltungsaufwands insbesondere für KMU sollen digitale Lösungen geschaffen werden wie z. B. eine Datenbank für Bauprodukte und ein digitaler Produktpass. 

Auch wenn die Wirtschaftskammer Österreich das Vorliegen eines Überarbeitungsentwurfs angesichts der Bedeutung der betroffenen Branchen (Baustoffhandel, Baustoffindustrie, Recycling- und Entsorgungswirtschaft etc.) für den Binnenmarkt grundsätzlich begrüßt, so gibt es doch wesentliche Anmerkungen und Fragestellungen, die noch behandelt und gelöst werden müssen.  

Beispielsweise: 

Anwendungsbereich 

Der von der Kommission vorgelegte Entwurf schließt einige Produkte aus, die unter die derzeitige BPV fallen, zielt aber darauf ab, den Anwendungsbereich auf Produktfamilien auszuweiten, die nach der geltenden BPV nicht als Bauprodukte gelten (3D-Datensätze, -Dienstleistungen, -Formen, (Schlüssel-)Teile von Produkten, Fertighäuser usw.). Die Auswirkungen, die diese Änderungen auf bereits erfasste Produkte und Produktfamilien haben können, müssen noch dahingehend umfassend untersucht und bewertet werden, wo eine Grenzziehung in der Anwendung dieser Verordnung zu machen ist.  

Grundsätze der Verwaltung; Delegation von Befugnissen an die EK 

Mit dem vorliegenden Entwurf wird die Europäische Kommission ermächtigt, in einer Vielzahl von Situationen delegierte Rechtsakte zu erlassen. 

Es ist fraglich ob diese Ermächtigungen in diesem Umfang notwendig sind, und ob es nicht aufgrund der vorgesehenen Ermächtigungen zu Kompetenzkonflikten mit den Mitgliedsstaaten und zu Überschreitungen der Zuständigkeiten der Europäischen Union kommen kann.

Diese Ermächtigungen werfen mehrere Fragen auf, die geklärt werden müssen: 

  • Klärung der von der Kommission festgelegten Kriterien für den Erlass all dieser delegierten Rechtsakte?
  • Einbeziehung der Mitgliedstaaten und der Interessengruppen der Wirtschaft in den Konsultationsprozess?
  • Freie Entscheidung der Kommission, ob wesentliche Merkmale für bestimmte Produktfamilien obligatorisch oder freiwillig sein sollen, einschließlich Schwellenwerte und Leistungsklassen; ob weitere Umweltauflagen für Hersteller oder Kennzeichnungsvorschriften, einschließlich der "Ampelkennzeichnung", hinzugefügt werden sollen? 

Die Übertragung von Befugnissen an die Kommission sollte nur in Ausnahmefällen gestattet werden, um ein spezifisches Problem zu lösen, das in der Gesetzgebung nicht behandelt wird. 

Normung  

Der Entwurf sieht eine Lösung für den Fall vor, dass das Normungssystem nicht funktioniert, u.a. indem die Kommission ermächtigt wird, mittels delegierter Rechtsakte andere technische Spezifikationen zu erlassen. 

Diese Bestimmung sollte aus Sicht der WKÖ nur in Ausnahmefällen angewandt werden, um das gesamte Normungssystem nicht zu untergraben.  

Zu diesem Zweck sind gut definierte und verlässliche Leitlinien für die Verfasser von Normen sowie die Konsultation und Einbeziehung der Mitgliedstaaten und der Interessengruppen der Wirtschaft in den Bewertungs- und Annahmeprozess von Normungsergebnissen von größter Bedeutung. 

Harmonisierte Zone  

Während dabei auf eine Stärkung des Binnenmarktes abgezielt wird, indem Regeln festgelegt werden, über die hinaus die Mitgliedstaaten nicht regulieren können, sind Europäische Bewertungsdokumente nicht mehr Teil der harmonisierten technischen Spezifikation. Sie sind de facto aus der harmonisierten Zone ausgeschlossen, was es den Mitgliedstaaten in diesem Fall ermöglicht, weiteren Regelungsbedarf für die von EDAs abgedeckten Produkte aufzuerlegen. Dieser Ausschluss der Europäischen Bewertungsdokumente aus der harmonisierten Zone muss im Rahmen des gesamten Systems der Europäischen Bewertungsdokumente und im Zusammenhang mit den geltenden Verpflichtungen und Ausnahmen zumindest weiter analysiert, wenn nicht sogar zurückgenommen werden. 

Neue Verpflichtungen für die Bauproduktehersteller  

  • Eine neue den Herstellern auferlegten Verpflichtungen ist die Forderung, neben der bereits bestehenden Leistungserklärung eine eigene Konformitätserklärung auszustellen. Obwohl die Hersteller die Möglichkeit haben, eine "Konformitäts- und eine Leistungserklärung" in einem einzigen Dokument auszustellen, gibt es große Bedenken hinsichtlich des Verwaltungsaufwands und der zusätzlichen Kosten für die Hersteller, insbesondere auch der KMU. 
  • Ebenfalls wirft die Verpflichtung der Hersteller, Informationen in eine EU-Baudatenbank oder ein System hochzuladen, Fragen auf im Hinblick auf
  • die Eigentumsverhältnisse und die Wartung,
  • die administrative und finanzielle Belastung der Hersteller
  • die Menge der Informationen sowie den möglichen Zugang von Behörden und Organisationen, auch aus Drittländern, zu diesen Informationen, die den Unternehmen gehören und als vertraulich angesehen werden können. 

Mag. Erhard Pollauf


Verkehrsrecht 


33. StVO-Novelle 

Mit der 33. StVO-Novelle soll die im Regierungsprogramm vereinbarte Förderung des Fahrrad- und Fußverkehrs umgesetzt werden. Nach langen Vorarbeiten und Begutachtung wurde das Novellierungsvorhaben im Ministerrat am 15.6.2022 und im Verkehrsausschuss am 20.6.2022 mehrheitlich mit den Stimmen der ÖVP, Grünen und NEOS beschlossen. Der Nationalrat hat das Vorhaben am 6.7.2022 in zweiter und dritter Lesung verhandelt und beschlossen. Der Bundesrat hat der Novelle am 14.7.2022 zugestimmt, sie soll am 1.10.2022 in Kraft treten. 

Die WKÖ war in den lang dauernden Gesprächsprozess mit dem BMK, den Grünen, der ÖVP, dem ÖAMTC, der Landwirtschaftskammer, dem BMI uva eingebunden. Im Vorfeld konnten einige Punkte von der WKÖ ermöglicht bzw. abgewendet werden. Klassische Forderungen der WKÖ wurden nur in kleinem Umfang umgesetzt, zumal es sich um ein Radfahrer- und Fußgängerpaket handelt. 

Nicht beschlossen wurde das schon im Vorfeld heiß diskutierte und noch im Begutachtungsentwurf enthaltene Vorhaben des flächendeckenden Gegen-die-Einbahn-Fahren mit Fahrrädern unter bestimmten Bedingungen. Auch die vorgeschlagene Verpflichtung, bei Kreuzungen den freizuhaltenden Sichtbereich von fünf auf acht Meter zu erhöhen, wurde nach Begutachtung fallen gelassen.  

Die WKÖ sprach sich nicht grundsätzlich ablehnend aus, war und ist aber aus Gründen der Verkehrssicherheit skeptisch bis ablehnend gegenüber einzelnen Vorhaben. Einzelne Punkte wurden auch explizit von der WKÖ gefordert und begrüßt, wie z. B. die  

  • Erweiterung des Parkpickerls auch auf Kfz-Mietverträge und ähnliche Gebrauchsüberlassungsverträge (bislang war nur das Leasing erlaubt). 
  • Verbot des Vorbeifahrens an in Haltestellen befindlichen Straßenbahnen und Omnibussen. 
  • Mehrere Verstöße gegen die Ausrüstungsbestimmungen für Fahrräder sollen wie ein einzelnes Vergehen behandelt werden, was mit der WKÖ-Forderung nach Aufhebung der Mehrfachbestrafung im Verwaltungsstrafrecht im Einklang steht.  

Die Novelle ist umfangreich, weshalb hier nur einige wenige Punkte beispielhaft angesprochen werden. Medial diskutiert wurde die doch deutliche Ablehnung der Stadt Wien gegenüber etlichen Vorhaben in der Novelle. So führt die Stadt Wien in ihrer Stellungnahme aus, dass manche Vorhaben "für eine Millionenstadt nicht praktikabel" seien und verwies auf drohende "horrende Kosten" - mehr als 130 Millionen Euro wären demnach nötig, um alle Maßnahmen zu prüfen und zu verwirklichen. Bei einer generellen Erlaubnis zum Radfahren gegen die Einbahn in Begegnungszonen sei zudem die Verkehrssicherheit gefährdet. In Wien sind übrigens 42 Prozent des gesamten Einbahnstraßennetzes zum Radfahren gegen die Einbahn freigegeben. Zahlreiche Straßen seien mit Fahrbahnbreiten von drei bis 3,25 Meter zu schmal. Man befürchtete auch den Wegfall von rund 100.000 Stellplätzen. 

Was viele Autofahrer intuitiv und auf die Situation angepasst gemacht haben, wird zur Regel: „Wenn die Türen der Straßenbahn oder des Busses geöffnet sind und Passagiere ein- und aussteigen wollen, müssen Lenker eines Fahrzeuges stehen bleiben. Wenn die Türen geschlossen sind und niemand zuläuft ist das Vorbeifahren im Schritttempo erlaubt“ führte der VP-Verkehrssprecher Andreas Ottenschläger aus.  

Eine ähnliche Situation, in der Fußgänger und Autofahrer regelmäßig zum Ein- und Aussteigen aufeinandertreffen, gebe es in der Praxis oft vor Schulen. Hier schafft die Politik nun die Möglichkeit zur Definition von Schulstraßen, in denen zu bestimmten Stoßzeiten - etwa zu Schulbeginn und Schulende - temporäre Fahrverbote erlassen werden können. Die kurzfristigen Verkehrsüberlastungen, ausgelöst von Autos, mit denen Kinder in die Schule gebracht oder abgeholt werden, sollen so entschärft und die Sicherheit der Kinder erhöht werden, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad vor der Schule ankommen. Ausnahmeregelungen für Anrainer oder Zustellverkehr sind dabei berücksichtigt. 

Das in den Medien oftmals falsch dargestellte Rechtsabbiegen für Fahrradfahrer bei Rot wird nicht überall zur Norm. Vielmehr wird die Behörde vor Ort ermächtigt, individuell und auf Basis der jeweiligen Situation diese Möglichkeit mittels Zusatztafel, die wie ein Stoppschild wirkt, einzuräumen, wenn die allgemeine Verkehrssicherheit es zulässt.  

Erstmals wird auch der Sicherheitsabstand beim Überholen von Fahrradfahrern auf mindestens 1,5 Meter im bzw. mindestens zwei Meter außerhalb des Ortsgebietes vorgeschrieben. 

Fahrzeuge der Feuerwehren, die im gesamten Bundesgebiet auch im Katastrophenschutz eingesetzt werden, sollen nun den Fahrzeugen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gleichgestellt werden. Das betrifft beispielsweise Ausnahmen für Halten und Parken oder Fahrverbote, immer in Ausübung des Dienstes. 

Noch im Herbst 2022 soll eine weitere StVO-Novelle begutachtet werden. Konkrete Inhalte sind derzeit noch nicht bekannt. 

Mag. David Ulbrich 


Richtlinie (EU) 2022/738 zur Änderung der Richtlinie 2006/1/EG über die Verwendung von ohne Fahrer gemieteten Fahrzeugen im Güterkraftverkehr

Am 16. Mai 2022 wurde die Richtlinie (EU) 2022/738 zur Änderung der Richtlinie 2006/1/EG über die Verwendung von ohne Fahrer gemieteten Fahrzeugen im Güterkraftverkehr im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Einen ersten Vorschlag zur Revision dieser Richtlinie legte die Europäische Kommission bereits im Mai 2017 im Rahmen des Pakets „Europa in Bewegung“ vor. Die nun veröffentlichte Richtlinie ist das Ergebnis langer Verhandlungen zwischen Parlament und Rat. Grundsätzlich sollen mit ihr die Regeln für den Einsatz von Mietfahrzeugen durch Unternehmen, die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind, harmonisiert und vereinfacht werden. 

Die neue Richtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten die Verwendung von Fahrzeugen, die im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats gemietet wurden, in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet grundsätzlich nicht beschränken sollen. Sie können jedoch die folgenden Regelungen vorsehen: Einschränkung der Verwendungsdauer des Mietfahrzeugs auf mindestens zwei aufeinanderfolgende Monate innerhalb eines Kalenderjahres, verpflichtende Zulassung des Mietfahrzeugs nach einer Frist von mindestens 30 Tagen, Einführung einer Obergrenze der Anzahl von gemieteten Fahrzeugen, sofern die gestattete Mindestanzahl von Fahrzeugen mindestens 25 % der Nutzfahrzeugflotte entspricht, sowie Beschränkung der Verwendung von Mietfahrzeugen für den Werkverkehr.  

In der Richtlinie wird außerdem klargestellt, dass die mitzuführenden Unterlagen wie Zulassungspapiere und Mietvertrag sowohl in Papierform als auch in elektronischer Form vorgewiesen werden können, und es werden Regelungen für die Zusammenarbeit der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten sowie eine Berichtspflicht für die Europäische Kommission festgelegt. Schließlich wird geregelt, dass die Kommission spätestens 14 Monate nach dem Erlass einer gemeinsamen Formel für die Berechnung der Risikoeinstufung Durchführungsrechtsakte zur Festlegung der Mindestanforderungen an die in die elektronischen Register einzutragenden Daten und zur Festlegung der notwendigen Funktionen hinsichtlich Straßenkontrollen erlässt. Die entsprechende delegierte Verordnung zur gemeinsamen Formel ist bereits am 3. Mai 2022 im Amtsblatt veröffentlicht worden. 

Die Mitgliedstaaten haben die Richtlinie bis spätestens 6. August 2023 umzusetzen. In Österreich wird dies voraussichtlich durch eine Anpassung des Kraftfahrgesetzes erfolgen. 

Mag. Victoria Oeser


Publikationen


  • Carmen Simon-Klimbacher, Kommentierung zu § 98 GewO in Gerscha/Steurer, Praxiswissen Gewerbeordnung (gemeinsam mit Steurer, Gerscha) 
  • Carmen Simon-Klimbacher, Kommentierung zu § 104 GewO in Gerscha/Steurer, Praxiswissen Gewerbeordnung 
  • Christian Handig, Urheberrechts-Novelle 2021 – Wesentliche Änderungen mit Schwerpunkt Vertragsrecht, ÖBl 2021/17, 59;
  • Christian Handig, Checklist - Urhebervertragsrecht, ecolex 2022/154, 216; 
  • Christian Handig, Nationale Rechtsentwicklung, Urh-Nov 2021, ÖBl 2021/87, 259; 
  • Christian Handig, Nationale und internationale Rechtsentwicklung, Urh-Nov 2021, Einheitspatent, gemeinsam mit Rainer Beetz, ÖBl 2021/21, 61; 

EuGH-Updates in ecolex: 

  • Agnes Balthasar-Wach/Cornelia Lanser, Besprechung von EuGH, Fuhrmann-2 (C-249/21), ecolex 6/2022, 438: Verbraucherschutz beim Abschluss von Verträgen auf elektronischem Weg. 
  • Agnes Balthasar-Wach/Cornelia Lanser, Besprechung von EuGH, Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld (C-205/20), ecolex 5/2022, 417: Verhältnismäßigkeit von Verwaltungsstrafen. 
  • Agnes Balthasar-Wach/Cornelia Lanser, Besprechung von EuGH, Bund Naturschutz in Bayern e.V. (C-300/20), ecolex 4/2022, 330: Pflicht zur Strategischen Umweltprüfung. 
  • Agnes Balthasar-Wach/Cornelia Lanser, Besprechung von EuGH, Thelen Technopark Berlin (C-261/20), ecolex 3/2022, 192: Mindestsätze in der Honoraranordnung für Architekten und Ingenieure 
  • Agnes Balthasar-Wach/Cornelia Lanser, Besprechung von EuGH, Airhelp (C-263/20), ecolex 2/2022, 121: r Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste

Veranstaltung


Verbraucherschlichtungsstellen – Ein Service für Unternehmen?

Hinweisen dürfen wir auf die Diskussionsveranstaltung „Verbraucherschlichtungsstellen – Ein Service für Unternehmen?“, die von der Verbraucherschlichtung Austria in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz am 30. September 2022 im Marmorsaal des Sozialministeriums veranstaltet wird. Das Programm, die Möglichkeit zur Anmeldung und weitere Veranstaltungsdetails finden Sie unter www.verbraucherschlichtung.at/adrveranstaltung.