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Energiepreise im Blick

Wirtschaftspolitische Analyse Juli 2022

Lesedauer: 7 Minuten

Aktualisiert am 13.03.2023

Österreich und die EU befinden sich gerade in ihrer bisher schwersten Energiekrise. Zunehmende Gasliefer-Einschränkungen durch Russland drohen die Situation weiter zu verschlimmern.

Jetzt müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, um die Versorgungssicherheit für den Winter so gut wie möglich sicherzustellen. In erster Linie bedeutet dies die schnellstmögliche Befüllung der vorhandenen Gasspeicherkapazitäten und europaweite Koordination. Dabei muss klar sein, dass die möglichen Alternativen zu russischem Gas kurzfristig sehr begrenzt und/oder bereits ausgelastet sind.

Das bedeutet auch, dass jede Megawattstunde Erdgas, die heute eingespart werden kann, im Winter bei der Versorgung von Industrie und Haushalten hilft. Die WKÖ wünscht sich schon seit Längerem eine „tabulose“ Debatte über die Energiesicherheit in Österreich. Es wird Zeit, diese zu führen.


Russland dreht planmäßig den Gashahn ab

Österreich ist bekanntlich besonders abhängig von russischen Gaslieferungen, rund 80 % des heimischen Bedarfs wurden vor dem Ukraine-Krieg aus Russland bezogen. Die Regierung hat das Ziel, bis zum Winter die Speicher auf 80 % zu füllen. Aktuell liegen wir bei 49 %, was in etwa einem halben Jahresverbrauch entspricht. Seit Montag, 11. Juli, laufen 10-tägige Wartungsarbeiten an der Nordstream-1-Pipeline (NS1). Währenddessen fließt kein Gas durch die Pipeline, was für Österreich bedeutet, dass die Speicher in dieser Zeit langsamer gefüllt werden können.

Die Wartungsarbeiten finden routinemäßig statt und sind für sich genommen wenig beunruhigend. Allerdings warnen viele Experten davor, dass Russland die Pipeline im Anschluss nicht mehr in Betrieb nehmen könnte. Den Willen, die Gaslieferungen geopolitisch zu instrumentalisieren, hat man bereits bewiesen. Sechs EU-Mitgliedsstaaten wurde der Gashahn bereits komplett zugedreht, sechs weitere Länder (darunter Österreich, Deutschland und Italien) verzeichneten schon verringerte Lieferungen.

Am 16. Juni drosselte Gazprom die Exporte über NS1 um 60 % der Kapazität. Große europäische Abnehmer wie die italienische Eni, die österreichische OMV und die deutsche Uniper wurden davon hart getroffen und müssen das Defizit nun durch den Kauf von teurem Gas auf dem Spotmarkt ausgleichen. Uniper verliert schätzungsweise rund 30 Mio. Euro pro Tag und muss evtl. vom Staat gerettet werden. Außerdem scheint es keine Anstrengungen von Seiten Russland zu geben, die nun wegfallenden Liefermengen über andere Routen auszugleichen. Vielmehr hat der russische Staatskonzern Gazprom die Lieferungen nach Österreich und Italien weiter reduziert. Laut der OMV, hat Gazprom die Gaslieferungen über die Slowakei auf rund 30 % der ursprünglich bestellten Menge gekürzt. 

Laut einer Analyse von Bruegel hat die Substitution von russischem Gas durch Flüssiggas (LNG) auf EU-Ebene weitgehend ihre Grenzen erreicht. Geringere Importe aus Russland können deshalb nur noch durch eine Verringerung der EU-Gasnachfrage ausgeglichen werden. Hier bietet die schnellstmögliche Umsetzung eines koordinierten EU-Konzepts die beste Möglichkeit, die Gesamtkosten, die durch eine Senkung der Gasnachfrage entstehen, zu schmälern.

Für die EU insgesamt wäre in den nächsten 10 Monaten eine Nachfragereduzierung von insgesamt etwa 15 % gegenüber der durchschnittlichen Nachfrage in den Jahren 2019 bis 2021 erforderlich, um einen vollständigen Stopp der russischen Pipeline-Importe zu kompensieren.
In der Ländergruppe Österreich, Slowenien, Tschechien und der Slowakei müsste die Nachfrage im Falle eines russischen Lieferstopps sogar um 27 % reduziert werden. 

Grafik Speicherentwicklung Österreich* ohne russ. Gas
© Quelle: Bruegel / WKO
Grafik Gasspeicherentwicklung in Österreich (in %)
© Quelle: AGSI

Gaspreise werden über Jahre hinweg hoch bleiben

Die europäischen Erdgaspreise liegen derzeit noch deutlich unter dem Allzeithoch von März. Der Gasmarkt geht nun jedoch von einer viel länger anhaltenden Krise aus als noch im Frühjahr. In den letzten Wochen hat sich die Terminpreiskurve der EU-Gaspreise auf einem viel höheren Niveau neu eingepreist. Besonders zu spüren bekommt das die Industrie. Noch im März konnten Unternehmen für 2023 einen Gaspreis von etwa 80 Euro/Mwh festschreiben.

Am 8. Juli wurden dafür bereits 145 Euro fällig, wobei ein kompletter Lieferstopp aktuell noch nicht eingepreist wird. Derzeit ist es wahrscheinlich, dass Russland nach den Wartungsarbeiten die Lieferungen über NS1 auf einem reduzierten Niveau wieder aufnehmen wird, um seinen Einfluss auf den europäischen Gasmarkt behalten zu können. Der Lieferstopp könnte dann zum Zeitpunkt der maximalen Verwundbarkeit nachfolgen, etwa kurz vor dem Winter. 

Grafik Österreichischer Gaspreisindex
© Quelle: OGPI
Grafik Gaspreise: EU vs. USA
© Quelle: Trading Economics, eigene Berechnungen

Österreich verfügt über hohe Speicherkapazitäten, diese gilt es zu nutzen

Österreich hat glücklicherweise den Vorteil, dass die Speicherkapazitäten überdurchschnittlich hoch sind. Unsere Speicher decken mit ihrer Gesamtkapazität in etwa den Verbrauch eines ganzen Jahres. Deshalb ist das oberste Ziel der Versorgungsstrategie die schnelle Einspeicherung von so viel Erdgas wie möglich. Auf der anderen Seite werden zusätzliche (nicht-russische) Versorgungsalternativen wie Flüssiggas aus den USA oder Pipeline-Gas aus Norwegen bereits weitestgehend ausgeschöpft. Wollen wir also mehr Gas einspeichern, müssen wir dieses irgendwo einsparen. Auch hier schafft eine europäische Herangehensweise zusätzliche Spielräume.

Auf der Nachfrageseite konnte vor allem die Industrie in Österreich bereits Erdgas einsparen, weshalb der Gasverbrauch im Jahr 2022 schon merklich zurückgegangen ist. In Summe haben wir heuer bisher (Jänner bis Mai) um 3,5 TWh weniger Gas verbraucht als im Vergleichszeitraum 2021. Das entspricht z.B. dem Jahres-Verbrauch der österreichischen Nahrungsmittelindustrie. Der beste Hebel für eine weitere Reduktion der Nachfrage ist der Verbrauch der Kraftwerke. Deren Verbrauch ist heuer höher als 2021 und erreichte im Mai sogar einen historischen Höchstwert. Insgesamt wurden 1,2 TWh mehr Gas zur Stromerzeugung eingesetzt als 2021. Ohne Gaskraftwerke würde außerdem der Strompreis sinken, da das teure Gas dann als marginaler Stromproduzent wegfallen würde.

Hohe Strompreise schlagen nur langsam auf Haushalte durch

Während sich Erdgas in den letzten Monaten für die Haushalte erheblich verteuert hat, lässt sich diese Tendenz bei den Strompreisen noch nicht ablesen. Die Aussetzung diverser Steuern und Abgaben auf Strom hat sogar dazu geführt, dass die Haushaltsausgaben für Strom im Mai im Jahresvergleich gefallen sind. Großverbraucher können davon allerdings nur träumen. Wie der österreichische Strompreisindex zeigt, haben sich die Preise im Großhandel mehr als vervierfacht. Doch auch auf die Haushalte werden in den kommenden Monaten Preissteigerungen zukommen. Der VKW verlangt pro kWh Strom derzeit netto 9,680 ct. Zum Vergleich, EEX-Futures für den Winter liegen momentan zwischen 40 und 67 ct/kWh.

Grafik Strompreisindex (Großhandel, 2006=100)
© Quelle: OSPI
Grafik: Jährliche Inflationsrate: Strom (HVPI)
© Quelle: Eurostat

Russland blockiert Erdöllieferungen aus Kasachstan

Ein Grund, wieso es Russland leichtfällt, die Gaslieferungen nach Europa zu verringern, sind die immensen Einnahmen durch Erdölexporte. Öl spielt für das russische Budget eine viel größere Rolle als Erdgas.

Da Russland auf europäische Tanker angewiesen ist, um sein Erdöl an Abnehmer außerhalb der EU zu verkaufen, hätte die EU hier längst eingreifen können. Die logistischen Möglichkeiten, Erdöl über Land nach China und Indien zu verkaufen, sind nämlich begrenzt. Deswegen würde ein Transportverbot für europäische Tanker die Einnahmen des Kremls empfindlich treffen und dadurch nebenbei den Spielraum für Lieferkürzungen von Erdgas schmälern. 

Im Gegensatz zu Gas ist die Erdölversorgung über den Weltmarkt sichergestellt. Das betrifft allerdings nicht Erdölprodukte wie Diesel. Üblicherweise ist die Raffinerie Schwechat für rund 41 % des raffinierten Diesels in Österreich verantwortlich. Bei Wartungsarbeiten gab es in der Raffinerie jedoch einen Schaden, weshalb die OMV nun Probleme hat, den heimischen Bedarf zu decken. Dazu kommt, dass derzeit auch andere europäische Raffinerien stillstehen und - auch ohne formales Embargo - bereits seit Monaten kein Diesel mehr aus Russland importiert wird. Um den Bedarf zu decken, wurden nun weitere 100.000 Tonnen Diesel und 45.000 Tonnen an Halbfertigfabrikaten aus den strategischen Erdölreserven Österreichs freigegeben.

Immerhin bleibt der von Russland verhängte Lieferstopp von Erdöl aus Kasachstan vorerst ohne Konsequenzen. 2021 stammten zwar ganze 38,9 % des von der Raffinerie Schwechat verarbeiteten Rohöls aus Kasachstan, aufgrund des voraussichtlich bis September andauernden Defekts der Raffinerie kann derzeit aber ohnehin fast kein Erdöl verarbeitet werden. Darüber hinaus versichert die OMV, dass man diversifizierte Bezugsquellen habe und deshalb auch ohne Lieferungen aus Kasachstan zurechtkommen können werde. 

Grafik Erdöl der Sorte Brent (in USD/Fass)
© Quelle: Trading Economics
Grafik: Abschlag Urals-Brent (in USD/Fass)
© Quelle: Neste

Metallpreise haben das schlechteste Quartal seit der großen Rezession hinter sich

Nachdem die Preise vieler Metalle in den vergangenen Monaten immer neue Rekordwerte erreicht haben, ging es in den letzten Wochen ebenso schnell wieder nach unten. Industriemetalle haben gerade das schlechteste Quartal seit der Finanzkrise 2008 hinter sich, weil die globale Rezessionsangst zunehmend wächst und auf die Preise drückt. Der Preis für Kupfer, der gerne als Konjunkturindikator gesehen wird, ist mittlerweile deutlich gesunken, und Zinn hat gerade den stärksten Einbruch seit den Achtzigern erlebt. Das ist eine dramatische Kehrtwende im Vergleich zu den letzten zwei Jahren. Grund für den Preisabfall ist, dass zunehmende Sorgen über eine Verlangsamung der Industriekonjunktur mit der sinkenden Nachfrage in China zusammenfallen. 

Zumindest, was den Inflationsdruck anbelangt, gibt es positive Signale. Die Preise von Computerchips haben endlich begonnen zu fallen. Halbleiter gehörten zu den ersten Produkten, die Anfang 2021 knapp geworden sind. Sie werden für alle möglichen Güter benötigt, die Knappheit führte in vielen Branchen zu Problemen. Ein nicht unerheblicher Faktor ist – neben der Ausweitung der Produktionskapazitäten – auch der enorme Einbruch des Krypto-Marktes. In Asien lösen gerade Massen an Krypto-Schürfern ihre Rechenzentren auf und schwemmen nun den Markt mit Grafikkarten. Viele Karten waren über Jahre nur zu deutlich überhöhten Preisen am Sekundärmarkt erhältlich und sind nun das erstmals wieder unter die Verkaufspreisempfehlungen der Hersteller gesunken.

Grafik Bloomberg Preisindex für Industriemetalle
© Quelle: Investing.com
Grafik Preisveränderungen Industriemetalle seit 1.6.2022
© Quelle: Trading Economics, aktuell bis 12.07.2022


Fazit

Auch wenn sich Lieferkettenprobleme gerade ein wenig abschwächen und die Metallpreise endlich etwas nachgeben - in Bezug auf die Energiekrise könnte uns das Schlimmste noch bevorstehen. Österreich muss deshalb alles unternehmen, um sich auf den bevorstehenden Winter vorzubereiten. Dafür braucht es nicht nur einen Schulterschluss von Österreich und Deutschland, sondern vor allem gebündelte Kräfte und ein gemeinsames Vorgehen innerhalb der EU.

Kontraproduktiv und schädlich wären jetzt strikte nationale Preisdeckel. Den anstelle von Maßnahmen, die womöglich den Energieverbrauch noch fördern, braucht es Einsparungsschritte. Denn am günstigsten ist immer noch jene Energie, die wir nicht verbrauchen. 

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