SPIK - Sozialpolitik informativ & kurz

Newsletter Abteilung Sozialpolitik und Gesundheit 25.7.2022

Lesedauer: 6 Minuten

Aktualisiert am 13.03.2023

Inhaltsübersicht

  • Reform macht Rot-Weiß-Rot – Karte praxistauglicher
  • Vergleich mit Vor-COVID: Beschäftigung gestiegen, Produktivität gesunken!
  • OECD: Österreich Schlusslicht beim Frauen-Pensionsalter
  • Arbeitskräfteradar - Unternehmensbefragung 2022 veröffentlicht


Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Wie berichtet hat der Nationalrat zuletzt zahlreiche Änderungen beschlossen, darunter viele Verbesserungen bei der Rot-Weiß-Rot-Karte. Ein wichtiger Baustein zur Fachkräftesicherung, aber kein Patentrezept, zumal die Zuwanderung aus anderen Gründen immer noch dominiert.

Im Trend der Zeit werden immer mehr Tage „gefeiert“, um auf Ungleichgewichte hinzuweisen – Equal Pay Day, Tax Freedom Day und demnächst der Equal Pension Day, der auf den Geschlechterunterschied bei Pensionen hinweist. Verschwiegen wird dabei gern, dass das extrem frühe Frauenpensionsalter das Pensionsniveau drückt und im Übrigen Arbeitsmarktfaktoren wie Teilzeit einen großen Teil des Unterschieds bewirken.

Trotz der unsicheren Zeit sind heute mehr Menschen in Beschäftigung als vor COVID. Die Wertschöpfung von 2019 haben wir aber noch nicht übertroffen. D.h. die Produktivität ist gesunken. Was sind die Gründe?

Schließlich ist unser Fachkräfteradar jetzt veröffentlicht.

Alles Gute!

Rolf Gleißner


Reform macht Rot-Weiß-Rot – Karte praxistauglicher

Der Nationalrat hat eine Reform der Rot-Weiß-Rot – Karte beschlossen, die zahlreiche von der Wirtschaft geforderte Verbesserungen bringt. Die Karte ist eine wichtige Stellschraube, aber eben nur eine von vielen im Kampf gegen den Arbeitskräftemangel. 

Auf Initiative der Wirtschaftskammer wurde die Rot-Weiß-Rot – Karte 2011 als Instrument zur Fachkräftesicherung eingeführt. Zielgruppe sind besonders Hochqualifizierte, Fachkräfte in Mangelberufe, wie auch sonstige Schlüsselkräfte, selbstständige Schlüsselkräfte, Startup-Gründer und Studienabsolventen aus Drittstaaten. EU-Bürger haben ohnehin Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt.

Die drei wichtigsten Herkunftsländer waren 2021 Bosnien, Indien und Serbien. 1.788 RWR-Karten wurden aufgrund eines Erstantrages ausgestellt, davon 842 alleine für sonstige Schlüsselkräfte. Damit wurde fast das Niveau von 2019 mit 1.909 Karten erreicht. 2020 drückten COVID, Pandemiemaßnahmen und Wirtschaftskrise die Zahl auf 1.274 Karten. Damit ist die Zuwanderung von Drittstaatsangehörigen mit RWR-Karte immer noch deutlich schwächer als jene aufgrund Asyl (2021 19.400) oder Familiennachzug (3.134). 

Qualifizierte Zuwanderung erfordert guten Rahmen, Vollzug und Bekanntheit 

Die aktuelle Reform soll es Betrieben erleichtern, Fachkräfte nach Österreich zu holen. Der Fokus liegt auf einer praxisgerechteren Bewertung im Punkteschema der RWR-Karte wie auf einer Verfahrensbeschleunigung, Details siehe unten. 

Die Reformschritte sind wichtige Verbesserungen, werden viele Verfahren erleichtern und die qualifizierte Zuwanderung hoffentlich deutlich fördern. Genauso wichtig wie der Gesetzesrahmen ist ein kundenfreundlicher und rascher Vollzug. Um allerdings im weltweiten Wettbewerb um die besten Köpfe bestehen zu können, muss auch der Arbeitsstandort Österreich stark beworben werden. Die Wirtschaftskammer setzt hier bereits proaktive Maßnahmen.


Reform der RWR-Karte – die wichtigsten Änderungen: 

  • Erleichterte Berücksichtigung von Berufserfahrung: Nach der Novelle ist es möglich, auch für halbjährige Berufserfahrung Punkte zu erhalten. Berufsausbildungen von Fachkräften in Mangelberufen werden punktemäßig Hochschulausbildungen gleichgestellt. Bei sonstigen Schlüsselkräften wird nunmehr neben einer ausbildungsadäquaten auch eine tätigkeitsbezogene Berufserfahrung berücksichtigt.
  • Sprachkenntnisse: Sprachzertifikate sind nunmehr fünf Jahre gültig. Bei einer Beschäftigung in einem vorwiegend englischsprachigen Unternehmen werden Englischkenntnisse Deutschkenntnissen punktemäßig gleichgestellt.
  • Gehaltsgrenzen: Für Studienabsolventen entfällt die Gehaltsgrenze und für sonstige Schlüsselkräfte gilt nur mehr eine einheitliche Gehaltsgrenze von 50% der ASVG -Höchstbeitragsgrundlage.
  • Alter: Fachkräfte in Mangelberufen können für das Alter von 40 bis 50 Jahren Punkte erhalten.  
  • Raschere Durchführung des Ersatzkraftverfahrens: Für sonstige Schlüsselkräfte soll das Ersatzkraftverfahren möglichst binnen 10 Tagen durchgeführt werden.
  • Projektmitarbeiter: Spezialisten, die nur für kurzfristige Projektarbeiten von bis zu sechs Monaten nach Österreich kommen, können nunmehr eine Beschäftigungsbewilligung erhalten. Mit einem entsprechenden Visum können so Projektmitarbeiter für kurze Zeiten beschäftigt werden.
  • Arbeitsvermittlungen: Arbeitsvermittlungen von bewilligungspflichtigen, drittstaatsangehörigen Arbeitnehmer sind nunmehr ohne Einwilligung des AMS möglich.
  • RWR-Karte für Stammmitarbeiter: Wer bereits zwei Jahre als registrierte Stammsaisonier zu jeweils sieben Monaten beschäftigt war, kann unter weiteren Voraussetzungen eine RWR-Karte für Stammmitarbeiter erhalten.
  • Stammsaisonierregelung: Die bestehende Stammsaisonierregelung wird in das Dauerrecht übernommen.
  • Familienangehörige: Gleichzeitig mit einer RWR-Karte können auch RWR-Karten plus für Familienangehörige beantragt werden.
  • Austrian Business Agency: Die Austrian Business Agency wird als Beratungsstelle für alle rechtlichen Fragen zur RWR-Karte mit entsprechenden Vertretungsbefugnissen und Verfahrensrechten eingerichtet.
  • Blaue Karte EU:
    Die Gehaltsgrenze wird auf das durchschnittliche Bruttojahresgehalt eines Vollzeitangestellten gesenkt. IT-Fachkräfte ohne Studienabschluss, aber mit einer vergleichbaren, mindestens dreijährigen Berufserfahrung, erworben innerhalb der letzten sieben Jahre vor Antragstellung, können eine Blaue Karte EU erhalten.

von Mag. Natasha Ghulam, LL.M.



Vergleich mit Vor-COVID: Beschäftigung gestiegen, Produktivität gesunken!


Vergleich mit Vor-COVID: Beschäftigung gestiegen, Produktivität gesunken
© WKÖ Quelle: VGR, Stand Ende Juni 2022

Der Arbeitsmarkt hat sich nach COVID bekanntlich rasant erholt: Ende Juni 2022 verzeichnete das AMS fast 4 Mio Beschäftigte und damit um 3,1% mehr als Ende Juni 2019. ABER: Erst heuer überwinden wir den Einbruch 2020, sprich erreichen das BIP-Niveau von 2019, siehe Grafik oben. Wenn aber derzeit mehr Menschen dasselbe erwirtschaften wie 2019, heißt das, jeder einzelne erwirtschaftet weniger als vorher. Und tatsächlich zeigt die Statistik, dass wir 2022 noch deutlich unter der Produktivität von 2019 liegen. 

Was sind die Gründe für die gesunkene Produktivität? An der Kurzarbeit kann es nicht liegen, Ende Juni waren nur mehr wenige Tausend Arbeitnehmer tatsächlich in Kurzarbeit. Ein Faktor dürfte die gesunkene Arbeitszeit sein, weil weniger Überstunden anfallen und mehr Menschen Teilzeit arbeiten als 2019. Das hieße, wir arbeiten weniger Stunden, aber in jeder einzelnen Stunde leisten wir in etwa gleich viel wie 2019.  

Fazit: Die Zahlen sprechen dafür, dass wir heute weniger arbeiten als vor Covid und somit mehr Freizeit haben – auch ohne politische Eingriffe. Und auch wenn sich die Digitalisierung überall zeigt: In der Produktivität sieht man (noch) nichts davon. Daher gehen auch unterm Strich keine Jobs verloren, im Gegenteil. Die Beschäftigung steigt so stark, dass viele offene Stellen nicht besetzt werden können.



OECD: Österreich Schlusslicht beim Frauen-Pensionsalter

Wichtiger Faktor für Gender Pensions Gap 

Der internationale Vergleich zeigt, dass Österreich gemeinsam mit Polen mit 60 Jahren Schlusslicht beim gesetzlichen Frauenpensionsalter ist. Alle anderen EU-Ländern haben das Pensionsalter bereits angeglichen – Deutschland bereits 1992. Rumänien, Kroatien und Litauen sind mitten im Prozess der Angleichung. Auch die Schweizerinnen (64 Jahre) und Britinnen (66 Jahre) gehen viel später in Pension als die Österreicherinnen. Hierzulande wird das Pensionsantrittsalter bekanntlich erst 2033 angeglichen.

Pensionsantrittsalter in den EU-Staaten 2022
© WKÖ

Österreicherinnen Spitze bei Dauer des Pensionsbezugs 

Nach einer Berechnung von Agenda Austria sind die Österreicherinnen daher auch EU-Spitze bei der Pensionsbezugsdauer. Diejenigen, die den frühen Pensionsantritt von Frauen verteidigt haben, beklagen jetzt den Gender Pensions Gap. Dabei trägt das eine zum anderen bei: Durch den frühen Pensionsantritt verlieren die Frauen die einkommensbesten Jahre. Die Pension sinkt, der „Gender Pensions Gap“ steigt. 

Der Pensionsunterschied zwischen Mann und Frau liegt mehr am Arbeitsmarkt (u.a. an der hohen Teilzeitquote der Frauen) als am Pensionssystem: Denn gemäß OECD-Statistik steigen Männer und noch mehr Frauen im heimischen Pensionssystem relativ gut aus, wenn man nicht nur die Pensionshöhe, sondern auch die lange Pensionsbezugsdauer berücksichtigt: Die Pensionsansprüche (gemessen an der Zahl der Jahreseinkommen vor Pensionsantritt) machen der OECD zufolge in Österreich bei Frauen 17,6 Jahreseinkommen aus, bei Männern 16,1 Jahreseinkommen. Im OECD-Schnitt sind es nur 12,5 bzw. 11,3, in Deutschland noch weniger. 

Fazit: Das frühe Frauenpensionsalter ist kontraproduktiv. Längeres Arbeiten und mehr Vollzeit statt Teilzeit würden die Pensionen erhöhen und den Gender Pensions Gap schließen.  

Links:



Arbeitskräfteradar - Unternehmensbefragung 2022 veröffentlicht 

Die Ergebnisse der seit 2018 jährlichen österreichweiten Befragung von rund 4.000 Betrieben („Arbeitskräfteradar“) zeigen, dass sich der Fachkräftemangel in Österreich auf einem „Allzeithoch“ befindet.

Hochgerechnet auf Österreich kann zum Befragungszeitpunkt (März/April 2022) von einem geschätzten Fachkräftebedarf (offene Stellen) von rund 272.000 Personen ausgegangen werden. 73% der Betriebe – quer durch alle Branchen - leiden unter (sehr oder eher) starkem Fachkräftemangel (44% davon unter einem sehr starken). Inzwischen fehlt es nicht nur an Fach-, sondern überhaupt an Arbeitskräften, weshalb von einem generellen Arbeitskräftemangel gesprochen werden kann. 

Details der vom ibw im Auftrag der WKÖ durchgeführten Erhebung: wko.at/fachkraeftesicherung




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