SPIK - Sozialpolitik informativ & kurz

Newsletter Abteilung Sozialpolitik und Gesundheit 30.3.2022

Lesedauer: 8 Minuten

Aktualisiert am 13.03.2023

Inhaltsübersicht

  • Aufenthalt und Beschäftigung von ukrainischen Kriegsflüchtlingen in Österreich
  • Rekord an offenen Stellen belegt Arbeitskräfteknappheit
  • Long-COVID: Was wissen wir bisher?
  • Gendergerechtigkeit: Praxis ist Führungskräften zufolge anders als öffentlicher Diskurs


Liebe Leserinnen, liebe Leser,

der Krieg in der Ukraine bringt furchtbares Leid und wirkt sich auch auf Österreich und seine Wirtschaft massiv aus, etwa durch gestiegene Energiekosten und Lieferausfälle. Vorrang haben Versorgung und Unterstützung von Kriegsflüchtlingen. Das AMS bereitet sich auf Vertriebene vor, die eine Beschäftigung anstreben. Doch es gibt auch Hürden.

Trotz anhaltender Omikron-Welle und dem Krieg in der Ukraine entwickelt sich der heimische Arbeitsmarkt (noch) positiv, was sich auch am Rekord offener Stellen zeigt.

Etwa 10 Prozent der Covid-Infizierten leiden an Langzeitfolgen (Long-Covid). Auch wenn vieles ungeklärt ist, bietet das heimische Gesundheitssystem allen Betroffenen spezifische Leistungen.

Zum Abschluss eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung zur Gendergerechtigkeit mit überraschendem Ergebnis.

Alles Gute!

Rolf Gleißner


Aufenthalt und Beschäftigung von ukrainischen Kriegsflüchtlingen in Österreich

In Österreich wurden bislang 35.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine für einen längeren Aufenthalt registriert (Stand 28.3.2022). Das AMS rüstet sich für Ukrainer, die an einer Beschäftigung interessiert sind. 

Am 24.2.2022 brach der Angriffskrieg seitens Russland auf die Ukraine aus. Von insgesamt mehr als 44 Mio Ukrainern flohen seit Kriegsbeginn bereits 3,86 Mio aus dem Land, vor allem in umliegende Nachbarländer. In Österreich wurden bislang 35.000 Flüchtlinge für einen längeren Aufenthalt registriert (Stand 28.3.2022).

Der Europäische Rat hat am 4. März 2022 auf Vorschlag der Europäischen Kommission beschlossen, die Massenzustrom – Richtlinie für ukrainische Flüchtlinge zu aktivieren. Bei dieser handelt es sich um eine europäische Richtlinie, die von der raschen Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen des Jugoslawienkriegs in den frühen 90er Jahren inspiriert wurde. Diese Richtlinie sieht daher einen temporären Schutz mit einem Aufenthaltsrecht, einem Arbeitsmarktzugang, dem Recht auf angemessene Unterbringung, wie auch auf notwendige Hilfe in Form von Sozialleistungen und medizinischer Versorgung vor.

Österreichs Umsetzung der Massenzustrom-Richtlinie 

Nach Aktivierung der EU-Massenzustrom-Richtlinie wurde in Österreich am 11.3.2022 die Vertriebenen -Verordnung erlassen. Diese sieht ein Aufenthaltsrecht für alle ukrainischen Staatsangehörigen vor, die aufgrund des Konflikts in der Ukraine nach dem 24.2.2022 nach Österreich geflohen sind, für Drittstaatsangehörige, die in der Ukraine internationalen Schutz genießen, sowie für deren Familienangehörige. Auch Ukrainer, die sich am 24.2.2022 rechtmäßig bereits in Österreich aufgehalten haben, können das neue Aufenthaltsrecht in Anspruch nehmen. Das Aufenthaltsrecht gilt zunächst bis 3.3.2023 mit der Möglichkeit der Verlängerung um ein Jahr. Auf Vorschlag der Europäischen Kommission kann der Europäische Rat den Schutzstatus um ein weiteres Jahr verlängern.

Der Bundesminister für Arbeit räumte am 11.3.2022 mit Erlass ukrainischen Vertriebenen den Arbeitsmarktzugang ein. Voraussetzung ist eine Beschäftigungsbewilligung, aber ohne Arbeitsmarktprüfung. Die Beschäftigungsbewilligung setzt wiederum einen Ausweis für Vertriebene voraus, der Status und Aufenthaltsrecht bescheinigt.

Konkrete Schritte für eine Beschäftigung 

Der Ausweis für Vertriebene wird nach Registrierung bei einem Registrierzentrum oder einer entsprechenden Polizeidienststelle ausgestellt. Die Staatsdruckerei verschickt den Ausweis direkt an die angegebene Zustelladresse. Derzeit kommt es zu längeren Wartezeiten. Das Innenministerium arbeitet daran, den Vorgang zu beschleunigen. Die Anzahl der verfügbaren Registriergeräte wurde erhöht, die ersten Ausweise schon produziert.  

Mit dem Ausweis können Ukrainer (oder ihr potenzieller Arbeitgeber) beim AMS die Beschäftigungsbewilligung beantragen und AMS-Förderangebote nutzen. Das AMS bietet bereits Informationen auch in Ukrainisch unter Labour Market in Austria for refugees from Ukraine (ams.at). Unternehmen können in Stelleninseraten beim AMS (www.allejobs.at) ihr Interesse an ukrainischen Bewerbern vermerken und werden dann von diesen leichter gefunden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Vertriebenen bisher großteils Mütter mit Kindern sind und daher derzeit Unterstützung, Unterkunft und Kinderbetreuung im Vordergrund stehen.

Doch es gibt auch Hürden, an denen zu arbeiten ist – etwa die Anerkennung von ukrainischen Ausbildungen und eine Perspektive, mehr als ein Jahr zu bleiben, etwa um eine Lehre zu absolvieren. 

AMS: https://www.ams.at/unternehmen/service-zur-personalsuche/gefluechtete-personen-aus-der-ukraine-einstellen

WKO – FAQ zur Ukraine: https://www.wko.at/service/ukraine-faq.html


von Mag. Natasha Ghulam, LL.M.



Rekord an offenen Stellen belegt Arbeitskräfteknappheit

Zahl der offenen Stellen steigt in der EU und in Österreich

Mitte März veröffentlichte Eurostat die Quote der offenen Stellen, die den Anteil der offenen Stellen an allen verfügbaren (besetzten und offenen) Stellen misst. Diese Quote zeigt, dass in der ganzen EU Arbeitskräfte fehlen

Die Quote betrug im Euroraum im 4. Quartal 2021 2,8 Prozent und lag damit um 0,6 Prozentpunkte über dem 4. Quartal 2019 (Vorkrisenquartal). Österreich hatte mit einer Quote von 4 Prozent den vierthöchsten Wert innerhalb der EU, noch knapp vor Deutschland.

Quoten der offenen Stellen, gesamte Wirtschaft
© Eurostat
In Österreich werden offene Stellen auf unterschiedliche Art gemessen: 
  1. Die dem AMS von Unternehmen zur Besetzung gemeldeten offenen Stellen werden in den monatlichen Arbeitsmarktdaten veröffentlicht. Im Februar 2022 waren dem AMS 119.00 offene Stellen gemeldet, das waren fast doppelt so viele wie im Vorkrisenmonat Februar 2020. Allerdings wird nur etwa jede zweite offene Stelle dem AMS gemeldet.
  2. Die Statistik Austria erhebt die offenen Stellen vierteljährlich bei 6.000 Arbeitgeberbetrieben. Für das 4. Quartal 2021 wurden 171.000 offene Stellen ermittelt, der höchste Wert seit Beginn der Messung 2009.
  3. Keine statistische Erhebung, sondern eine Darstellung aller offenen Stellen Österreichs ist das AMS Jobportal www.allejobs.at. Dort sind über 300.000 Jobs gelistet, darunter aber auch grenznahe Stellen der Bundesagentur für Arbeit.
  4. Im Fachkräfteradar der Wirtschaftskammer Österreich erhebt das ibw jährlich Ausmaß und Konsequenzen des Fachkräftebedarfs bei den Wirtschaftskammermitgliedern. Zum letzten Befragungszeitpunkt Mai/Juni 2021 ergab sich ein geschätzter Fachkräftebedarf (offene Stellen) von 221.000 Personen. 

Fazit: Unabhängig von der Art der Messung offener Stellen zeigen alle Methoden Höchstwerte und belegen den zunehmenden Arbeitskräftemangel. Ohne Ukraine-Krieg würde Österreich im Sommer 2022 wahrscheinlich erstmals mehr offene Stellen als Arbeitslose verzeichnen. Umso wichtiger ist es, das Potenzial des heimischen Arbeitsmarkts auszuschöpfen, aber auch qualifizierte Zuwanderung zu forcieren.

Fachkräfteradar


von Mag. Maria Kaun



Long-COVID: Was wissen wir bisher?

Schätzungen zufolge leiden in Österreich ca. 10 Prozent aller COVID-Patienten an Long-COVID, 15.000 davon sind aktuell im Krankenstand. Dabei handelt es sich um kein einheitliches Krankheitsbild. Die medizinische Betreuung ist für alle Betroffenen gewährleistet. 

Wöchentlich erscheinen neue Studien und Nachrichten zur Corona-Folgeerkrankung Long-COVID. Dennoch ist noch vieles ungeklärt: Denn „Long-COVID“ ist keine exakte klinische Diagnose, sondern ein Überbegriff für gesundheitliche Langzeitfolgen, die nach einer COVID-19-Erkrankung vorhanden sein können.

Das liegt an den unterschiedlichen Krankheitsbildern und der komplexen Symptomvielfalt: Übelkeit, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Erschöpfung, Kurzatmigkeit, Gedächtnislücken sind nur einige der Symptome. Mittlerweile werden mehr als 100 bekannte Symptome unter diesem Begriff zusammengefasst. Deshalb und wegen der mangelnden Erfahrung mit Long-COVID besteht eine Vielzahl an offenen Fragen über die gesundheitlichen Langzeitfolgen und gibt es kein Muster für ärztliche Beratungen sowie medizinische Behandlungen.

Long-COVID kann jeden treffen - unabhängig von der Schwere des Krankheitsverlaufs. Die Risikofaktoren sind bisher nicht vollständig geklärt. Personen über 50 Jahre, Personen mit Vorerkrankungen oder Übergewicht sowie Frauen sind häufiger von Long-COVID betroffen. Unklar ist, in welchen Fällen die Long-COVID Symptome bleiben bzw. verschwinden.

Long-COVID als Berufskrankheit? 

AK und ÖGB fordern, dass COVID-19 und damit einhergehend Long-COVID für alle Berufsgruppen als Berufskrankheit anerkannt wird. Bei Berufskrankheiten ergeben sich für Betroffene zusätzliche Leistungsansprüche seitens der AUVA, z.B. eine Rente für die Dauer der Erwerbsunfähigkeit. Berufskrankheiten werden typischerweise durch eine bestimmte berufliche Beschäftigung verursacht.

Die AGES ordnete zuletzt aber über 90 Prozent der Ansteckungen dem Bereich Haushalt/Freizeit zu und nur 1 Prozent dem Arbeitsplatz. Folgerichtig ist COVID-19/Long-COVID grundsätzlich keine Berufskrankheit, außer in den Bereichen, in denen durch die berufliche Ausübung ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht - wie in Krankenhäusern, Apotheken, Schulen, Pflegeheimen. Unabhängig davon stehen allen von COVID-19/Long-COVID Betroffenen jedenfalls die Ansprüche aus der Krankenversicherung zu, insbesondere Leistungen aus der Krankenbehandlung. 

Fazit: Unser Gesundheitssystem enthält Leistungen für alle von Long-COVID betroffenen Menschen. Aktuell ist es vorrangig, gemeinsame Lösungswege zur Diagnoseerstellung und Leitlinien zur medizinischen Versorgung zu schaffen, um auf die individuellen Beeinträchtigungen einzugehen. Im Fokus stehen die Genesung der Betroffenen sowie die Teilhabe am gewohnten (Arbeits-)Leben. Eine Ausweitung der Berufskrankheitenliste trägt dazu nicht bei und ist angesichts der typischen Infektionsquellen nicht sachgerecht.   


von Mag. Nina Haas



Gendergerechtigkeit: Praxis ist Führungskräften zufolge anders als öffentlicher Diskurs

Die repräsentative Umfrage der Bertelsmann Stiftung „Zwanglos gendern“ legt eine große Diskrepanz zwischen dem öffentlichen Diskurs der „Gendergerechtigkeit“ und der Wahrnehmung von Führungskräften in der Praxis offen. Überraschend: Weibliche und männliche Führungskräfte denken ziemlich gleich. 

Die erste Diskrepanz zum öffentlichen Diskurs zeigte sich beim Thema verpflichtende Frauenquoten: Nur etwas mehr als ein Drittel der Führungskräfte hält die Diskussion um verpflichtende Quoten für die Gleichstellung förderlich, fast ebenso viele halten sie nicht für förderlich. Beim „Gendern“ (dem Verwenden von gendergerechter Sprache) zeigte sich, dass 40 Prozent der Unternehmen Sprachvorgaben machen, 42 Prozent machen keine Vorgaben.

Unterschiede bedeuten nicht Diskriminierung 

74 Prozent der Führungskräfte gaben an, dass in ihrem Unternehmen das Geschlecht der Führungskraft keinen Unterschied macht. Immerhin 82 Prozent antworteten, dass sie keinen Geschlechterkonflikt erleben. Erfreuliche 77 Prozent gaben an, dass in ihrem Unternehmen das Gehalt unabhängig vom Geschlecht ist. Bertelsmann selbst stellt dem entgegen, dass in Deutschland der Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen 18 Prozent beträgt. Das ist aber kein Widerspruch, oft haben Einkommensunterschiede ja objektive Gründe und beruhen nicht auf Diskriminierung.

Öffentlich thematisiert wird häufig die tatsächliche oder vermeintliche Schlechterstellung „benachteiligter“ Gruppen. Demgegenüber gaben 70 Prozent der Führungskräfte an, dass Diskriminierungen bei Neueinstellung und Beförderung effektiv verhindert werden. 

Weibliche Führungskräfte haben dieselbe Sicht wie männliche 

Überraschung bei der Befragung: Es gab keine nennenswerten Unterschiede zwischen den Antworten männlicher und weiblicher Führungskräfte. Die (offenbar vom Ergebnis irritierte) Bertelsmann-Stiftung deutet die Ergebnisse als „Sorg- und Arglosigkeit“ bei Gleichstellungsthemen. 

Man kann die Ergebnisse allerdings auch als eine sehr deutliche Diskrepanz zwischen der erlebten Praxis und dem öffentlichen Diskurs zur Gendergerechtigkeit sehen. Eine Erklärung dafür ist, dass in Unternehmen auch ohne Vorgaben von außen Chancengleichheit gelebt wird. Chancengleichheit führt aber nicht zwingend zur Ergebnisgleichheit, verhindert also nicht jeden Unterschied. Unterschiede zwischen Gruppen, an denen sich akademische Diskussionen und Themen wie Quoten entzünden, resultieren häufig nicht aus Diskriminierung, sondern haben andere, objektive Ursachen. 

Link zum Führungskräfte-Radar 2021


von Mag. Emanuel Ludwig MBA 



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