SPIK - Sozialpolitik informativ & kurz
Newsletter Abteilung Sozialpolitik und Gesundheit 31.5.2021
Inhaltsübersicht
- WKÖ Arbeitsmarktgipfel – Alle Kraft in den Aufschwung
- Der Corona-Schock – Herausforderungen und neue Chancen am Arbeitsmarkt
- Trotz Covid-Krise soziale Lage stabil, kein Grund für Alarmismus
- Die Crux mit den Gesundheitsdaten
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
die Wachstumsprognosen werden nach oben revidiert und inzwischen gibt es auch immer mehr Licht am Arbeitsmarkt: Ende Mai waren beim AMS 100.000 offene Stellen gemeldet - ein neuer Rekord! Die AMS-App Alle Jobs, die auch Stellen anderer Jobbörsen umfasst, verzeichnet sogar 200.000 offene Stellen. Gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit immer noch hoch und befinden sich 330.000 Arbeitnehmer in Kurzarbeit.
Der Arbeitsmarktgipfel in der WKÖ befasste sich damit, wie diese gewaltige Kluft geschlossen werden kann. Dabei weist die Lage in Deutschland und Österreich viele Parallelen auf.
Gute Nachrichten auch zur sozialen Lage in Österreich: Aktuelle Zahlen und eine Analyse der Agenda Austria zeigen, dass selbst in der Krise die soziale Lage gut und stabil ist.
Gesundheitsdaten sind ein Schlüssel für die Bekämpfung der Epidemie und ein effizientes und effektives Gesundheitssystem. Doch derzeit wird das Potenzial nicht genützt.
Alles Gute!
Rolf Gleißner
WKÖ Arbeitsmarktgipfel – Alle Kraft in den Aufschwung
Um die Chancen am Arbeitsmarkt bestmöglich zu nutzen, fand am 31. Mai 2021 auf Einladung der WKÖ ein Arbeitsmarktgipfel unter Beteiligung der Sozialpartnerspitzen, Bundesminister Martin Kocher und AMS-Vorstand Johannes Kopf statt.
Die Corona-Pandemie hat tiefe Spuren am Arbeitsmarkt hinterlassen. Mitte April 2020 waren knapp 590.000 Personen arbeitslos gemeldet oder in Schulung und zusätzlich über eine Million Menschen in Kurzarbeit. Angekurbelt durch die jüngsten Öffnungsschritte erholt sich der Arbeitsmarkt jetzt: Ende Mai 2021 waren 397.000 Menschen arbeitslos oder in Schulung. Dies entspricht fast dem Wert vom Mai 2017. Gleichzeitig sind aktuell mit rund 100.000 so viele offene Stellen gemeldet wie noch nie zuvor.

- Arbeitslosigkeit senken
- Fachkräftebedarf sichern
- Einkommen und Kaufkraft sichern
Als Stärke Österreichs wurde die hohe Produktivität im internationalen Vergleich (Platz 8 in der EU), die duale Ausbildung gepaart mit der großen Ausbildungsbereitschaft der Betriebe und die starke Handlungsfähigkeit der Sozialpartnerschaft hervorgehoben, die sich auch in der Krise am Beispiel der Kurzarbeit gezeigt hat.
Zu den Schwächen Österreichs zählt die Verfügbarkeit von Fachkräften; hier liegen wir lediglich auf Platz 47 von 63 Ländern (IMD World Talent Report). Auch bei der internen Arbeitsmobilität liegt Österreich nur auf Platz 122 von 141 (Global Competitiveness Report).
Um die oben definierten Ziele zu erreichen, sollte man aus Sicht der WKÖ an folgenden Bereichen ansetzen:
Aus Corona lernen
Durch Corona gab es einen Digitalisierungsschub, auch im Bereich Arbeitsmarkt. Um Arbeitsuchende rasch auf offene Stellen zu vermitteln und Betrieben Zugang zu dringend benötigten Mitarbeitern zu verschaffen, sollen digitale Vermittlungstools wie Online-Jobbörsen weiter ausgebaut und neue Formate wie Speed Recruiting erprobt werden. Da digitale Rekrutierungskanäle immer wichtiger werden, sollen v.a. KMU zu E-Recruiting verstärkt beraten werden. Die Möglichkeit von Homeoffice verschafft Betrieben darüber hinaus Zugang zu einem größeren Mitarbeiterpool.
Jobchancen sichtbar machen
Der Arbeitsmarkt bietet nun wieder zunehmende Chancen, viele Betriebe suchen verstärkt nach Arbeitskräften. Es braucht daher einen generellen Schwerpunkt auf gezielte Vermittlung. Dabei soll auch die Bewerbervorauswahl für Betriebe durch das AMS ausgebaut werden; dies wünscht sich laut WKO Fachkräfteradar jeder zweite Betrieb. Die regionalen Unterschiede am Arbeitsmarkt sind nach wie vor groß.
Beispiel Elektroinstallateur (WKO Fachkräfteradar):
In vielen Bundesländern gibt es für Elektroinstallateure deutlich mehr offene Stellen als Arbeitssuchende. So kann in Oberösterreich oder Salzburg ein Arbeitssuchender aus vier offenen Stellen auswählen, während in Wien deutlich mehr arbeitssuchende Elektroinstallateure als offene Stellen gemeldet sind.

Zukunftskompetenzen stärken
Um mittel- und langfristig gut aufgestellt zu sein, braucht es zudem betriebsnahe Aus- und Weiterbildung. Wirksame Instrumente dafür sind vorhanden: So liegen bei Instrumenten wie AQUA (arbeitsplatznahe Qualifizierungen) und Implacementstiftungen, bei denen arbeitslose Personen auf einen konkreten Arbeitsplatz im Unternehmen weitergebildet werden, die Erfolgsquoten bei 75 %. Die Sozialpartner haben im Zuge des Arbeitsmarktgipfels vereinbart, künftig gemeinsam einen Schwerpunkt auf „green jobs“ zu setzen und ein gemeinsames Pilotprojekt zur betriebsnahen Qualifizierung im Umweltbereich ins Leben zu rufen. Dafür könnte die AUFLEB GmbH als österreichweite Sozialpartnereinrichtung herangezogen werden.
Für einen erfolgreichen und nachhaltigen Aufschwung braucht es einen starken Arbeitsmarkt. Die hochkarätigen Teilnehmer am Arbeitsmarktgipfel waren sich einig, dass es dafür einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Sozialpartner, Politik, Wirtschaft und Arbeitnehmern bedarf.
Factsheet "Alle Kraft in den Aufschwung"
Der Corona-Schock – Herausforderungen und neue Chancen am Arbeitsmarkt
Beim Arbeitsmarktgipfel der Wirtschaftskammer Österreich präsentierte Prof. Ulrich Walwei, Vizedirektor des IAB Deutschland, die Entwicklung des Arbeitsmarktes vor, während und nach Corona.
Zwischen 2005 und 2019 konnte Deutschland aufgrund von Arbeitsmarktreformen die Arbeitslosigkeit von 4,8 auf 2,2 Millionen Arbeitslose mehr als halbieren. Als Ursachen führt Walwei verbesserte Matching-Effizienz der Bundesagentur für Arbeit, stärkere Suchintensität und höhere Konzessionsbereitschaft bei Arbeitslosen sowie die moderate Lohnpolitik der Tarifvertragsparteien bis in die frühen 2010er Jahre an.
Strukturwandel bereits vor der Krise spürbar
Durch Globalisierung, Digitalisierung und Dekarbonisierung befand sich der Arbeitsmarkt bereits vor der Corona-Pandemie im Strukturwandel, der zu Personalreallokation führte. Arbeits- und Fachkräfteengpässe führten zu schwierigen und langen Stellenbesetzungen.
Während der Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise setzte Deutschland, ebenso wie Österreich, erfolgreich auf das Instrument der Kurzarbeit zur Verhinderung von Arbeitslosigkeit.
Arbeitskräftemangel als potenzieller Bremsklotz für die Wirtschaft
Corona beschleunigte den schon vor der Krise einsetzenden Strukturwandel. Dabei entstehen neue Beschäftigungsmöglichkeiten. Gleichzeitig verknappt die Pensionierung der Babyboomer in den nächsten zwei Jahrzehnten die Zahl der Erwerbspersonen. Der dadurch entstehende Arbeits-und Fachkräfteengpass droht zum „Bremsklotz“ für die Wirtschaft zu werden.
Die Stärkung von Erwerbsanreizen in den sozialen Sicherungssystemen wird daher wichtiger. Ebenso muss die Beschäftigung von älteren Arbeitskräften gesteigert werden.
Ein besonderes Augenmerk ist nach Prof. Walwei auf die Arbeitsmarktintegration von Arbeitsmarkteinsteigern zu legen. Arbeitslose haben das Risiko, dass die schnellen technologischen Änderungen und neuen Anforderungen an ihnen vorbeigehen. Qualifizierungen während Arbeitslosigkeit haben daher so betriebsnah wie möglich zu erfolgen, damit die ausgebildeten Arbeitslosen anschlussfähig bleiben. Je länger eine höhere Arbeitslosigkeit nach Corona anhält, desto größer ist das Risiko eines strukturellen Sockels.
Qualifikations- und Tätigkeitsanforderungen verändern sich nach der Krise schneller, wobei das Tempo zur Herausforderung wird. Digitale und nicht-digitalisierbare Kompetenzen werden stärker gefragt. Es kommt zu Verschiebungen zwischen Berufen und Tätigkeitsfeldern und veränderten Kompetenzanforderungen in allen Berufen und Tätigkeiten, auf die im Rahmen der Aus- und Weiterbildung reagiert werden muss. Zur Vermeidung von Sockelarbeitslosigkeit braucht es neben einer Ausweitung von Eingliederungszuschüssen einen Fokus auf Beratung und Vermittlung, sowie verstärktes Coaching.
von Mag. Maria Kaun
Trotz Covid-Krise soziale Lage stabil, kein Grund für Alarmismus
Gern wird verbreitet, dass die Ungleichheit steigt und die Armut zunimmt. Aktuelle Zahlen und eine Analyse der Agenda Austria zeigen, dass selbst in der Krise die soziale Lage gut und stabil ist.
Die EU-SILC-Zahlen messen verschiedene Armutsparameter: Für 2020 werden 233.000 Menschen mit absolut geringem Lebensstandard ausgewiesen („erhebliche materielle Deprivation“). Das sind gleich viele wie 2018 und 2019, aber nur halb so viele wie 2008. Wer weniger als 60 % des Medianeinkommens erzielt, muss nicht arm sein, gilt aber als „armutsgefährdet“. Das waren 2020 wie in den Vorjahren 1,2 Mio Menschen.
Erwerbstätigkeit ist der beste Schutzschild gegen Armut. Es ist ein Mythos, dass prekäre Verhältnisse zunehmen: Seit 2008 werden stabil ca. 300.000 „working poor“ verzeichnet. 2020 sank die Zahl auf 289.000 Personen.
Die Einkommen sind seit vielen Jahren in Österreich stabil gleichmäßig verteilt: Der GINI-Koeffizient, die Maßzahl für Ungleichheit, war 2020 27,0 und damit leicht geringer als in den 12 Jahren zuvor.
Einkommen in der Krise stabil – dank Sozialstaat und Förderungen
Zuletzt untersuchte die Agenda Austria, wie sich die COVID-Krise auf die Einkommen ausgewirkt hat. Das überraschende Ergebnis: Obwohl die Wertschöpfung (BSP) insgesamt um fast 7 % schrumpfte, gingen die Haushaltseinkommen nur um 1 % zurück. Die Einkommen der einkommensschwächsten 10 % stieg sogar um 2 %. Die Einkommensverluste wurden dabei v.a. durch Kurzarbeit, Transfers aus dem Sozialstaat und Einmalzahlungen an Arbeitslose und Familien abgefedert.
Trotz der Evidenz verbreiten viele „Experten“ und Medien, dass sich die sozialen Verhältnisse stetig verschlechtern. 2018 hat Eco Austria für Österreich und Deutschland festgestellt, dass die Medienberichterstattung die Ungleichheit in der Gesellschaft weit überzeichnet und dementsprechend auch die Bevölkerung die Ungleichheit im Vergleich zu den tatsächlichen Werten deutlich überschätzt.
Laut einer aktuellen deutschen Umfrage meinen die Befragten, dass 30 Prozent der Deutschen von Armut bedroht sind und sogar jeder zweite Pensionist. In Wahrheit sind 16 bzw. 17 Prozent „armutsgefährdet“, tatsächlich betroffen noch weit weniger. Die Umfrage zeigt auch einen Zusammenhang zwischen der Fehleinschätzung der Befragten und dem Medienkonsum auf. Es entsteht der Eindruck, dass viele „Influencer“ mit dem Armuts- und Ungleichheitsalarmismus ihre eigene Agenda verfolgen.
Agenda Austria
20210521-aa-pb-sozialstaat-2.pdf (agenda-austria.at)
Die Crux mit den Gesundheitsdaten
COVID hat uns die Bedeutung von Gesundheitsdaten und ihrer gezielten Nutzung gezeigt, aber auch drastisch die Hürden und Grenzen vor Augen geführt. Stichworte Stopp Corona App, grüner Pass und e-Impfpass. Es gibt enormes Potenzial und Handlungsbedarf – nicht nur zur Bekämpfung von Epidemien.
Der Lockdown ist bekanntlich das teuerste Instrument zur Epidemiebekämpfung. Viel effizienter sind gezielte Eingriffe, etwa die rasche Entdeckung und Isolation von Infektionsclustern. Eine schnelle Kontaktverfolgung setzt eine gezielte Sammlung und Auswertung von Daten voraus. Die Stopp Corona App des Roten Kreuzes hätte hier einen Beitrag liefern können. Einwände von Datenschützern und Vorbehalte in der Bevölkerung haben es verhindert. Dasselbe gilt für die eCard als Zugangsschlüssel: Als etabliertes Tool hätte sie zur Identifikation der Person und als Zugangsschlüssel zu Zertifikaten (genesen, getestet, geimpft) eingesetzt werden können. Es kam nicht dazu.
Zuletzt scheiterte der Plan, COVID-Infektionsdaten mit Sozialdaten zu verknüpfen. Damit hätte man den Status der Infizierten feststellen und daraus gezielt Maßnahmen ableiten können, etwa die Ermittlung und Information besonders betroffener Gruppen. Wichtig wäre etwa auch die Information, welche Gruppen sich impfen lassen und welche nicht, um diese ansprechen zu können. In den meisten Fällen geht es um allgemeine, nicht personenbezogene Erkenntnisse.
Zersplitterung
Gesundheitsdaten sind sehr oft vorhanden, aber nur bei der Stelle, die sie sammelt. Das österreichische Gesundheitswesen ist bekanntlich zersplittert – Länder sind für Krankenanstalten zuständig, die Sozialversicherung für Medikamente, der medizinische Bereich für die Befüllung der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA), auch die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) des Gesundheitsministeriums sammelt und wertet Daten aus, etc.
Daher existieren z.B. Daten aus Spitalsapotheken oder Pflegeheimen, Krebsregister, Blutdatenbank, Todesursachenstatistik nur fragmentiert und unzusammenhängend in einzelnen Institutionen. Dabei würde jede Institution enorm von der Nutzung der Daten der anderen profitieren. Das gilt natürlich auch für die Wissenschaft, v.a. die Universitäten, die in anderen Ländern Zugang zu allgemeinen Daten haben. Man spricht gern von „Datensilos“. Tatsächlich gibt es auch viele Datenflüsse zwischen den Institutionen, doch sie sind oft intransparent, nicht automatisiert und werden nicht ausgewertet.
Das Problem ist aber nicht nur der fehlende Austausch: Oft fehlen schlicht die Daten bzw. werden sie nicht gesammelt und ausgewertet. Blinde Flecken sind etwa die mangelnde Auswertbarkeit von Diagnosen im niedergelassenen Bereich, Outcome-Daten, Daten zu Wahlärzten und Pflege, Over-The-Counter-Medikationen oder die Medikation in Spitälern. Auch ist die Datenqualität unterschiedlich, Qualitätskontrollen fehlen oft.
Die Folgen
Diese Datenlage führt dazu, dass viele zentrale Fragen nicht beantwortbar sind, die für eine evidenzbasierte Versorgungsforschung, Gesundheitsplanung und -politik unabdingbar wären. Kurzfristig betrifft das die Bewältigung der Pandemie. Dauerhaft betrifft das etwa chronische Erkrankungen wie Herz-Kreislauferkrankungen, Stoffwechselstörungen wie Diabetes, Übergewicht, die in Österreich auf dem Vormarsch sind. Diesem gefährlichen Trend müsste man gezielt und frühzeitig begegnen – hätte man die Daten und würde sie auch nützen. Zu hoffen ist, dass COVID hier ein Warnschuss für alle Akteure im Gesundheitssystem ist, dieses Thema voranzutreiben.
Siehe auch den Gastkommentar im Standard
https://www.derstandard.at/story/2000126959122/lache-bajazzo-der-tragische-tod-des-superdatenregisters
von Mag. Maria Cristina de Arteaga
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