SPIK - Sozialpolitik informativ & kurz
Newsletter Abteilung Sozialpolitik und Gesundheit 27.5.2020
Inhaltsübersicht
- Kurzarbeit: ein internationaler Vergleich
- Fakt des Monats: Europa arbeitet kurz
- Österreichischer Arbeitsmarkt im Corona-Krisenmodus
- Learnings für die Entlastung unseres Gesundheitssystems in Krisenzeiten
- Aufruf zur Teilnahme an der internationalen Studie „Salutogenese und die Zeit mit COVID-19“
Kurzarbeit: ein internationaler Vergleich
Kurzarbeit hat sich als Instrument zur Stabilisierung der Beschäftigung in der Corona-Krise europaweit durchgesetzt. Das deutsche Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut hat die Regelungen zur Kurzarbeit in Europa analysiert. Das österreichische Modell ist für Arbeitnehmer und Arbeitgeber attraktiv, aber vergleichsweise bürokratisch.
Es wurde für rund 50 Mio Arbeitnehmer in Europa die Kurzarbeit beantragt. Die Bedingungen in den unterschiedlichen Ländern variieren stark. Zentrale Unterschiede zeigen sich der Studie zufolge vor allem bei Reichweite, Höhe und Dauer der Unterstützungsleistung, der Lastenverteilung zwischen Staat und Arbeitgeber sowie beim Kündigungsschutz.
Österreich bei Kurzarbeitsgeld im Spitzenfeld
Die Höhe des Kurzarbeitergeldes variiert in Europa stark, nämlich zwischen 60% und 100% Prozent des vormaligen Entgeltes. In Österreich erhalten Arbeitnehmer zwischen 80% und 90% abhängig vom vormaligen Monatsgehalt, in Deutschland erhalten Kinderlose nur 60 Prozent, Beschäftigte mit Kindern 67 Prozent.

Quelle: Schulten/Müller, Nr. 38 · Policy Brief WSI · 04/2020
Inzwischen hat Deutschland das Kurzarbeitsgeld - allerdings erst ab dem vierten Kurzarbeitsmonat – erhöht: Auf 70 Prozent für Kinderlose bzw. 77 Prozent für Beschäftigte mit Kindern. Ab dem siebten Kurzarbeitsmonat gelten 80 bzw. 87 Prozent.
In vielen europäischen Ländern wurden rasch Krisenprogramme geschaffen, die einen temporären Arbeitsausfall mit staatlichen Lohnersatzleistungen ausgleichen. Nur in Dänemark und Österreich verständigten sich Arbeitgeber, Gewerkschaften und Regierung im Rahmen von Krisenabkommen auf die Kurzarbeitsregelungen.
In Österreich wird der größte Teil der Mehrkosten, die sich für Arbeitgeber im Vergleich zur erhaltenen Arbeitsleistung ergeben, vom AMS ersetzt. In anderen Staaten wie z.B. Portugal und Irland werden Arbeitgeber nicht so massiv entlastet. Dort teilen sich der Staat und Arbeitgeber die Mehrkosten, stellt die deutsche Studie fest. Nur in Frankreich und Österreich gibt es einen Kündigungsschutz, der über die vereinbarte Kurzarbeitszeit hinausgeht.
DIE europäische Alternative zur Kündigung
Während es in den USA kein vergleichbares Modell gibt, hat sich die Kurzarbeit in vielen Staaten Europas als Alternative zu Kündigungen etabliert (siehe Fakt des Monats). Bis Ende April wurden in Frankreich bereits für rund 11,3 Mio Arbeitnehmer Kurzarbeitsanträge gestellt. Deutschland folgt mit 10,1 Mio, Italien mit 8,3 Mio und Großbritannien mit 7,9 Mio. In Österreich werden bereits 1,3 Mio Arbeitsplätze durch die Kurzarbeit abgesichert, in der Schweiz sogar 1,9 Mio. Nach einer Auswertung von Agenda Austria ist der Anteil der Personen in Kurzarbeit am Arbeitskräftepotenzial am höchsten in der Schweiz mit 40 Prozent, am zweithöchsten in Österreich mit 29 Prozent.
Fazit: Die Kurzarbeit ist in Österreich im europäischen Vergleich sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer finanziell attraktiv. Jedoch müssen Unternehmen mehr Hürden nehmen als in anderen Staaten.
Fakt des Monats: Europa arbeitet kurz
Nicht nur in Österreich, im Großteil Europas ist Kurzarbeit in kürzester Zeit vom Minderheiten- zum Massenprogramm geworden. Jeder zweite Arbeitnehmer in der Schweiz, Frankreich und Italien befand sich Anfang Mai in Kurzarbeit oder einem vergleichbaren Modell, in Österreich war es jeder Dritte, in Deutschland jeder Vierte. Da Kurzarbeit im öffentlichen Sektor kaum vorkommt, sind diese Anteile bezogen auf die Privatwirtschaft noch höher.

Quelle: ETUI Policy Brief, N°7/2020
Kurzarbeit verhindert einen massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit. Beschäftigte werden während einer vorübergehenden Krise gehalten. 2009 ist das Konzept in Österreich und Deutschland voll aufgegangen: Nach der Krise folgte ein rascher Aufschwung, in dem die Beschäftigten wieder gebraucht wurden und rasch ausgelastet waren. Allerdings ist die Dimension unvergleichlich: 2009 waren zur Spitzenzeit nur 1,2 Prozent der ö Arbeitnehmer in Kurzarbeit, in Deutschland 3,9%. Es ist zu hoffen, dass das Konzept wieder aufgeht.
Österreichischer Arbeitsmarkt im Corona-Krisenmodus
Die Coronakrise hat den heimischen Arbeitsmarkt nachhaltig verändert. Hohe Arbeitslosigkeit und starke Auswirkungen auf die Wirtschaft sind die Folge. Doch auch in der Krise gibt es positive Trends und einen Ausblick in die „Zukunft der Arbeit“.
Nach Beginn der Coronakrise und deren Auswirkungen auf die Wirtschaft Mitte März 2020 verzeichnete das Arbeitsmarktservice (AMS) einen massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 588.000 Personen Mitte April, ein absoluter Rekordwert seit 1945. Die am stärksten betroffenen Branchen sind der Tourismus, die Bauwirtschaft, die Arbeitskräfteüberlassung und der Handel. Nach nationaler Definition lag die Arbeitslosenquote im April bei 12,7% Prozent - ein Anstieg von 5,4% gegenüber dem Vorjahr.
Nach Beschäftigungsbeendigung häufiger Arbeitslosigkeit
Laut Statistik Austria folgte ab Mitte März auf Beschäftigungsbeendigungen zu 68% eine Vormerkung beim AMS. Dies weicht deutlich vom bislang gängigen Muster ab: In der Vergangenheit nahm jeweils rund ein Drittel nach der Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses einen neuen Job an, ein Drittel wechselte in eine Nicht-Erwerbsposition und lediglich ein Drittel war beim AMS vorgemerkt. Auch bemerkenswert: ein beträchtlicher Anteil wechselte ab März nach Beendigung in den Status „Kein Hauptwohnsitz in Österreich“. Damit ist davon auszugehen, dass besonders viele Pendler betroffen waren.
Beendigungen unselbständiger Erwerbstätigkeit1) nach darauffolgendem Arbeitsmarkt-status in den Kalenderwochen 9 bis 13

Wenig überraschend lassen sich nicht nur große branchenspezifische, sondern davon abhängig, auch regionale Unterschiede innerhalb Österreichs ausmachen. So sind etwa die tourismusstarken Bundesländer Tirol (-11,2% im Vergleich zu März 2019) und Salzburg (-8,2%) vom Beschäftigungsrückgang am stärksten betroffen.
ILO: 436 Millionen Unternehmen in ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit betroffen
Nicht nur die heimische Wirtschaft hat mit den Folgen der Coronakrise zu kämpfen. Nach einem Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ist im zweiten Quartal 2020 von einem noch drastischeren Rückgang der Arbeitszeit als bisher angenommen auszugehen. Im Vergleich zum Jahresende 2019 wird ein Rückgang um 10,5 Prozent erwartet, was bei einer 40-Stunden Woche einem Äquivalent von 366 Millionen Vollzeitarbeitsplätzen (statt wie bisher angenommen 234 Millionen) entspricht. Durch die Krise sind demnach mehr als 436 Millionen Unternehmen in ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit betroffen.
Aber es gibt auch positive Nachrichten am Stellenmarkt: laut einer aktuellen Stepstone-Studie werden nun vor allem Pflegekräfte, Ärzte, Personal im Einzelhandel und Helfer im Logistikbereich verstärkt gesucht. Zudem bleiben technische Berufe weiterhin gefragt: Trotz eines Rückgangs von 31 Prozent bei Stellenanzeigen werde in dieser Berufsgruppe weiterhin das meiste Geld für Recruiting in die Hand genommen: Heimische Unternehmen gaben im März fast drei Millionen Euro für kostenpflichtige Stellenanzeigen aus. Weiterer positiver Trend: Laut Arbeitsministerin Christine Aschbacher sank die Zahl der Arbeitslosen in der letzten Woche um 55.307 auf 532.963.
Zukunft der Arbeit: Vernetzung der virtuell-digitalen und physischen industriellen Welt
Apropos Ausblick: Das Weltwirtschaftsforum (WEF) sieht in einer aktuellen Analyse die globale Arbeitswelt nachhaltig verändert. Unternehmen wurden in die „Zukunft der Arbeit“ katapultiert. Um besser auf die Anforderungen nach der „Vierten Industriellen Revolution“ (Vernetzung der virtuell-digitalen und physischen industriellen Welt) gewappnet zu sein, müssten Arbeitnehmer – stärker als bisher – insbesondere zu Auf- und Umschulungs-maßnahmen bereit sein. Entsprechende Investitionen von Unternehmen seien jedenfalls am Puls der Zeit. Das WEF sieht im Zuge des Wiederaufbaus der Weltwirtschaft insbesondere neue Quellen des Wirtschaftswachstums, und damit verbunden auch neue Jobs in den Bereichen Green Economy, Wissenschaft und Gesundheitsforschung, sowie der digitalen Infrastruktur. Auch neue Technologien wie künstliche Intelligenz (KI) werden im Bereich der Arbeitskräftevermittlung in Zukunft beim Talente-Matching eine noch größere Rolle spielen.
Was die Erfahrung gezeigt hat, und was in der Krise nun auch zahlreiche internationale renommierte Think Tanks bestätigen: Essentiell bleibt ein starker Dialog zwischen Unternehmen, Regierungen und Arbeitnehmern, um die Folgen der Coronakrise bestmöglich abzufedern.
von Mag. Maximilian BuchleitnerLearnings für die Entlastung unseres Gesundheitssystems in Krisenzeiten
Die Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 einzudämmen bzw. zu verlangsamen, hat höchste Priorität. Solange eine Prophylaxe durch Impfung nicht möglich ist und es an wirkungsvollen Medikamenten fehlt, sind für das Gesundheitssystem ebenso operative, finanzielle und forschungsbezogene Maßnahmen von größter Bedeutung. Die aktuelle OECD-Kurzstudie Mehr als Eindämmung: Antworten der OECD-Gesundheitssysteme auf COVID-19 analysiert Maßnahmen, die eine effektive medizinische Versorgung sichern und den Gesundheitssektor bei der Bewältigung der Krise unterstützen sollen.
Zugang der schwächsten Bevölkerungsgruppen zu Diagnose und medizinischer Versorgung
In fast allen OECD-Ländern besteht universeller Krankenversicherungsschutz. Österreich ist mit 99,9% Abdeckung besonders gut unterwegs. In einigen Ländern klaffen jedoch noch Lücken: die Selbstbeteiligung bei regulären in Laboren durchgeführten Diagnosetests beläuft sich auf fast 25 %. Nun sind der OECD zufolge Maßnahmen gefragt, die Tests als auch Behandlung für finanziell schwache Bevölkerungsgruppen in allen Ländern erschwinglich machen.
Kapazitäten des Gesundheitssystems flexibilisieren
Um auf den rapiden Anstieg der Fallzahlen reagieren zu können, ist der Fokus v.a. auf die Kapazitäten zur Diagnose, stationären Behandlung sowie intensivmedizinischen Versorgung der besonders schweren Fälle zu richten. Österreich hat im OECD-Durchschnitt die nahezu höchste Zahl an Ärzten, im Bereich der Krankenpflegekräfte ist unser Land nur leicht unter dem Durchschnitt, im Bereich der Intensivbetten sind wir fast an der Spitze. Die COVID-19-Krise zeigt jedoch, worauf es wirklich ankommt: Flexibilität und Anpassungsfähigkeit bei der Nutzung der vorhandenen Ressourcen sowie Pläne zur Bewältigung plötzlicher Bedarfsspitzen.

Digitale Lösungen und Daten zur Verbesserung der Überwachung und Versorgung nutzen
Erkennung, Prävention, Bewältigung sowie Erholung von COVID-19 sind nur möglich, wenn Gesundheitssysteme in Echtzeit Daten liefern und über nationale und regionale Grenzen hinweg – unter Wahrung von Datenschutz und Persönlichkeitsrechten - Überwachungs- und Notfallmaßnahmen ermöglichen. Telemedizin, d. h. die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien zur Gesundheitsversorgung und -förderung aus der Ferne, steht im Fokus, um den physischen Kontakt einschränken zu können. Viele Länder, auch Österreich, haben in der Coronakrise erfolgreich erste Schritte gewagt. Jetzt gilt es Haftungsfragen, Kostenerstattungsverfahren und flächendeckendes Breitband sicherzustellen.
Forschung und Entwicklung langfristig fördern
Die Entwicklung schnellerer Diagnosemethoden, Medikamente und Impfstoffe ist derzeit vorrangig. Derzeit werden Studien zu Diagnose, Behandlung und Impfstoffen durchgeführt. Im Rennen um neue Therapien sind neben nachhaltigen Finanzierungszusagen auch neue Ansätze, wie z.B. künstliche Intelligenz wichtig, denn neue Produkte werden kaum schnell verfügbar sein.
Die Learnings liegen auf dem Tisch und täglich kommen neue Erkenntnisse dazu. Schnelle Reaktion bei der Anpassung des Gesundheitssystems ist Pflicht. Österreich ist hier teilweise Vorreiter etwa mit dem besonderen Schutz von Risikogruppen und verstärkten Tests, die v.a. in der Hotellerie durchgeführt werden sollen.
Weiteren Informationen: www.oecd.org/coronavirus
von Mag. Maria Cristina de Arteaga
Aufruf zur Teilnahme an der internationalen Studie „Salutogenese und die Zeit mit COVID-19“
Salutogenese befasst sich mit der Frage, was gesund macht, und ist ein sehr wichtiges Konzept für Public Health, Gesundheitsförderung und Prävention. Das BMSGPK ersucht um Teilnahme an der beiliegenden Studie. Die gewonnenen Daten sind für die weitere gemeinsame Arbeit an den ö Gesundheitszielen relevant. ZUR STUDIE
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