"Auf die Menschen am Land wurde vergessen"
Das „Aus“ für den Lobautunnel und der verhinderte Lückenschluss der S1 werfen die wirtschaftliche Entwicklung im Wiener Umland zurück. Mobilitätslandesrat Ludwig Schleritzko im Interview zu den Auswirkungen und den weiteren Schritten. - von Bernhard Tröstl

Wirtschaft NÖ: Der Stopp der schon beschlossenen Straßenbauprojekte ist ein schwerer Schlag. Was bedeutet das konkret für die Ostregion?
- Ludwig Schleritzko: Hier wurde eine Entscheidung getroffen, die bei den Betroffenen vor allem eines auslöst: Ärger über die Gleichgültigkeit, mit der eine Ministerin über die Interessen von hunderttausenden Menschen hinweggeht. Alleine im Marchfeld leben tausende Menschen, an deren Schlaf- und Wohnzimmern Tag für Tag 35.000 KFZ vorbeistauen. Dieser Entscheidung lag ein Prozess zugrunde, bei dem auf die Menschen im Land vergessen wurde. Übrig bleibt Ratlosigkeit, was die Ministerin denn nun wirklich vorhat und ob denn da noch Alternativen kommen, die einem Realitätscheck standhalten.
Eines kann man der Ministerin nicht vorwerfen: Sie misst bei ihren Entscheidung nicht mit zweierlei Maß. Sie hat bewiesen, dass nur ein Maß gilt. Nämlich die Frage: Was verkauft sich gut?
- Denn in Oberösterreich wurde der Bau der S10 mit deutlich niedrigeren Verkehrszahlen erlaubt, weil die Grünen im Landtagswahlkampf standen. Hier bei uns, wurde die Entscheidung zu einer politischen Grundsatzfrage hochstilisiert.
Welche Auswirkungen hat die Absage für den gesamten Wirtschaftsstandort?
- Der Bau der S8 würde Tausende vom täglichen Durchzugsverkehr in den Ortschaften des Marchfelds befreien. Er würde es endlich wieder ermöglichen, dass sich Betriebe ansiedeln, die zurzeit einem Widmungsstopp wegen fehlender Verkehrsanbindung unterliegen. Der Bau von S1 und S8 würde neue Verbindungen vom Weinviertel in den Süden Niederösterreichs, aber auch in die Slowakei ermöglichen. Ganz ohne durch den Flaschenhals Wien zu müssen und die dort lebende Bevölkerung zu belasten. Die S1 würde damit positive Auswirkungen auf das gesamte Weinviertel haben, aber auch die A4 südlich der Donau entlasten. Alles Chancen, die man am Altar der grünen Parteipolitik geopfert hat.
Welche weiteren Schritte werden nun unternommen?
- Es herrscht Unverständnis darüber, wie sich eine Ministerin derart gegen Beschlüsse des Parlaments stellen kann und sich damit selbst über das Gesetz erhebt. Das Land Niederösterreich wird deshalb mögliche rechtliche Schritte der Stadt Wien in Sachen S1 unterstützen. Auch wurden von uns bereits Juristen beauftragt, das Gewessler-Papier und die Vorgehensweise zu prüfen. Wir sehen uns hier auch im Gleichklang mit der Wirtschaftskammer, die ebenfalls juristische Expertisen erarbeitet hat. Demnach fehlt der Ministerin die Rechtsgrundlage für einen derartigen Baustopp, denn das Bundesstraßengesetz ermächtigt die Ministerin nicht nur zum Bau, es verpflichtet sie laut Aussagen von Rechtsexperten dazu.
Wie wird das Klimaticket bisher in Niederösterreich angenommen?
- Es tritt ein, was wir gesagt haben: Billige Preise alleine reichen nicht, um Menschen zu Bus und Bahn zu bringen. Rund 120.000 Menschen besitzen heute in der Ost-Region eine Jahreskarte inkl. der neuen Klimatickets. Vor Corona waren es 140.000. Wir arbeiten deshalb auch an besseren und bequemeren Öffis im Rahmen unseres 1-2-3-Mobilitätsplans in blau-gelb.
Standpunkt
"1,5 Milliarden Euro zusätzliches Bruttoregionalprodukt alleine in der Bauphase entgehen dem niederösterreichischen und Wiener Wirtschaftsstandort mit dem Stopp des S1-Lückenschlusses. Außerdem werden dadurch 14.000 Arbeitsplätze nicht geschaffen.“
Wirtschaftskammer NÖ-Präsident Wolfgang Ecker zu den Auswirkungen des Lobautunnel-Stopps.