Die Welt(bank) zu Gast in Kärnten
Axel van Trotsenburg, Weltkärntner und Weltbanker, nutzte eine Visite in seiner alten (Wahl)Heimat zum Ausblick auf die Zukunft der internationalen Wirtschaft.

Die Kärntner Wurzeln greifen tief: Trotsenburgs Vater war eine Zeitlang Professor an der Klagenfurter Universität, Axel selbst ist gebürtiger Niederländer, aber österreichischer Staatsbürger. So lang reicht auch die Jugendfreundschaft zu Dieter Wagner zurück, der heute Geschäftsführer des Transportsysteme-Herstellers KRAUS Betriebsausstattung und Fördertechnik GmbH, WIFI-Aufsichtsrat und Unternehmervertreter in der Kärntner Wirtschaftsombudsstelle ist. Auf dessen Initiative hin gab van Trotsenburg am Montagabend im WIFI einen Überblick zu jenen Megatrends, von denen die Weltbank in ihren Entwicklungsszenarien ausgeht.
1. Die Weltwirtschaft
Der Hoffnungsschimmer auf eine rasche Erholung nach der COVID-19-Pandemie ist erloschen: Hohe Inflation, Engpässe bei Rohstoffen, stark steigende Energiepreise prägen die aktuelle Situation.
„Seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine ist alles entscheidend anders.“
Der Verlauf der Inflation sei allerdings unterschiedlich und habe auch Einfluss auf die Wechselkurse, erklärte der Managing Director of Operations bei der Weltbank mit Sitz in Washington. So würden die USA eine restriktivere Geldpolitik verfolgen, hätten seit Mai dreimal den Eckzins um insgesamt zwei Prozentpunkte angehoben und weitere Schritte angekündigt. In der EU sei die Zinsanpassung vorsichtiger, deshalb auch der Wechselkurs des Euro schwächer. „Eine Parität Euro-Dollar hatten wir zuletzt bei Einführung des Euro“, erklärt van Trotsenburg, und das Bankiersgesicht verrät mit keiner Miene, ob er das für eine gute Nachricht hält.
Gleichklang herrscht auf beiden Seiten des Atlantik nicht nur bei den Währungen, sondern auch beim Wachstum: 2,5 Prozent hüben wie drüben. Auffällig ist allerdings China, das gerade einmal die Hälfte des Wachstums von 2021 aufweist. „Dabei müsste China 13 Millionen Arbeitsplätze pro Jahr schaffen, um die Arbeitslosenrate stabil zu halten“, analysiert van Trotsenburg; vor allem bei den Jungen steige die Quote bereits steil an. Das Sorgenkind der Weltbank ist allerdings Afrika, wo das Bevölkerungswachstum besonders groß sei, warnte van Trotsenburg: „Die Hälfte des gesamten Bevölkerungswachstums der Erde findet in acht Ländern statt, die meisten davon liegen auf dem afrikanischen Kontinent. In Afrika sind 15 Millionen neue Arbeitsplätze pro Jahr nötig — das geschieht aber nicht und schafft die Gefahr neuer Migrationsströme.“
2. Die Ernährung
Die aktuelle Wirtschaftssituation gefährdet akut die Nahrungsmittelversorgung vor allem von Entwicklungsländern. Deshalb stellt allein die Weltbank 30 Mrd. Dollar zur Verfügung, um den sprichwörtlich Ärmsten der Armen über diese Krise zu helfen. Aber auch außerhalb dieser Brennpunktregionen erwartet van Trotsenburg Probleme: „Eine expansive Fiskalpolitik, Schwierigkeiten mit Lieferketten, die hohen Energiepreise — das schafft für viele Länder einen hohen Schuldendruck.“ Der Entwicklungshilfefachmann ortet als Folge dieser Entwicklung, aber auch des Ukrainekriegs eine stärkere Blockbildung: „Die jüngsten Sitzungen des Internationalen Währungsfonds, der G20-Gipfel, das Finanzministertreffen in Bali haben keine gemeinsamen Communiqués zustande gebracht. Das habe ich noch nie erlebt.“
3. Die Ukraine
Die nüchterne Schilderung van Trotsenburgs lässt die aktuelle Situation der Ukraine nach sechs Monaten Krieg noch dramatischer erscheinen. 15 Prozent der Bevölkerung sind ins Ausland geflüchtet, Millionen im Inland vertrieben. Die Wirtschaftsleistung droht dieses Jahr um 45 Prozent einzubrechen, mehr als die Hälfte der verbliebenen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Die Budgetsituation der Ukraine nennt van Trotsenburg kritisch: „Das Land braucht pro Monat etwa fünf Milliarden Dollar. Die direkten Kriegsschäden belaufen sich auf etwa 75 Milliarden, der Wiederaufbau auf etwa 200 Milliarden.“ Seine Miene bleibt bei diesen Zahlen professionell.
4. Die Umwelt
Der Schwerpunkt der Weltwirtschaft verlagert sich seit langem unweigerlich nach Osten. Der Anteil Europas sei in den vergangenen 20 Jahren von 25 auf 15 Prozent gefallen, jener Chinas von drei auf 18 Prozent gestiegen. Das chinesische Handelsvolumen habe sich in diesem Zeitraum vervierfacht vom Niveau Hollands mit drei Prozent des Welthandels auf zwölf Prozent. Parallel dazu seien allerdings auch die CO2-Emissionen Chinas seit 1995 um 60 Prozent auf 30 Prozent des weltweiten Ausstoßes gestiegen, während jene Europas sich von 18 auf neun Prozent halbiert hätten: „Wenn man sich bei der Klimapolitik auf Europa konzentriert, wird man scheitern.“ Die Folgen seien nicht nur die Zunahme von extremen Wetterereignissen, sondern auch eine steigende Gesundheitsgefahr, etwa durch Pandemien.
Van Trotsenburg ist den Umgang mit großen Einheiten sichtlich gewohnt, nicht nur beim Geld, auch beim Klima. Zwischen dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens aus dem Jahr 2015 (!) und der Realität klafft mittlerweile eine zwischen 19 und 23 Gigatonnen Kohlendioxid große Lücke.
Die Welt braucht den Kohleausstieg — und das ist ein asiatisches Problem.“
60 Prozent der Stromerzeugung Chinas stamme aus Kohlekraftwerken, 400 zusätzliche seien in Planung. „Der Aus- und Umstieg würde auf 20 Jahre 150 Milliarden Dollar pro Jahr kosten und bedeuten, bis 2040 jeden Tag ein Kohlekraftwerk stillzulegen“, rechnet van Trotsenburg vor.
Seine Miene bleibt dabei undurchdringlich.